Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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103.

Paris, 2. Mai 60.

Ich kann doch den Mai nicht einziehen sehen, ohne Ihnen, bestes Kind, noch ein Lebenszeichen nach Rom zu senden, wo Sie nun doch wohl nicht lange mehr weilen werden. Wenn mich heute etwas vom Schreiben abhalten könnte, so wäre es wirklich nur, weil ich Ihnen so gar nichts Rechtes zu schreiben habe. Das wissen Sie aber auch schon, dass nicht das, über was ich Ihnen schreibe, in Betracht fallen kann, sondern in welcher Stimmung ich mich auslasse. Somit wäre der Gegenstand gleichgültig: aber richtig genommen, ist meine Stimmung dieser Gegenstand, der Sie interessiren kann, und hierüber lässt sich eben nicht viel sagen. Wie könnte ich in schöner Stimmung sein? – Aber, ob meine Stimmung Ihrer Theilnahme würdig sei? Auch darüber kann ich mir nicht deutlich werden: nur sagt mir tief im Innern die Stimme – es sollte anders sein!

Gott weiss, wozu ich noch da bin! So weit mein Wille dabei im Spiele ist, habe ich nicht Ursache mich meines Ausdauerns zu freuen. Die lichten Augenblicke sind gar zu spärlich. Vielleicht schwinden auch diese einst ganz, und ich – erwarte sie noch immer, halte aus, warte, – und bleibe lebend in der Nacht! –

Ihre Erinnerungen haben mich sehr ergriffen. Es ist unglaublich, welche Verwüstungen seines Daseins man ertragen kann. Was übrig bleibt, müsste ein jammervoll Kleines sein, wenn es nicht ein erhaben Grosses sein könnte. In guten Augenblicken darf ich mir mit dem Grossen schmeicheln: was ist Grösseres, als volles Aufgeben alles Glückes für die ganze Breite des Daseins und Beschränkung auf einzige Augenblicke? Sicher ist nur das Gemeine, breit, lebend und eindringlich: das Edle nur Kraft des Widerstandes; nichts Bejahung, Alles Verneinung.–

Und nun der Künstler? – Der arme Thor! Der ist so recht der Narr seines eigenen Bewusstseins: aber, er ist eben sehr künstlich so gemacht, den ewigen Widerstreit auszuhalten. Ja, immer im Widerstreit sein, nie zur vollsten Ruhe seines Inneren zu gelangen, immer gehetzt, gelockt und abgestossen zu sein, das ist eigentlich der ewig brodelnde Lebensprozess, aus dem seine Begeisterung, wie eine Blume der Verzweiflung, hervortreibt. – Nun, das weiss ich: und Sie müssen es mitfühlen! Wer wollte anders sein, als er ist?

Ich bin mir nun klar geworden, über die Wahl, die mir vorsteht: noch nicht aber darüber, wie ich wählen soll, – und wahrscheinlich wird die Wahl auch gar nicht von mir abhängen, sondern Es wird wählen, das Brahm, das Neutrum.

So heisst's: – entweder meine Werke aufführen, oder neue ausführen. Das Erste heisst so viel, als alle Consequenzen der Bejahung des Lebens bis zum Untergang über sich nehmen. Will ich meine fertigen Werke der Welt eigentlich erst erschliessen, und ihr durch ganz entsprechende Aufführungen genau zu Gefühl bringen, was sie an ihnen besitzt, so ist dies Einzige ein Unternehmen, das eine stärkste Lebenskraft vollkommen aufzehren muss. Dann – ist Alles andere Abweg, Alles Vertiefen nach Innen Verrath an meinem Vorhaben, dann – nach Aussen, Alles nach Aussen, die Welt mir unterwerfen, der Welt nur angehören, von ihr mich verrathen, demüthigen, quälen, vernichten lassen, um so in ihr Gewissen überzugehen. Dann sage ich ihr, wie Jesus seinen Jüngern beim Abendmahle: »ihr kennt nur die Milch meiner Lehre; jetzt sollt ihr ihr Blut kennen lernen; kommt und trinkt, auf dass ich in Euch sei!« –

