Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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84.

Luzern, 24. Juli, Abends.

Das schöne Märchen habe ich dem Erard vorgelesen: er bezeugte mir durch doppelt schönes Tönen, dass er es gut verstanden! –

Am gleichen Tage erhielten Sie meine Skizzen.Zum Tristan. Das war denn Stoffwechsel! Ich bin jetzt sehr leidenschaftlich mit dem Arbeiten, und betrachte es immer als einen moralischen Sieg über mich, wenn ich einmal absetze, und für den Tag eine Seite aufgebe. Wie mir nur sein wird, wenn ich ganz fertig bin? Noch habe ich etwa 35 Seiten Partitur zu machen. Damit denke ich in 12 Tagen fertig zu sein. Wie mir nur dann sein wird? Ich glaube, zunächst etwas erschöpft. Schon heute schwindelt mir der Kopf. Ach, und wie ich vom Wetter abhänge! Ist die Luft klar und frei, so ist Alles mit mir anzufangen, grade, wie wenn man mich liebt; drückt dagegen die Atmosphäre auf mich, so kann ich höchstens Trotz und Widerstand leisten, aber das Schöne wird schwer.

Mir fehlt's an Raum zur Ausdehnung. Gott, wie schliesst sich mir die Welt immer enger zu! Wieviel leichter könnte mir Alles werden. Nun wir wollen uns trösten; und am Ende kenne ich doch Niemand, mit dem ich tauschte.

– Grüssen Sie Kleobis und Biton; so hiessen ja wohl, wenn ich mich nicht irre, Ihre Beiden guten Muttersöhne in Argos? Es sind mir alte Bekannte. Schade, dass die Griechen noch so zurück waren gegen uns! Ihre Religion hat so gar nichts Abstraktes: es ist nichts wie eine unerhört üppige Welt von Mythen, die alle so plastisch und prägnant sind, dass man ihre Gestalten nie wieder vergisst: und wer sie endlich recht genau versteht, der hat die tiefste Weltanschauung drin. Aber, sie machten eben kein dogmatisches Wesens davon. Sie dichteten und stellten dar. Ganz Künstler, tief und genial! Herrliches Volk! –

Ach, wie mich's ekelt, wenn ich auf unser Europa hinblicke! Und Paris! – Nun, da heisst's denn – sich hübsch isoliren und Alleinbleiben. –

Vom fertigen Tristan ein ander Mal!

Es wäre nun schön, wenn wir noch eine Pilatusfahrt combinirten. Weiter werde ich wohl mit meinen »Erholungsausflügen« nicht kommen. Ich schreibe Euch besten Menschenkindern genau, wann ich den letzten Federstrich an der Partitur zu machen gedenke. Ist's Euch dann möglich, so kommt: allein gehe ich nicht auf den Pilatus. Und dann combiniren wir auch noch unser Abschiedsdiner auf Villa (franca) Wesendonk. Ich glaube – wie gesagt – Ende der ersten Woche des August fertig zu werden.

Und nun behüte Sie der liebe Gott, und Ihr ganzes Haus mit dazu und auch die Dépendance! Schönsten Dank für alles Gute und Liebe, und namentlich für das Föhrenmärchen.

Herzliche Grüsse an den Cousin, Nichte und Neffen!

Ihr
R. W.


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