Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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125.

[Paris, Ende Dezember 1861.]

Haben Sie schönsten, herzlichsten Dank, mein Kind! –

Ich erwidere Ihnen mit einem Bekenntniss. Es wird unnütz sein es auszusprechen: Alles in und an Ihnen sagt mir, dass Sie Alles wissen, und doch treibt es mich, Ihnen auch meinerseits Sicherheit zu geben. –

Nun erst bin ich ganz resignirt!

Das Eine hatte ich nie aufgegeben, und glaubte es mir schwer gewonnen zu haben: mein Asyl noch einmal wiederzufinden, in Ihrer Nähe wieder wohnen zu können. – Eine Stunde des Wiedersehens in Venedig genügte, um dieses letzte liebe Wahngebild mir zu zerstören!

Ich musste schnell erkennen, die Freiheit, die Ihnen nöthig ist, und auf die Sie für Ihr Bestehen halten müssen, können Sie nicht behaupten, sobald ich in Ihrer Nähe bin: nur meine Entfernung kann Ihnen die Macht geben, sich frei nach Ihrem Willen zu bewegen; nur wenn Sie nichts zu erkaufen haben, haben Sie keinen Preis zuzugestehen.

Ich kann es nicht ertragen, um den Preis meiner Nähe Sie beengt und bedrängt, beherrscht, abhängig zu sehen: denn ich kann dann dieses Opfer nicht vergüten, weil meine Nähe Ihnen nichts mehr bieten kann, und der Gedanke, dass das Elend-Wenige, was ich Ihnen unter solchen Umständen sein kann, eben mit aller Freiheit, mit der eigentlichen Menschenwürde erkauft ist, lässt mich dieser Nähe selbst als einer Qual empfinden.

Hier hilft kein Schmeicheln mehr. – Ich sehe, Sie fühlen und wissen es selbst: und wie sollten Sie nicht zu allererst! Sie wussten es lange und eher als ich, der ich heimlich lange immer noch unverbesserlicher Optimist blieb. –

Das war's, das allein, was sich in Venedig wie Blei auf meine Seele legte. Nicht meine Lage, mein sonstiges Missglücken: das ist und war mir, seit ich Sie kenne, an sich immer gleichgültig. Sie glauben kaum, mit welcher völligen Gefühllosigkeit ich in all diesen Dingen mich entscheide, die in Wahrheit mein Gefühl gar nicht treffen, oder doch nur ganz vorübergehend, und zwar immer nur im Hinblick auf die Lage, die eigentlich meiner würdig wäre, und in der es für mich Gelingen und Mislingen gar nicht geben würde. –

Ich bleibe dabei, dass es mir ein Trost ist, Sie mit Neigungen ausgestattet und in einer bürgerlichen Lage befindlich zu wissen, die Ihrem Leiden einen idyllischen, sanften Charakter ermöglichen. Für mein Theil trachte ich nur noch, mein äusseres Leben mir so zurecht zu legen, dass ich ganz unbehelligt meinem inneren, gänzlich frisch erhaltenen Schöpfungsdrange nachgehen kann. Dazu bedarf ich vor allen Dingen einer häuslichen Niederlassung: diese nehme ich unter allen Bedingungen an. Denn nun kann ich Alles, Alles ertragen, weil mich nichts mehr drückt. Das Leben und Alles, was sich darauf bezieht, hat gar keinen Sinn mehr für mich. Wo? und wie? – ist mir gränzenlos gleichgültig. Arbeiten will ich: nichts weiter mehr! – Dann auch Ihnen eben kann ich nur noch ganz für mich etwas sein. Das weiss ich, und das wissen Sie auch! Das Grässliche, Letzte ist überstanden: Venedig, die Rückreise und die darauffolgenden drei Wochen – schrecklich! – sind hinter mir! – Nun guten Muth! 's muss gehen! –

Ich will Ihnen oft 'was von meiner Arbeit schicken. Was werden Sie für Augen machen zu meinen Meistersingern! Gegen Sachs halten Sie Ihr Herz fest: in den werden Sie sich verlieben! Es ist eine ganz wunderbare Arbeit. Der alte EntwurfEr ist jetzt vollständig gedruckt in der Musik I, 1902, S. 1799 bis 1809. Frau Wesendonk, die den Entwurf als Geschenk des Meisters bewahrte, hatte ihn am 25. Dezember 1861 nach Paris geschickt; vgl. unten S. 346. bot wenig, oder gar nichts. Ja, dazu muss man im Paradies gewesen sein, um endlich zu wissen, was in so etwas steckt! –

Von meinem Leben erfahren Sie immer nur das Nothwendigste – Äusserlichste. Innerlich – seien Sie das versichert! – geht gar nichts mehr vor; nichts als Kunstschöpfung. Somit verlieren Sie gar nichts, sondern das einzige Werthvolle erhalten Sie, meine Arbeiten. Aber auch sehen wollen wir uns dann und wann. Nicht wahr? Dann ohne allen Wunsch! Somit auch gänzlich frei! –

So! Das ist ein merkwürdiger Brief! Sie glauben nicht, wie leicht es mir nun ist zu wissen, dass Sie wissen, dass ich weiss, was Sie lang wussten! – Da noch ein Schusterlied!Dem Brief liegt das Schusterlied aus dem 2. Aufzug der Meistersinger bei. Siehe das Faksimile am Schlusse des Buches.

Ade! mein Kind!

Der
Meister!


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