Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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75.

Luzern, 29. Mai 59.

So geht der Mai zu End', und ich soll nicht auf den Rigi kommen? Gestern war Alles bestellt, als der Herr des Himmels wieder sein Veto einlegte. Glücklicherweise war es mit der Arbeit erträglich gegangen: das hilft dann.

Währenddem haben wir denn nun auch den guten Soldaten begraben: ich glaube wohl, er stand bei Garibaldi, der seine Leute nicht schonen soll, weshalb ich recht froh bin, dass de Sanctis nicht zu ihm gegangen ist. Dass Sie solch frischen Muth haben, freut mich. Ich hab' weder Muth noch Unmuth; das schlechte Wetter lehrt mich Ergebung. Man hat doch immer nur sich, von dem man lebt; gut Wetter am Himmel und in der Welt, kann helfen, besser und leichter von sich zu leben: endlich muss man aber doch auch da, wie unter allen Umständen, die Kosten selbst tragen. In uns hinein kommt nichts, was nicht schon sympathisch darin ist. Und hat man sich aufgezehrt, so hat's ein Ende, mag man von draussen Pflaster darauf streichen, wie man will. Somit – Geduld, so lange noch 'was zu zehren ist! –

So, das gelte für etwas Philosophie. Nun noch, was die Poesie betrifft, hat Ihnen meine Abänderung im Götheschen »freudvoll und leidvoll« mit Unrecht Bedenken gemacht: Sie sollten nur darüber lachen. Nichts weiter! – Unter allen gepriesenen Dingen, ist mir die »Redlichkeit« leider zu etwas Lächerlichem gemacht worden, und das fängt wohl vom

»Ueb' immer Treu' und Redlichkeit«

an, welches das erste Stückchen war, was ich auf dem Klavier lernte. Dann kam »den König segne Gott« und dann der »Jungfernkranz« dran. Auch Heine hat sich einmal recht hübsch drüber lustig gemacht, als er die Hamburger Börse beschreibt, »wo unsre Väter so redlich wie möglich mit einander handelten.« Es wird da immer so gehen, wo man ein Accidenz, ein Symptom, zum eigentlichen Inhalt einer Handlungsweise macht. Der Aechte, dem es nur um das Aechte zu thun ist, kann nicht anders als redlich sein: was wäre aber Redlichkeit ohne Aechtheit? –

Und – Karl Ritter hat mir doch noch geschrieben, nur hatte sich der Brief durch die Post verspätigt. Mich freute das sehr. Er steckt in Rom, traf Winterberger vor der Peterskirche an, hat sich in die flache Kuppel des Pantheons verliebt, und schreibt mir über seine interessanten Verhältnisse ganz verzweifelt naiv. Er ist und bleibt ein sehr origineller Mensch. Keinesweges aus Sorgfalt, mich den Seinigen gegenüber nicht zu compromittiren, hat er mir etwa nicht geschrieben, sondern bloss weil er glaubte, ich erhielte so schon zu viel Briefe und er mir nicht beschwerlich fallen wollte. Darauf habe ich ihm denn ordentlich gedient! –

30. Mai.

Nach der Arbeit strecke ich mich gewöhnlich ein wenig aus, um die Augen für eine Viertelstunde zu schliessen. Gestern wollte ich nicht nachgeben, und dafür Ihnen noch schreiben. Es rächte sich aber: mich überfiel ein völliger Schwindel; ich musste abbrechen. – Sehen Sie, so steht's mit mir. – Heute setze ich mich noch einen Augenblick vor der Arbeit her, und habe dazu die Freude, noch ein paar freundliche Zeilen von Ihnen beantworten zu können, die mir der schöne Morgen brachte. Denn – schön ist's heut'! –: ob dauerhaft, steht noch zu bezweifeln. Der frühe Morgen ist mir in Bezug auf Witterung jetzt das wichtigste, und ich lasse zur Noth dafür den Nachmittag fahren. Denken Sie nur, seit meinem Geburtstag bin ich jeden Morgen um 6 Uhr auf den Beinen, trinke mein Kissinger und promenire dazu bis gegen 8 Uhr. Glücklicher Weise waren bis jetzt die Morgen wenigstens erträglich. Liebes Kind, ich gönnte auch Ihnen die Erfrischung dieser Morgenpromenaden: ich befinde mich seitdem ganz merklich besser; die leichte Ermüdung des ungewohnten frühen Spatzierganges geht nach etwas wenig Ruhe schnell vorüber, und wirkt desto befreiender und erleichternder. Sie kennen das gewiss auch schon von Ihren verschiedenen Badekuren her. Allein man vergisst es, und doch sollte man dieses Regime für alle Sommer, als wirklich nervenstärkend und bluterfrischend, beibehalten. Der eigentliche Tag ist im Sommer doch nicht im Freien zu verbringen: die Morgen dagegen sind das eigentlich erkräftigende, während die Abende eben nur das beruhigende sind. Am Tag über kann man lieber einmal eine gehörige Siesta halten. Freilich auch Abends nicht spät schlafen gehen. Das kommt dann aber alles mit einander. Ich werde es nun den ganzen Sommer so halten, wo ich auch sei, und später vielleicht noch früher mich aufmachen. So lebhaft und überzeugend ist diesmal diese Wirkung der frühen Morgenpromenaden mir aufgefallen. Folgen Sie mir doch ja! Wesendonk wird gewiss nichts darwider haben, im Gegentheil Sie loben. Das, was Ihnen an einem solchen Morgen verloren geht, kann Ihnen der ganze Tag, selbst mit dem Abend, nicht ersetzen: er ist die schöne Blüthenknospe des Tages, der eigentliche Kern der Sommerfreude. Und da wir uns so Sonne und Sommer wünschen, sollte man doch auch wissen, was eigentlich daran das Schönste ist. –

