Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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107.

Paris, 30. Sept. 60.

Mein liebes, theures Kind!

Bisher war es immer nur Unwohlsein, was mir eine Unterbrechung in meinen Beschäftigungen gestatten zu dürfen schien. Heute aber muss ich mich einmal auf eine Stunde frei machen, um – frei zu sein! –

Ach, was schwelgt das Kind in Raphael und Malerei! Was ist das schön, lieblich und beruhigend! Nur mich will das nie einmal berühren! Ich bin immer noch der Vandale, der seit einem Jahresaufenthalt in Paris nicht dazu gekommen ist, das Louvre zu besuchen! Sagt Ihnen das nicht Alles?? –

Und wie mir's sonst geht?– Denken Sie sich, dass ich jetzt auch mit aller Gewalt Musik zu erfinden suche. Venus soll besser singen lernen! Wie geht mir's da? – Dass ich Ihnen immer stumme (oder vielmehr unsichtbare) Briefe schreibe, wissen Sie wohl. In einem derselben schrieb ich Ihnen sehr viel von zwei ganz kleinen indischen Vögeln, die mir hier in's Haus gekommen sind, und die ich nicht wieder fortgeben lassen wollte, weil sie im Sommer ganz wunderlieblich sangen, und damit beim Frühstück mich stets einen Augenblick erheiterten. Das Männchen und das Weibchen, jedes hatte seinen besondern Schlag, sehr fein und melancholisch melodisch.

Endlich gegen Mitte August, als ich vom RheinausflugGlasenapp II, 2, 275. zurückkomme, höre ich das Weibchen gar nicht mehr, und das Männchen immer nur zwitschernd, immer ängstlicher und angestrengter, um den melodischen Schlag wieder zu finden: – umsonst, er gelang nicht mehr! Er konnte nicht mehr singen. Ich hatte das nie beobachtet, sondern eben nur gehört, dass die Singvögel von Ende Sommer an verstummen, und erst mit dem Nahen des Frühjahrs wieder ihr Lied beginnen. Aber ich dachte, ihr Geschäft sei nun einmal abgethan um diese Zeit, und sie fänden dann grade nur kein Bedürfniss mehr, und vergässen es so! Aber das lehrte es mich nun anders: mein Männchen schien ganz erstaunt über sich, dass ihm die Melodie abhanden gekommen sei, und er sie mit keiner Anstrengung wieder hervorbringen könne. Das hat mich ganz ungemein gefesselt und ergriffen! Diese Entfremdung des innersten Wesens, dieses Versagen der melodischen Kraft! Wem gehört sie an? Dem Vogel? – oder wer leiht sie ihm nur? Gewiss ist es, dass nur ein extatischer Zustand die Melodie ihm ermöglicht: dieser Zustand wird ihm so zur Gewohnheit in der rechten Zeit, dass er, sobald die andre Zeit kommt, eben ganz erschrocken ist, den Zauber plötzlich von sich gewichen zu sehen. Endlich gewöhnt er sich wohl daran: etwas in ihm sagt ihm, im Frühjahr werde er wieder singen können! – Ich schrieb Ihnen viel hierüber. Das Zwitschern und klägliche Zirpen dauerte noch lange. – Jetzt: – ein andrer Brief! – Denken Sie sich! – eines Morgens fängt das Weibchen an zu zwitschern und – gelangt richtig zu seinem ganzen Schlag, den es nun rastlos wohl zehnmal hintereinander wiederholte! – Ich war ausser mir! – Was sollte ich dazu sagen? War es eine Anomalie? Giebt es auch in der Natur Ausnahmen? So viel weiss ich, dem Weibchen war's gelungen: seitdem habe ich's aber nicht wieder gehört. –