Oder: das Zweite. Ich entsage aller Möglichkeit, meine Werke je zu hören, und je somit sie der Welt ganz zu erschliessen: es ist ein Opfer, und doch – vielleicht ist es, was meinen Genuss dabei betrifft, wohl nur ein lockendes Wahnbild; denn deutlich sagt mir die Stimme, dass ich nie zu Genuss und Befriedigung durch die Aufführung meiner Werke gelangen werde, und immer eine geheime Qual übrig bleiben wird, die mir um so marternder wird, weil ich sie wohl noch verbergen und läugnen muss, um nicht als voll Wahnsinniger zu gelten. Dann, entsagte ich diesem: – oh, welches wonnige Bild dämmert mir dann auf! Zuerst: volle, gänzliche, persönliche Armuth; nie die mindeste Sorge um Besitz mehr. Eine Familie, die mich bei sich aufnimmt, mir die bescheidensten Bedürfnisse stillt, der ich dafür Alles übergebe, was je mein sein kann. Dort nun nichts mehr thun und treiben, als meine letzten Werke schreiben: Alles, was ich noch im Kopfe habe. So überliesse ich dann ruhig auch dem Dämon, der mich erhält, denjenigen zu berufen, der einst meine Werke der Welt erschliessen solle: es hinge von meiner guten Laune ab, mir diesen vorzustellen, oder sanft es geschehen zu lassen, wenn ich mir ihn nicht möglich denken sollte. Das – das wäre mein Wunsch, und meine feste Wahl, – wenn ich zu wählen hätte! –

Der Ausfall der Wahl wird zeigen, was nöthiger war. Kann nur ich meine Werke aufführen, so wird dies geschehen; des bin ich sicher! – Kann nur ich noch die Werke schreiben, die ich im Kopfe habe, – so wird diess geschehen. Was mag nun das Schwerere sein? Oder – woran mag mehr gelegen sein? Ich glaube fast mehr an dem Ersteren. Ob noch einige neue Werke dieser Art der Welt geschenkt werden, ist dem Weltgeiste wahrscheinlich gleichgültiger, als dass diese Art Werke überhaupt, ihrem Wesen nach, der Welt vollkommen verständlich erschlossen werden. Es leuchtet ein. Für das Wesen der Dinge handelt es sich nie um die Vielheit: diese ist unwesentlich, aber die Hauptsache ist der innere Gehalt der ganzen Art. Erschliesse ich diesen vollkommen, so werfe ich dadurch ein zündendes Bewusstsein in Einzelne, die damit fähig werden, das Empfangene in Vielheit zu vermannigfaltigen. So erklären wir uns auch die ungemeine individuelle Vielheit und Mannigfaltigkeit der italienischen Malerschule, der spanischen Dichterschule u. s. w. Somit, glaube ich sicher zu erkennen, liegt dem Weltgeiste weit mehr daran, dass ich meine fertigen Werke der Welt durch vollkommene Aufführungen erschliesse, und zwar auf allermöglichst breitem Terrain, weil die Wenigen, auf die es hier für das Zünden ankommt, sehr selten, wie in der Zeit, so auch im Raum sehr zerstreut sind. Denn in einem gewissen sehr tiefen, und dem Weltgeiste einzig verständlichen Sinn, kann ich mit neuen Werken jetzt mich nur noch wiederholen: ich kann keine andere Wesenhaftigkeit mehr offenbaren. –

Somit stünde es mit der Wahl sehr übel, und mein Wunsch wird nicht dabei gefragt werden können. Aber auch hier wird ausgeholfen, und mir spiegelt sich ein trügendes Wahnbild vor, nämlich: dass ich vielleicht Beides vereinigen könnte, in Zwischenpausen, oder nach dem Kampfe wieder süsse Ruhe finden, und auch meine Werke noch vollenden würde. Oh, an Lockbildern lässt Es nie fehlen! Aber ich kenne den Dämon; und es giebt ernste Stunden, wo ich Alles weiss, kein Lockbild mich berückt, und ich – doch Alles zu ertragen mich entschliesse. Heute – schreibe ich Ihnen aus solcher Stimmung. Seien Sie mir gut, ehren Sie mich und lieben Sie mich! Ich verdiene es – um meiner Leiden willen! –

Viele tausend Grüsse! Lassen Sie bald hören, wann ich Ihnen nach Venedig schreiben soll!

An Otto antworte ich nächstens lateinisch, da das jetzt seine Lieblingssprache geworden ist. Er hat Recht, was ihm da auf lateinisch gesungen wurde, ist herrlich: ich kenne es!


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