Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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99.

1. Januar 1860.

Freundin, ich lebe noch! Diess das merkwürdigste, was ich Ihnen zu Neujahr melden kann.

Weiss Gott, wie es kam, dass ich mir schmeichelte, heute einen Gruss von Ihnen zu haben. Unsre Briefe sind jedoch jetzt sehr langsam und unberechenbar. Aus dem Datum Ihres Briefes ersah ich zu meinem Bedauern, dass der meinige an Sie nicht am 23. Dec. eingetroffen sein wird. Einen Gegengruss darf ich mir somit auch heute nicht erwarten.

Froh aber bin ich, Sie und Euch Alle glücklich in Rom angekommen und gut geborgen zu wissen. Ihr Brief zeigt mir, dass ich Sie recht gut jetzt sich selbst überlassen kann. Sie haben die Augen aufgemacht und – schauen. Vielleicht hatten Sie das übersprungen. Sehen und schauen Sie für mich mit: ich habe es nöthig, dass es Jemand für mich thut, und Niemand lieber mag ich für mich schauen lassen, als Sie. Mit mir hat es da eine eigene Bewandtniss: das habe ich wiederholt, und endlich am Bestimmtesten in Italien kennen gelernt. Ich werde eine Zeitlang durch bedeutende Wirkung auf mein Auge ungemein lebhaft ergriffen: aber – es dauert nicht lange. Gewiss kommt das nicht daher, dass mein Auge unersättlich wäre; es scheint aber, dass es mir als Sinn der Wahrnehmung der Welt nicht genügt. Vielleicht geht es mir, wie es dem so augenseligen Göthe selbst widerfahren, als er im Faust ausrief: »Welch Schauspiel! Aber ach – ein Schauspiel nur!« –

Vielleicht käme dies daher, dass ich zu entschieden Ohrenmensch bin: doch grade ich lebe so lange Perioden ganz ohne alle und jede Nahrung für mein Gehör, dass auch das mir nicht das rechte dünken will. Es muss da einen unbeschreibbaren inneren Sinn geben, der ganz hell und thätig nur ist, wenn die nach aussen gewendeten Sinne etwa nur träumen. Wenn ich eigentlich nicht mehr deutlich sehe, noch auch höre, ist dieser Sinn am thätigsten, und er zeigt sich in seiner Function als productive Ruhe: ich kann's nicht anders nennen. Ob diese Ruhe mit der von Ihnen gemeinten plastischen Ruhe übereinstimmt, weiss ich nicht; nur weiss ich, dass jene Ruhe von innen nach aussen dringt, dass ich mit ihr im Centrum der Welt bin, während die sogenannte plastische Ruhe mir mehr nur wie von aussen bewirkte, formell thätige Beschwichtigung der inneren Unruhe erscheint. Befinde ich mich in dieser inneren Unruhe, so vermag kein Bild, kein plastisches Kunstwerk auf mich zu wirken: das prallt wie wesenloses Spielwerk ab. Erst der Blick darüber hinweg ersieht mir dann das, was mich beruhigt. Es ist diess auch der einzige Blick, der mich an andern sympathisch berührt, dieser Blick über die Welt hinaus: er ist ja auch der einzige, der die Welt versteht. So blickte Calderon: und wer hat das Leben, die Schönheit, die Blüthe wundervoller nachgedichtet als er? –

Göthe in Rom ist eine sehr erfreuliche und höchst bedeutende Erscheinung: was er da ausbeutete, kam Allen zu Gute und Schillern ersparte er dadurch entschieden das Selbstsehen; dieser konnte sich nun vortrefflich behelfen und seine edelsten Werke schaffen, während Göthe mit der Zeit seine Augenlust bis zur Grille verfolgte, so dass wir ihn am Ende mit wunderlicher Begier beim Münzensammeln ankommen sehen. Er war ein ganzer und vollkommener Augenmensch!

Lassen wir uns von ihm leiten, wo es zu sehen giebt: gewiss sind wir dann vortrefflich berathen. Und in Rom mussten Sie mit ihm gehen; mögen Sie an seiner Seite schöne anmuthige Ruhe sich über das Kinderauge senken fühlen. Sehen Sie für mich mit! Und lassen Sie mich immer so lieblich Bedeutendes hören, wie diess erste Mal! –

Von mir ist nicht viel zu sagen, Kind! Ein Mensch, der von Thüre zu Thüre läuft, um sich einen geeigneten Conzertsaal aufzuschliessen, darf Sie in Rom nichts angehen: er darf Ihnen nicht einmal sagen, wie ihm dabei zu Muth ist.

Grüssen Sie aber Otto schönstens von mir, und sagen Sie ihm, es würde sich bald wohl manches machen. Am ersten Mai denke ich meine deutsche OperGlasenapp II, 2, 233. in der Salle Ventadour zu eröffenen: die besten deutschen Sänger acceptiren alle mit Enthusiasmus, Frau Ney, Mayer-Dustmann (Wien), Tichatscheck, Niemann u. s. w. haben, selbst mit Bereitwilligkeit zu finanziellen Opfern, zu meiner Fahne geschworen. Ich bin der Aussicht, bald Alles fest machen zu können. Zunächst dann Tannhäuser und Lohengrin, währenddem Studium des Tristan, der ungefähr vom 1. Juni bis 16. gespielt werden soll. So – muss ich mir zu helfen suchen. Römisch aber klingt es nicht! –

Sie wissen, ich hatte im Sinne, eine Zeitlang mich jetzt einmal nur so äusserlich zu beschäftigen: ich bin nun dazu gezwungen worden, namentlich durch das Fehlschlagen des Tristan in Karlsruhe. All' mein jetziges Vorhaben gilt nur der Möglichkeit, mir den Tristan vorzuführen. Dann werde ich's wohl wieder fahren lassen. Weiteres habe ich nicht im Sinne. Ich hab' vorläufig genug an dem, was ich auf diesen Zweck verwende, und – wäre ich Göthe, so käme ich heute zu Euch nach Rom: seien Sie des versichert! –

Und nun ein schönes, helles, klares Jahr! Ich fühle mich ungemein froh, Sie in Rom, unter Italiens Himmel zu wissen! Tausend herzliche Grüsse an Otto und die Kinder!

Mit treuer Liebe

Ihr
R. W.


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