Ach! wenn nur der Himmel wenigstens einmal wieder rein werden wollte! Wie halt' ich nur das schon seit einem ganzen Jahre aus? Es hilft aber nichts: trotz Himmel und Herbst, ich muss componiren. Und geschriftstellert habe ich auch schon. Ich werde Ihnen das Buch bald schicken. Die Verse zum Tannhäuser sind deutsch noch nicht in Ordnung: ich gebe Ihnen den Entwurf, nach welchem sie französisch ausgeführt wurden, und diese französischen Verse musste ich componiren! Was sagen Sie dazu? Weiss Gott! Am Ende geht Alles! Aber wie? Doch ist mir all diese Beschäftigung recht. Sie verdeckt diese Weltfremde, in der ich nun immer bleiben werde. Ich muss aushalten: das will dieselbe Macht, die meine Vögel singen und wieder schweigen lässt. Aber zur eigentlichen, persönlichen Besinnung darf ich nicht viel kommen: denn da ist nichts wie Wüste und Hoffnungslosigkeit. Ich muss das nun so bevölkern mit Beschäftigung, und wird diese mir zuwider, so helfen die Sorgen weiter zu leben. Und Frau Sorge bleibt immer treu. –

Machen Sie sich aber keine falschen Vorstellungen: mit Gewalt würde ich an nichts festhalten. Am Wenigsten würde ich mich z. B. mit diesem Pariser Tannhäuser abgeben, wenn ich hier etwas zu ertrotzen, oder gar etwas aufzuopfern hätte. Im Gegentheil mache ich gute Miene zu diesem närrischen Spiele, weil man mir so gute Miene entgegenbringt. Was Aufführungen meiner Werke betrifft, habe ich's in meinem Leben noch nicht so gut gehabt und werde es auch wohl nie wieder so haben. Alles, was ich nur irgend verlange, geschieht: nirgends der mindeste Widerstand. Jetzt haben die Klavierproben begonnen. Zeit wird im wohlthuendsten Sinne verwendet. Jedes Detail wird meiner Prüfung unterworfen: die Decorationspläne habe ich dreimal verworfen, ehe man's mir recht machte. Jetzt wird Alles vollkommen, und die Aufführung wird jedenfalls – wenn sie nicht an das Ideal reicht – die beste, die je stattgefunden und in Zukunft so bald wieder stattfinden kann. Vor Allem verlasse ich mich auf meinen Recken: Niemann. Der Mensch hat unerschöpfliche Fähigkeiten. Noch ist er fast roh, und Alles that in ihm bisher nur der Instinct. Jetzt hat er Monate lang nichts anderes zu thun, als sich von mir leiten zu lassen. Alles wird bis auf den letzten Punkt studirt. – Zur Elisabeth habe ich eine ebenfalls noch halbwilde, junge Sängerin, Sax: ihre Stimme ist wundervoll und unverdorben und ihr Talent ergiebig. Sie ist mir gänzlich unterworfen. – Venus – Mad. Tedesco, für mich eigens engagirt, hat einen süperben Kopf zu ihrer Rolle; nur ist die Gestalt fast etwas zu üppig. Das Talent sehr bedeutend und geeignet. – Wolfram machte die letzten Schwierigkeiten; ich habe endlich einen Herrn Morelli engagiren lassen, einen Mann von stattlichem Aussehen und wunderschöner Stimme. Ich muss nun sehen, wie ich ihn einstudire. Glücklicherweise wird die Oper nicht eher gegeben, als bis ich ganz mit dem Studium zufrieden bin. Und diess ist wichtig. – Ich konnte ein so wichtiges Anerbieten nicht von der Hand weisen! –

An der Oper hat man mich bereits lieb gewonnen; es findet in allen meinen Relationen nichts Gezwungenes mehr statt: man hat begonnen mich zu verstehen, widerspricht mir in nichts, und freut sich der Dinge, die da kommen sollen. – So wäre denn das Alles recht schön: wenn mir es nur sonst bei meiner ganzen Existenz etwas wohler wäre. Mir hilft Alles nichts! Ich wache traurig auf, und lege mich traurig nieder. Das böse Wetter mag mit daran Schuld haben: die Momente des Wohlseins werden gar so selten, und das Unbehagen, ja die Angst, machen sich immer breiter. –