Zur Arbeit habe ich die Sonne auch über alles gern, aber eben die abgehaltene, gegen die man sich angenehme Kühlung zu verschaffen sucht. Sie wirkt dann, wie Beifall, Ruhm und Ehre, die man verschmäht, von denen es aber doch ein behagliches Gefühl erweckt, dass man aus Reichthum sie draussen liegen lässt: umgekehrt werden wir an unsre Armuth erinnert! wer Licht und Wärme suchen muss, ist eben traurig dran.

Ich bin jetzt mit der Ausarbeitung der ersten Hälfte meines Actes beschäftigt. Ueber die leidenden Stellen komme ich immer nur mit grossem Zeitaufwand hinweg; ich kann da im guten Fall in einem Zuge nur sehr wenig fertig bringen. Die frischen, lebhaften, feurigen Partien gehen dann ungleich rascher von Statten: so lebe ich auch bei der technischen Ausführung »leidvoll und freudvoll« Alles mit durch, und hänge ganz vom Gegenstande ab. Dieser letzte Act ist nun ein wahres Wechselfieber: – tiefstes, unerhörtestes Leiden und Schmachten, und dann unmittelbar unerhörtester Jubel und Jauchzen. Weiss Gott, so ernst hat's noch Keiner mit der Sache genommen, und Semper hat Recht. Das hat mich auch allerneuestens wieder gegen den Parzival gestimmt. Es ging mir kürzlich nämlich wieder auf, dass diess wieder eine grundböse Arbeit werden müsse. Genau betrachtet ist Anfortas der Mittelpunkt und Hauptgegenstand. Das ist denn nun aber keine üble Geschichte das. Denken Sie um des Himmels willen, was da los ist! Mir wurde das plötzlich schrecklich klar: es ist mein Tristan des dritten Aktes mit einer undenklichen Steigerung. Die Speerwunde, und wohl noch eine andre – im Herzen, kennt der Arme in seinen fürchterlichen Schmerzen keine andre Sehnsucht, als die zu sterben; diess höchste Labsal zu gewinnen, verlangt es ihn immer wieder nach dem Anblick des Grals, ob der ihm wenigstens die Wunden schlösse, denn Alles Andre ist ja unvermögend, nichts – nichts vermag zu helfen: – aber der Gral giebt ihm immer nur das Eine wieder, eben dass er nicht sterben kann; gerade sein Anblick vermehrt aber nur seine Qualen, indem er ihnen noch Unsterblichkeit giebt. Der Gral ist nun, nach meiner Auffassung, die Trinkschale des Abendmahles, in welcher Joseph von Arimathia das Blut des Heilands am Kreuze auffing. Welche furchtbare Bedeutung gewinnt nun hier das Verhältniss des Anfortas zu diesem Wunderkelch; er, mit derselben Wunde behaftet, die ihm der Speer eines Nebenbuhlers in einem leidenschaftlichen Liebesabenteuer geschlagen, – er muss zu seiner einzigen Labung sich nach dem Segen des Blutes sehnen, das einst aus der gleichen Speerwunde des Heilands floss, als dieser, Weltentsagend, Welterlösend, Weltleidend am Kreuze schmachtete! Blut um Blut, Wunde um Wunde – aber hier und dort, welche Kluft zwischen diesem Blute, dieser Wunde! Ganz hingerissen, ganz Anbetung, ganz Entzückung bei der wundervollen Nähe der Schale, die im sanften, wonnigen Glänze sich röthet, giesst sich neues Leben durch ihn aus – und der Tod kann ihm nicht nahen! Er lebt, lebt von neuem, und furchtbarer als je brennt die unselige Wunde ihm auf, seine Wunde! Die Andacht wird ihm selbst zur Qual! Wo ist Ende, wo Erlösung? Leiden der Menschheit in alle Ewigkeit fort! – Wollte er im Wahnsinn der Verzweiflung sich gänzlich vom Gral abwenden, sein Auge vor ihm schliessen? Er möchte es, um sterben zu können. Aber – er selbst, er ward zum Hüter des Grales bestellt; und nicht eine blinde äussere Macht bestellte ihn dazu, – nein! weil er so würdig war, weil Keiner wie er tief und innig das Wunder des Grales erkannt, wie noch jetzt seine ganze Seele endlich immer wieder nach dem Anblicke drängt, der ihn in Anbetung vernichtet, himmlisches Heil mit ewiger Verdammniss gewährt! –

