Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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96.

Paris, 11. Nov. 59.

Mein theures Kind!

Sie machen mir grosse Freude! Gestern wollte ich endlich – so war ich abgehalten! – Ihnen mit dem Brief an Wesendonk schreiben, um Ihnen zu sagen, wie sehr mich Ihr letzter Brief gefreut: abermals unterbrochen kam noch der heutige Morgen heran, der mir auch die Schiller'sche Dithyrambe brachte. Diese habe ich nie so gut verstanden wie heute: Sie lehren mich immer neue Schönheiten sehen. Wie froh ersehe ich aus dem Allen, dass Sie wieder genesen sind! –

Auch ich genese nun langsam wieder, und zwar – ich sage es jetzt – von einer schweren Krankheit. Vor 10 Jahren litt ich – ebenfalls in Paris – an heftigen Rheumatismen; der Arzt rieth mir besonders, durch Ableitung nach aussen Alles daran zu wenden, damit die Angriffe sich nicht nach dem Herzen zu verlören. So zogen sich jetzt alle Leiden meines Lebens zusammen und drohten nach dem Herzen zu ihren letzten Ausgang zu nehmen. Ich glaubte wirklich diesmal zu erliegen. Doch soll nun noch einmal Alles nach Aussen zu getrieben werden: ich will suchen, durch irgend welche edel zerstreuende Activität den Drang nach dem Herzen abzuwenden. Ihr steht mir bei? Nicht wahr, Ihr Guten?–

Die erste gute Nachricht kam mir von mir selbst. Die Correcturen des dritten Actes von Tristan trafen plötzlich ein. Wie mich der Blick in diese letzte vollendete Arbeit belebte, stärkte, erfüllte und – begeisterte, das mögen Sie mit mir fühlen. Diese Freude kann doch kaum ein Vater beim Anblick seines Kindes empfinden! Durch einen Strom von Thränen – warum die Schwäche leugnen? – rief es mir zu: nein! Du sollst noch nicht enden; Du musst noch vollenden! Wer soeben erst noch so etwas schuf, der ist noch voll bis zum Ueberströmen! –

Und so sei es denn! –

Nun freute mich auch Ihr Brief so sehr, und nichts mehr darin, als wenn ich das so sehr verständig gewordene Kind sich doch manchmal über mich in einem kleinen Irrthum sich verlaufen sehe. Dann sage ich mir: sie wird noch die Freude haben, auch hierüber sich noch ganz klar zu werden; z. B. dass, wenn ich über Politik disputire, dabei etwas ganz andres vor Augen habe, als das scheinbare Thema u. s. w. Wie gern habe ich aber Unrecht, wenn ich mit Ihnen streite: ich lerne immer etwas Neues dabei. –

Dann kam denn ein sehr wehmüthiges Geschäft der Liebe über mich. Plötzlich erfahre ich von der Todeskrankheit meines lieben väterlichen Fischer in Dresden. Sie entsinnen sich, dass ich Ihnen öfter von seiner wunderbaren Treue und Ergebenheit erzählte. Eine – Herzkrankheit brachte den Greis endlich dem Tode nahe: als meine Frau zu ihm eintritt, ringt er, unter den schrecklichsten Herzkrämpfen, den jammernden Ausruf hervor: »O, Richard! Richard hat mich vergessen und bei Seite geworfen!« Ich hatte ihn diesen Sommer in Luzern erwartet, und dann nicht wieder geschrieben. Sogleich schrieb ich ihm nun. Dann erhalte ich seine Todesnachricht, meinen Brief hat er nicht mehr sich lesen lassen können.