Nun geben Sie aber auch auf diese Klagen nicht zu viel. Am Ende bin ich immer noch fähig, das grösste Wohlgefühl zu empfinden, sobald nur ein bedeutender schöner Eindruck kommt. Sie wissen, an meinem letzten Geburtstage that es der Ostwind. Heute hatten wir den ersten Herbstnebel: er erinnerte mich stark an Zürich. Vielleicht bringt er gutes Wetter. Das hilft dann viel. – Etwas habe ich auch schon an der Musik meiner neuen Scene gearbeitet. Sonderbar: alles Innerliche, Leidenschaftliche, fast möchte ich's: Weiblich-Extatisches nennen, habe ich damals, als ich den Tannhäuser machte, noch gar nicht zu Stande bringen können: da habe ich Alles umwerfen und neu entwerfen müssen: wahrlich, ich erschrecke über meine damalige Coulissen-Venus! Nun, das wird diesmal wohl besser werden, – zumal wenn der Nebel gut Wetter bringt. Aber das Frische, Lebenslustige im Tannhäuser, das ist Alles gut, und ich kann da nicht das mindeste ändern: alles, was den Duft der Sage um sich hat, ist auch schon da ätherisch; Klage und Busse Tannhäusers durchaus gelungen: die Gruppirungen unverbesserlich. Nur in leidenschaftlichen Zügen habe ich auch sonst dann und wann nachhelfen müssen: z. B. habe ich eine sehr matte Passage der Violinen bei Tannhäusers Aufbruch am Schlusse des zweiten Aktes durch eine neue ersetzt, die sehr schwer ist, mir aber einzig genügt. Meinem hiesigen Orchester kann ich aber Alles bieten: es ist das erste der Welt. –

Und genug vom Tannhäuser! – Dann und wann plaudre ich viel mit Ihnen auch über Menschen, die mir begegnen: doch wüsste ich diesen Augenblick nichts sonderliches hervorzuheben: es möchte vieles wichtiger aussehen, wie es ist. Im Ganzen lebe ich fortwährend durchaus einsam. Es bekommt mir nichts besser. Oft aber ist doch auch meine Einsamkeit mismuthig. Was hilft dann? – Erinnerung und – Schlaf! –

Höchst abgeneigt bin (ich) den Plänen geworden. Selbst für eine Aufführung des Tristan habe ich noch gar nichts projectirt. Ich denke immer, das Rechte muss einmal von selbst kommen. Einstweilen hat sich Königin Victoria in den Kopf gesetzt, diesen Winter den Lohengrin hören zu wollen. Der Director des Coventgarden-Theaters suchte mich auf, die Königin wünscht Lohengrin englisch – im Februar soll es sein. Noch weiss ich nichts Näheres, und ob ich mich werde damit abgeben können. Drollig wäre es, wenn ich diess Werk auf englisch zum ersten Mal hören sollte! –

Und nun ziehe ich bald aus. Vom 15ten October an wohne ich 3, rue d'Aumale.Glasenapp II, 2, 261 ff. 278 ff. Es ist eine kleinere Wohnung, und ich hoffe drin nicht dichten noch componiren zu müssen: sie kann nur zum Geschäftscomptoir taugen. Meinen Prozess habe ich halb verloren; man zahlt mir keinen Sou Entschädigung. Ach! wann wäre ich denn auch jemals zu etwas gekommen. Das war eine böse, höchst verunglückte Sache: die Wohnung selbst, die ich wegen ihrer Stille wählte, wurde durch die Demolitionen des Quartiers über alle Maassen lärmend und unerträglich. Man behauptet, mein Proprietaire habe nichts davon gewusst. Möglich! –

Nun, Kind! Ihnen ist's besser gegangen, das ist mein Trost! Der Himmel segne Ihre schönen Bilder und vor Allem das Porträt! Auch ich werde das Alles ja bald einmal sehen. – Grüssen Sie Otto tausendmal! Ich schreibe nun ihm das nächste Mal. Noch Eines. Auf dem Rhein, in der Gegend von Rolandseck, stiegen schlanke, blonde Kinder ein, – dann stiegen sie wieder aus. Das war ganz der Kinderschlag: Eines sah sogar der Myrrha ähnlich! Ich wusste wohl, dass Sie da zu Hause waren!