Und so etwas soll ich noch ausführen? und gar noch Musik dazu machen? – Bedanke mich schönstens! Das kann machen wer Lust hat; ich werde mir's bestens vom Halse halten! –

Es mag das jemand machen, der es so à la Wolfram ausführt; das thut dann wenig und klingt am Ende doch nach etwas, sogar recht hübsch. Aber ich nehme solche Dinge viel zu ernst. Sehen Sie doch, wie leicht sich's dagegen schon Meister Wolfram gemacht! Dass er von dem eigentlichen Inhalte rein gar nichts verstanden, macht nichts aus. Er hängt Begebniss an Begebniss, Abenteuer an Abenteuer, giebt mit dem Gralsmotiv curiose und seltsame Vorgänge und Bilder, tappt herum und lässt dem ernst gewordenen die Frage, was er denn eigentlich wollte? Worauf er antworten muss, ja, das weiss ich eigentlich selbst nicht mehr wie der Pfaffe sein Christenthum, das er ja auch am Messaltar aufspielt, ohne zu wissen, um was es sich dabei handelt. – Es ist nicht anders. Wolfram ist eine durchaus unreife Erscheinung, woran allerdings wohl grossentheils sein barbarisches, gänzlich confuses, zwischen dem alten Christenthum und der neueren Staatenwirthschaft schwebendes Zeitalter schuld. In dieser Zeit konnte nichts fertig werden; Tiefe des Dichters geht sogleich in wesenloser Phantasterei unter. Ich stimme fast jetzt Friedrich dem Grossen bei, der bei der Ueberreichung des Wolfram dem Herausgeber antwortete, er solle ihn mit solchem Zeuge verschont lassen! – Wirklich, man muss nur einen solchen Stoff aus den ächten Zügen der Sage sich selbst so innig belebt haben, wie ich diess jetzt mit dieser Gralssage that, und dann einmal schnell übersehen, wie so ein Dichter, wie Wolfram, sich dasselbe darstellte – was ich jetzt mit Durchblätterung Ihres BuchesVgl. Anmerkung zum vorigen Brief. Vgl. oben S. 140. that – um sogleich von der Unfähigkeit des Dichters schroff abgestossen zu werden. (Schon mit dem Gottfried v. Strassburg ging mir's in Bezug auf Tristan so). Nehmen Sie nur das Eine, dass dieser oberflächliche »Tiefsinnige« unter allen Deutungen, welche in den Sagen der Gral erhielt, grade die nichtssagendste sich auswählt. Dass dieses Wunder ein kostbarer Stein sein sollte, kommt allerdings in den ersten Quellen, die man verfolgen kann, nämlich in den arabischen der spanischen Mauren, vor. Leider bemerkt man nämlich, dass alle unsre christlichen Sagen einen auswärtigen, heidnischen Ursprung haben. Unsre verwundert zuschauenden Christen erfuhren nämlich, dass die Mauren in der Kaaba zu Mekka (aus der vormohamedanischen Religion stammend) einen wunderbaren Stein (Sonnenstein – oder Meteorstein – allerdings vom Himmel gefallen) verehrten. Die Sagen von seiner Mirakelkraft fassten bald aber die Christen auf ihre Weise auf, und brachten das Heiligthum mit dem christlichen Mythus in Berührung, was andrerseits dadurch erleichtert ward, dass eine alte Sage in Süd-Frankreich bestand, dorthin habe sich einst Joseph von Arimathia mit der heiligen Abendmahlsschale geflüchtet, was ganz mit dem Reliquienenthusiasmus der ersten christlichen Zeit stimmt. Nun erst kam Sinn und Verstand hinein, und wirklich bewundere ich mit völligem Entzücken diesen schönen Zug christlicher Mythenbildung, der das tiefsinnigste Symbol erfand, das je noch als Inhalt des sinnlich-geistigen