Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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Paris. 23. Sept. 1859 bis Ende Januar 1862.

Wien. 11. Mai 1861; 19. August bis 28. Sept. 1861.

Portrait: Richard Wagner

Portrait: Richard Wagner

91.

Paris, 23. Sept. 59.

»Ich sauge nur die Süssigkeit, Das Gift, das lass' ich drin.«

So scherzte mir vor Jahren einmal ein sorgloses Kind entgegen. Das Gift der Sorge hat es nun gekostet, aber auch seinen Stachel stach das Bienchen ein. Es ist der Stachel zum Besten und Edelsten, der mir im Innern haften blieb. Und war das Gift so bös? –

Freundin, erst meine letzten Lebensjahre haben mich wirklich zum Mann gereift. Ich fühle mich in voller Harmonie mit mir: und sobald es das Wahre gilt, bin ich stets sicher und einig mit meinem Willen. Dem eigentlichen Leben gegenüber lasse ich mich getrost von meinem Instinkt leiten: mit mir wird etwas gewollt, was höher ist als der Werth meiner Persönlichkeit. Dieses Wissen ist mir so eigen, dass ich lächelnd oft kaum mehr frage, ob ich will oder nicht will. Da sorgt der wunderliche Genius, dem ich für diesen Lebensrest diene, und der will, dass ich vollende, was nur ich vollbringen kann.

So ist denn tiefe Ruhe in mir: das Kreiseln der Wellen der Oberfläche hat mit meinem Grunde nichts zu thun. Ich bin – was ich sein kann! – Dank Ihnen, Freundin! –

Was sagen Sie nun, wenn Sie hören, dass ich bereits voll in Arbeit stecke? – Der junge Mann,Im Brief an Otto Wesendonk vom 5. Okt. 1859 wird er ein Vaudevillesuccès-Aspirant genannt. der eine Uebersetzung des Tannhäuser verfasst hat, gab mir diese zur Durchsicht. Beim ersten Ueberfliegen liess ich's fallen, und sagte mir: es ist unmöglich! Somit war ein lästiger Gedanke, nämlich ein französischer Tannhäuser, abgeschüttelt, und ich athmete auf. Doch das war nur meine Person: das Andre, mein Dämon – mein Genius? – sagte mir: »Du siehst, wie unfähig so ein Franzose, und überhaupt sonst wer ist, Deine Dichtung zu übersetzen, somit wirst Du einfach es verhindern, dass man Dein Werk überhaupt in Frankreich gebe. Wie nun aber, wenn Du todt bist, Deine Werke jedoch erst recht fortleben? Wenn man dann Dich nicht erst zu fragen hat, und den Tannhäuser gerade nach solch einer Uebersetzung aufführt, wie sie jetzt Dir vorliegt, und wie man sie von den edelsten deutschen Dichtungen (Faust z.B.) ebenso unverständnissvoll vorgenommen hat?« Ach, Kind! So eine mögliche Unsterblichkeit in der Expectative ist ein Dämon ganz eigener Art, und bringt uns in dieselben Sorgen, die Mutter und Vater weit über ihr Leben hinaus an das Gedeihen ihrer Kinder fesseln. Nur ich kann zu einer vollkommenen guten Uebersetzung meiner Werke beitragen: so liegt denn hierin eine Pflicht, die ich nicht abweisen kann. Nun sitze ich denn jeden Vormittag mit meinem jungen Poeten da, gehe Vers für Vers, Wort für Wort, ja Silbe für Silbe mit ihm durch; suche mit ihm oft Stundenlang nach der besten Wendung, dem besten Worte; singe ihm vor, und mache ihn so hellsichtig für eine Welt, die ihm bis dahin gänzlich verschlossen war. Nun freut mich denn sein Eifer, sein wachsender Enthusiasmus, sein offenes Bekenntniss seiner vorherigen Blindheit, – und – wir wollen sehen! Wenigstens weiss ich, ich versorge mein Kind für alle Zukunft so gut ich kann! –

Sonst bin ich noch nicht weit herum gekommen. Mein Leben bleibt dasselbe, ob in Luzern oder Paris. Das Ausserhalb kann an mir nichts ändern; und das befriedigt mich eben.–