Tausend Grüsse, und mein ganzes Herz! –

R. W.

Und nun noch der Entwurf zu den neuen Tannhäuserversen.

Schlagen Sie auf! Nach dem dritten Vers des Tannhäuser:

Venus (in Zorn ausbrechend) – bis zu den Worten:

»Zieh hin, Bethörter, suche dein Heil!
»Suche dein Heil, und find' es nie!« –

Nun soll folgen, etwa: –

»Die du bekämpft, die du besiegt,
»Die du verhöhnt mit jubelndem Stolz,
»Flehe sie an, die du verlacht;
»Wo du verachtest, jamm're um Huld!
»Deiner Schande Schmach blüht dir dann auf;
»Gebannt, verflucht, folgt dir der Hohn:
»Zerknirscht, zertreten seh' ich dich nahn,
»Bedeckt mit Staub das entehrte Haupt:
»O, fändest du sie wieder,
»Die einst dir gelacht!
»Ach, öffneten sich wieder
»Die Thore ihrer Pracht.« –
»Da liegt er vor der Schwelle,
»Wo einst ihm Freude floss:
»Um Mitleid, nicht um Liebe,
»Fleht bettelnd der Genoss.
»Zurück der Bettler! Sclaven nie,
»Nur Helden öffnet sich mein Reich!«

Tannhäuser.
»Der Jammer sei dir kühn gespart,
»Dass du entehrt mich nahen säh'st:
»Für ewig scheid' ich: Lebe wohl!
»Der Göttin kehr' ich nie zurück.«

Venus.
»Ha! Kehrtest du mir nie zurück! –
»Was sagt' ich? – was sagt er? –
»Wie es denken? – Wie es fassen? –
»Mein Trauter – ewig mich verlassen!«
»Wie hätt' ich das verschuldet?
»Der Göttin aller Hulden,
»Wie ihr die Wonne rauben
»Dem Freunde zu vergeben?
»Wie lächelnd unter Thränen
»Ich sehnsuchtvoll dir lauschte,
»Den stolzen Sang zu hören,
»Der rings so lang verstummt:
»O könntest je du wähnen,
»Dass ungerührt ich bliebe,
»Dräng' deiner Seele Seufzen
»In Klagen zu mir her?
»Dass ich in deinen Armen
»Mir letzte Tröstung fand,
»Lass dess mich nicht entgelten,
»Verschmäh' nicht meinen Trost! –
»Ach, kehrtest du nicht wieder,
»Dann träfe Fluch die Welt,
»Für ewig läg' sie öde,
»Aus der die Göttin schwand! –
»Kehr' wieder! Kehr' mir wieder!
»Trau' meiner Liebeshuld!«

Tannhäuser.
»Wer, Göttin, dir entflieht,
»Flieht ewig jeder Huld.

Venus.
»Nicht wehre stolz dem Sehnen,
»Wenn neu dich's zu mir zieht!

Tannhäuser.
»Mein Sehnen drängt zum Kampfe;
»Nicht such' ich Wonn' und Lust!
»O, Göttin, woll' es fassen,
»Mich drängt es hin zum Tod!

Venus.
»Wenn selbst der Tod dich meidet,
»Ein Grab dir selbst verwehrt?

Tannhäuser.
»Den Tod, das Grab im Herzen,
»Durch Busse find' ich Ruh'.

Venus.
»Nie ist dir Ruh' beschieden,
»Nie findest du das Heil:
»Kehr' wieder, suchst du Frieden,
»Kehr' wieder, suchst du Heil!

Tannhäuser.
»Göttin der Wonne, nicht in dir –,
»Mein Fried', mein Heil liegt in Maria!«


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