Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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79.

Luzern, 21. Juni 59.

Die Laune ist doch offenbar mit dem besten Willen nicht aufrecht zu halten! Wie geht es Ihnen?

Vorgestern nahm ich mit Lust die Composition wieder auf: gestern stockte es, und heute fange ich gar nicht erst an. Dieses Gottverlassene Wetter hemmt alle Geister, Wolken und Regen lasten wie Blei! Ich glaubte nun wirklich, die preussische Mobilmachung sollte uns von Norden her etwas Wind machen: noch bleibt's aber bei Süd und West. Es ist rein zum Verzweifeln. Und das nun seit 3 Monaten an einem Orte zu erleben, wo helles Wetter die conditio sine qua non aller Möglichkeit des Aushaltens ist! Am verdriesslichsten bin ich, wenn der Regen mich jetzt von meinem Morgen-Spatzier-Ritt abhält. Für das Reiten habe ich eine Leidenschaft gefasst: ich habe da so eine unmittelbare Gesellschaft an dem Pferd, das mit mir während der Bewegung ganz zu Eins verwächst, mir immer Aufmerksamkeit und Beschäftigung mit sich abnöthigt, und so einen völlig angenehmen Umgang gewährt, wobei eben das ganz Eigenthümliche mitwirkt, das Alles zusammen fällt in eine stete Berührung.

Ueber das Reiten könnte ich Ihnen noch viel schreiben. Ich muss mich hüten eine Passion für das Pferd aufkommen zu lassen, weil ich da wieder etwas kennen lernen könnte, was mir versagt bleiben muss. Und Vielem und manchem habe ich doch nun schon entsagt, und der Wanderung des ewigen Juden darf kein Pferd beigegeben sein.

Vorgefallen ist nichts. Meine discreten Freunde beobachten ehrerbietiges Schweigen. Selbst die Musikzeitung misst uns das gefeierte Zukunftsfest brockenweise zu. Ich wünsche jetzt fast für diesen Sommer nun keinen Besuch von dort her zu erhalten; vor der Beendigung des Tristan würde mich ein solch lärmender Hineinfall fast nur stören: sie meinen Alle doch so etwas ganz Anderes als ich; darüber muss man sich ohne alle Bitterkeit klar werden. Nur mit wirklichem Grausen denke ich doch an das Treiben von 1856 im Herbst zurück; und wenn ich mich entsinne, welche Qualen mir die Besuche im vorigen Sommer verursachten, wo ich endlich nur noch die Stunden ihrer Abreise zählte, so kann ich nicht recht begreifen, wie ich jetzt anders als mit Bangigkeit jenen Besuchen entgegen sehen könnte. Und doch wären diese Besuche nur von Liebe zu mir eingegeben. Das ist bedenklich! Was ich wohl noch für ein Kauz werden mag! Vielleicht wird mir's anders, wenn der Tristan fertig ist! Noch hat er mich: dann habe ich ihn. –

Viele schöne Zwiebäcke kamen gestern an: mein Hausstand wächst dadurch in's Ungeheure; wie soll das einmal mit all' den Schachteln werden? Wir müssen da etwas ausdenken. –

Kürzlich amüsirte mich ein Extrablatt zum Intelligenzblatt;Glasenapp II, 2, 211 f. ich vermuthete Herwegh als Verfasser, und frug ihn deshalb mit ein paar Zeilen. Mit Freude bekannte er sich dazu. Mir macht der Eifer Spass. Der Artikel war hier und da etwas ausgelassen, aber wirklich mit viel Witz geschrieben, mit mehr, als ich bisher an Herwegh kannte. So etwas ist schon genug, um Anerkennung und Hoffnung zu erwecken. Das, worum es sich handelt, ist so grauenvoll und trostlos, dass wirklich nur Witz und Ironie einem den Anblick der Welt erträglich machen kann; es spricht sich darin zugleich das offene Zugeständniss der Elendigkeit der Welt aus, während unsre Schwäche, dem gegenüber, nicht bemäntelt, sondern ebenfalls zugestanden wird. Wer dazu eine ernste Miene machen, dabei hoffen und wollen kann, der steckt eben noch tief in der Täuschung selbst drin. Bei H. ist das nun immer noch der Fall; doch verbirgt sich das im Eifer der Negation der irrigen Bestrebungen Andrer: und in diesem Spiele wird er eben witzig. Ueber Shakespeare, den er einmal citirt, musste ich wieder lange lachen, was mich denn auf mein Lieblingsthema, den Umgang mit den Grossen brachte, der uns schliesslich doch immer wieder am Besten über die Welt hinweghilft. Dieses wunderbare witzige Lächeln am Shakespeare! Diese göttliche Weltverachtung! – Es ist wirklich das Höchste, wozu der Mensch aus dem Elend sich aufschwingen kann: das Genie kann es nicht weiter bringen: – nur der Heilige! Der braucht dann allerdings keinen Witz mehr.

Auch ich fühle mich nach Leiden immer erst genesen, sobald dieses Lächeln mir wieder durch den Geist zieht, das unter Umständen, wenn die Enttäuschung über besonders grosse Illusionen mit hinzu tritt, bis zum herzlichen Lachen arten kann. Bei der Politik ertappe ich mich zuweilen beim Zuernstnehmen; die mindeste Hoffnung auf die Vernunft und das Wohlwollen der Menschen ist verführerisch; sie führt uns immer auf Abwege, von denen man nicht schnell genug zurückkommen kann, weil man auf diesem Wege endlich auch den Menschen Unrecht thut. Man muss sich immer wieder sagen, dass Vernunft und Wohlwollen nie in der Geschichte thätig sind, und der Natur der Menschen nur so viel davon inne wohnt, dass sie als Gattung nicht gänzlich zu Grunde gehe, wogegen sie dem Individuum wohl aus dem Leben hinweg, nicht im Leben drinnen hilft. Wie viel Hoffnungen werden auch jetzt wieder zertrümmert werden! Wie deutlich wird auch der Ausgang des jetzigen Kampfes dem Edeln wieder zeigen, dass er nicht da seine Erlösung zu suchen hat, wo jedes Schlachtfeld ihm zeigt, wer der Herr der Welt ist. Und wer wird's verstehen? Eine neue Generation kommt, und das alte Spiel geht wieder los! So kann einem selbst beim Anblick des Schlachtfeldes ein Lächeln ankommen über den ewigen Spott, den wir mit uns selbst treiben. Doch – das führt weit! Drum lassen wir's heute –! Man muss auch das nicht zu ernst nehmen. Blind bleiben wir immer! – Tausend Grüsse! –

R. W.


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