*

24. Sept.

Mein Franzos kam. Trotz einigem Erkältungsfieber arbeitete ich etwas zu eifrig mit ihm, und – blieb sehr angegriffen zurück. Heute bin ich mit einem starken Catarrhalischen Fieber zum Tage erwacht. Ihr und Wesendonks Brief erfreute mich. Sagen Sie ihm herzlichen Dank! Dass man mich immer erst sucht, wenn ich fort bin, ist ganz in der Ordnung: die Welt sucht einen nur, wenn's ihr gerade gelegen ist. Wenn ich einmal ganz fort sein werde, wird man mich wohl am meisten suchen. Vater Heim muss sich als Posa ganz vortrefflich ausgenommen haben. Die Gutherzigkeit solcher Anhänger macht immer Freude, wenngleich es ohne Lächeln über unlösbare Misverständnisse nicht abgehen kann. Von Bülows Brief über Tristan ist mir nichts zu Gesicht gekommen. Ich bin hier noch allein geblieben. Eine Tochter der Madme A., Gräfin Charnacé, hatte von ihrer Mutter Aufträge an mich erhalten, und lud mich zum Thee. Ich konnte noch nicht gehen. Die junge Dame wird mir jetzt aus Berlin sehr empfohlen. Wichtiger ist mir für jetzt die Wohnung: denn um einmal wieder zu »wohnen«, ging ich eigentlich nach Paris. Für jetzt bin ich nur im logis garni: eine unmöblirte Wohnung suche ich mir noch. Mit der Wohnung habe ich aber zugleich an eine andere wichtige »Einrichtung« zu denken. Freundin, ich habe mich geprüft, und bin entschieden, der Ausführung meines Entschlusses mit der höchsten moralischen Kraft, die ich mir errungen, obzuliegen. Doch bedarf ich dazu einiger Erleichterungen. Ich freue mich völlig auf das ungemein artige, freundliche und gute Hündchen,Fips; Glasenapp II, 2, 158 und 330. das Sie mir einst vom Krankenbett aus in's Haus schickten; er wird wieder mit mir gehen und laufen, und komme ich nach verdriesslichen Besorgungen nach Haus, so wird er mir freundlich entgegen springen. Verschaffen Sie mir nun noch einen guten Hausgeist: wählen Sie mir einen Diener! Sie wissen, welches Bedürfniss ich hiermit ausspreche. Die freundliche Physionomie Ihres jetzigen Portiers hat mir sehr gefallen. Wie steht es mit dem im Hause so beliebt gewesenen vorherigen? Könnten Sie hier nicht, ohne Ihr Interesse zu sehr zu kränken, ein mir günstiges Arrangement treffen? Ich suche mir meinen Hausstand so traut wie möglich zu machen: für den weiblichen Theil desselben will ich jedoch nichts gern beschliessen, sonst hätte ich bereits Vreneli die Pariser Colonie eröffnet. Ich bestehe darauf, dass meine Frau sich ein junges gebildetes Mädchen, theils zu ihrer Pflege, theils zu ihrem Umgange, aussucht und mitbringt. Dazu habe ich nun eine Köchin zu bestellen, die mir Mad. HeroldFrau des französischen Komponisten, Glasenapp. II, 2, 174. besorgen soll. Der Diener hätte demnach von Hausgeschäften das Fegen der Zimmer (was in Paris immer der Garçon besorgt), Putzen des Silberzeuges u.s.w. serviren, Gänge besorgen, und ausserdem die Bedienung meiner Person, namentlich beim Baden; auf Reisen wird er mich begleiten und mein Gepäck besorgen. Mir fehlen diese Bequemlichkeiten ungemein: bei der Selbstbesorgung solcher Dinge bin ich stets viel zu eifrig, rege mich unnütz auf, erkälte mich u.s.w. Und vor Allem: ein angenehmer, sympathischer Mensch, selbst wenn nur mein Diener, ist mir so nöthig in der Nähe. –

Nun also: Diese Bitte sei Ihnen bestens empfohlen. Der Mann könnte jeden Augenblick antreten. – So, da heisst es denn einmal wieder, recht grossen Zwieback besorgen! –

Mit meiner äusseren Lage wird sich ja Alles nun recht erträglich gestalten. Nach dieser Seite hin bin ich eben noch im Steigen; und neuerdings scheint es sogar, dass das Steigen ziemlich rasch gehen werde, – wenigstens liegt es nach einem gestrigen Gespräche mit dem Director des Théâtre lyrique (einem wirklich angenehmen, recht anständigen Menschen) einzig in meiner Hand, wie bald ich auch Pariser fortune machen will. Nun, helfe mir Alles nur so weit, dass ich diesen Winter mich im guten Gleichgewicht erhalte, um zum Frühjahr wieder meine liebe Schweiz aufsuchen zu können: denn nur dort kann Siegfried Brünnhilde wecken! Das ginge doch wohl in Paris nicht gut. – Von Karlsruhe erwarte ich sehr bald eine sehr ausführliche Antwort auf viele Punkte. Ich bestehe dort darauf, Alles sehr streng zu nehmen. Verlegenheit mag ich den Leuten dadurch genug bereiten: doch hilft's nichts! Leicht ist die Frucht des Tristan nicht zu pflücken.

Wie schön wär's, Kinder, wenn Ihr mir eine Photographie vom grünen Hügel schicktet: das war ja ein vortrefflicher Gedanke! Ich bereue noch sehr, Ihnen meinen Venetianischen Palast nicht geschickt zu haben.

Ich hab' noch viel, worüber ich mich in letzter Zeit mit Ihnen unterhalten: das verspare ich mir nun auf ein ander mal. Frau Wille werde ich bald einmal schreiben: sehen durften wir uns diesmal nicht; aber Versöhnung werd' ich ihr bieten. – Nun lassen Sie mich mein Fieber vollends durch Ruhe und Lectüre (Plutarch) beschwören. Bald erfahre ich wieder von Ihnen, vielleicht gar durch Fridolin.Der oben erwähnte Diener, der »treue Knecht«. Die schönsten Grüsse an Cousin und Kinder, verbindlichsten Dank an Karl und treueste Liebe der Freundin! –

Richard Wagner.


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