Kernes einer Religion erfunden werden konnte. Wen schauert es nicht von den rührendsten und erhabensten Gefühlen, davon zu hören, dass jene Trinkschale, aus der der Heiland seinen Jüngern den letzten Abschied zutrank, und in der endlich das unvertilgbare Blut des Erlösers selbst aufgefangen und aufbewahrt ward, vorhanden sei, und wem es beschieden, dem Reinen, der könne es selbst schauen und anbeten. Wie unvergleichlich! Und dann die doppelte Bedeutung des einen Gefässes, als Kelch auch beim heiligen Abendmahl –, offenbar dem schönsten Sacramente des christlichen Cultus! Daher denn auch die Sage, dass der Gral (Sang Réal) (daraus San(ct) Gral) die fromme Ritterschaft einzig ernähre, und zu den Mahlzeiten er Speise und Trank gewähre. – Und diess alles nun so sinnlos unverstanden von unsrem Dichter, der eben nur für den Gegenstand die schlechten französischen Ritterromane seiner Zeit hernahm, und ihnen nachschwatzte wie ein Stahr! Schliessen Sie hieraus auf Alles übrige! Schön sind nur einzelne Schilderungen, in denen überhaupt die mittelalterlichen Dichter stark sind: da herrscht schön empfundene Anschaulichkeit. Aber ihr Ganzes bleibt immer wüst und dumm. Was müsste ich nun mit dem Parzival Alles anfangen! Denn mit dem weiss Wolfram nun auch gar nichts: seine Verzweiflung an Gott ist albern und unmotivirt, noch ungenügender seine Bekehrung. Das mit der »Frage« ist so ganz abgeschmackt und völlig bedeutungslos. Hier müsste ich also rein Alles erfinden. Und noch dazu hat's mit dem Parzival eine Schwierigkeit mehr. Er ist unerlässlich nöthig als der ersehnte Erlöser des Anfortas: soll Anfortas aber in das wahre, ihm gebührende Licht gestellt werden, so wird er von so ungeheuer tragischem Interesse, dass es fast mehr als schwer wird, ein zweites Hauptinteresse gegen ihn aufkommen zu lassen, und doch müsste dieses Hauptinteresse sich dem Parzival zuwenden, wenn er nicht als kalt lassender Deus ex machina eben nur schliesslich hinzutreten sollte. Somit ist Parzivals Entwickelung, seine erhabenste Läuterung, wenn auch prädestinirt durch sein ganzes sinniges, tief mitleidsvolles Naturell, wieder in den Vordergrund zu stellen. Und dazu kann ich mir keinen breiten Plan wählen, wie er dem Wolfram zu Gebote stand: ich muss Alles in drei Hauptsituationen von drastischem Gehalt so zusammendrängen, dass doch der tiefe und verzweigte Inhalt klar und deutlich hervortritt; denn so zu wirken und darzustellen, das ist nun einmal meine Kunst. Und – solch eine Arbeit sollte ich mir noch vornehmen? Gott soll mich bewahren! Heute nehme ich Abschied von diesem unsinnigen Vorhaben; das mag Geibel machen und Liszt mag's componiren! –Wenn meine alte Freundin Brünnhilde in den Scheiterhaufen sprengt, stürz' ich mich mit hinein, und hoffe auf ein seliges Ende! Dabei bleib' es! Amen!

Nun, da hätte ich mich einmal schön vergralt! Nehmen Sie's für eine Vorlesung, zu der Sie nicht nöthig hatten in's Züricher Rathhaus zu gehen! Heute bekommen Sie nicht mehr, trotz des letzten schönen Zwiebackes! – Ich will sehen, ob ich noch ein wenig Musik machen kann! Leben Sie wohl, halten Sie Pfingsten im Auge, und – promeniren Sie recht früh im Garten! Tausend Grüsse!

Ihr
R. W.


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