Nun habe ich in diesen Tagen einen NachrufGes. Schriften 5, 133. Ges. Schriften 5, 133. an den Lieben aufgesetzt: sobald ich ein Exemplar davon zurückhabe, schicke ich es Ihnen! – Das war denn auch eine Beschäftigung! –

Und die Arbeiter habe ich noch immer nicht aus dem Hause: diese Pariser sind zu Hause nicht anders als bei Ihnen. Endlich erst ist meine kleine Etage in Ordnung. Sie würden, träten Sie da ein, fast glauben, Sie träfen mich noch im Asyl. Dieselben Möbles, der alte Schreibtisch, dieselben grünen Tapeten: Gravüren, Alles – wie Sie es kennen. Nur sind die Zimmer noch kleiner, und ich musste eintheilen: mein kleiner Salon enthält den Erard, das grüne Kanapée mit den beiden Fauteuils, die im Theezimmer standen; an der Wand der Kaulbach, Cornelius und die beiden Murillo'sVgl. Brief an Otto Wesendonk bei Heintz S. 34. Daneben ein kleines Cabinet mit Bücherschrank, Arbeitstisch und der wohlbekannten Causeuse (Luzerner Angedenkens). Mein Schlafzimmer habe ich mir mit einfarbigem blass violettem Papier auslegen lassen, darin ich wenige grüne Streifen zur Einrahmung habe: die Madonna della Sedia bildet den Schmuck. Ein ganz kleines Cabinetchen daneben ist zum Badezimmer hergerichtet. Das wäre denn nun zum letztenmal häuslich Fuss gefasst. Sie wissen, ich kann halten, was ich sehr ernst beschliesse: nun –: nie, nie wieder »richte« ich mich ein! Gott weiss, was dieser letzten Niederlassung ihr Ende geben wird: aber ich weiss, es wird auch mit ihr ein Ende nehmen, ehe ich sterbe: aber das weiss ich, dass ich dann kein Nest mir wieder herrichte, sondern gänzlich besitzlos erharren will, wo man mir endlich die Augen zudrücken wird.–

Diesmal kam mir endlich doch wieder der lächerliche Eifer, Alles so schnell wie möglich herzurichten, damit ich noch einmal Ruhe fände: ich übernehme mich dann, nicht aus Freude an der Sache, sondern um schnell in dem beabsichtigten Zustand anzukommen, in welchem dann gewisse Bedürfnisse, oft bis in's kleinliche befriedigt, nicht mehr störend auf mich wirken sollen. So muss es sein: denn anders kann ich mir sonst diesen lächerlichen Eifer nicht erklären, mit dem ich eine Zeit so etwas betreibe, da ich doch andrerseits weiss, wie wenig ich an alledem hafte, und wie rücksichtslos ich Alles wieder hinter mir werfen kann. Ja, lachen Sie nur! Ich lass' mir's noch einmal gefallen. –

Vor einigen Tagen lud man mich in eine musikalische Soirée, wo Sonaten, Trio's etc. aus Beethovens letzter Periode gespielt wurden. Die Auffassung und Ausführung verstimmten mich sehr, und sobald soll man mich nicht wieder fangen. Doch hatte ich einige Erlebnisse. Ich setzte mich neben Berlioz, der mir alsbald den neben ihm sitzenden Componisten Gounod – einen liebenswürdig aussehenden, redlich strebenden, aber wohl nicht sehr hoch begabten Künstler – vorstellte. Kaum war es nun bekannt, dass ich da war: so drängte es sich von allen Seiten an Berlioz, um mir durch ihn vorgestellt zu werden; sonderbarer Weise lauter Enthusiasten für mich, die meine Partituren studiert haben, ohne deutsch zu verstehen. Ich werde oft ganz confus dadurch. Ich fürchte nun manche Visite, und muss etwas auf meiner Hut sein. Die junge Charnacé habe ich bisher schändlich vernachlässigt. Besinnung habe ich – Paris gegenüber – noch nicht. Doch habe ich im Ganzen Lust, etwas zu unternehmen, rein um – die »Rheumatismen« nach Aussen abzuleiten.

Liszt's Zigeuner-Musik lese ich. Etwas zu schwülstig und phrasenhaft:Liszt hatte eine Vorrede zu den ungarischen Rhapsodien geschrieben. Fürstin Wittgenstein entwickelte diese Einleitung zu einem Buche. doch hat mir die starke Vorführung der Zigeuner-Natur (unverkennbar die Tschandala's Indiens) Prakriti (oder Sawitri) wieder lebhaft vorgeführt. Darüber ein ander Mal! –

Und nun für heute – tausend Dank! Ach! Was sage ich Alles damit!! Bald plaudre ich wieder mit dem Kind! –

R. W.


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