Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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70.

Oster-Dienstag. [26. April 1859.]

Das ist heute endlich ein zuverlässiger Morgen: wollen sehen, wie der Tag aushält. Ihr Briefchen hat ihn, mit dem schönen Wetter zugleich, recht freundlich beginnen lassen. Haben Sie Dank! Im Ganzen bin ich etwas geistesträg und verdriesslich. Ich bin nun zu lange über dieser Arbeit, und zu sehr fühle ich, dass meine Productionskraft dabei nur immer noch aus den Keimen und Blüthen sich ernährt, die eine kurze Zeit wie ein befruchtendes Gewitter in mir wirkte. Zum eigentlichen Schaffen komme ich dabei gar nicht mehr recht; je länger es aber wird, desto glücklicher muss ich mich stets gestimmt fühlen, wenn mir der innere Vorrath ganz wach werden soll, und diese Stimmungen lassen sich nun eben durch keine Reflexionen erzwingen, wie sonst wohl so manches, zumal der Welt gegenüber. Ich arbeite zwar täglich etwas, aber kurz und wenig, wie eben die Lichtblicke es sind; oft würde ich lieber gar nichts machen, wenn mich dann nicht das Grausen vor einem so ganz leer gelassenen Tage antrieb.

Es ist mit unser Einem eine eigene Sache. Ein natürliches Leben führt man nun einmal nicht; um nun halbwegs wieder natürlich werden, müsste es viel künstlicher sein, ungefähr wie mein Kunstwerk selbst, das auch sich in der Natur und Erfahrung nicht wieder findet, sein neues, höheres Leben aber eben durch die vollendetste Anwendung der Kunst erhält.

Denken Sie aber, ich habe mich noch nicht entschliessen können, mir, seitdem ich hier bin, wieder den 2ten Akt vorzuführen, so dass der schon wie ein unkenntlicher Traum hinter mir liegt. Ich hab' keinen Trieb dazu, und alles schweigt um mich, das Element, in dem ich einzig nur noch leben soll und kann, fehlt mir ganz. Sollte ich gedeihen, so müsste mir meine Kunst und ihre Ein- und Rückwirkungen auf mich bis zur Berauschung, bis zum vollen Selbstvergessen stets nahe sein. Immer aber bleibt gerade mir nur eigentlich das Leben vorliegen; das Leben, in dem ich eine so unnatürliche, traurige Rolle spiele. Das ist eben nicht, wie es sein sollte; und bleibe ich bei meinem Willen, so muss mir endlich fast eine Art von Eigensinn helfen. Natürlich, und von selbst macht sich dabei nichts, selbst mein Kunstschaffen nicht. Es ist mir, als ob ich eigentlich sogar am Tristan keine rechte Freude mehr hätte: er müsste mindestens schon im vorigen Jahre fertig geworden sein. Nun, das wollten die Götter nicht! Jetzt bin ich eigentlich nur noch mit dem Gefühl dabei, ihn eben nur noch zu vollenden, weil sonst ja plötzlich geradewegs Alles zu Ende wäre. Es ist Gewalt dabei. –

Das klingt kläglich, nicht wahr? – Vielleicht ist das schlechte Wetter viel mit dran Schuld. Vielleicht auch ein Antheil an der Eigenschaft, die wir am Tasso so ungemischt stark entwickelt fanden. Immer ist es mir aber ein letzter Trost, ganz aufrichtig sein zu können, und namentlich mir selbst nichts verbergen zu wollen. Ich nehme denn auch diese traurige Einsicht mit in den Kauf, und will ich dann doch noch, so sehe ich, dass es doch wohl sein muss; und das giebt mir dann wieder leichteren Muth, wie mir es jetzt schon ihn weckt, da ich Ihnen das mitgetheilt habe, denn ich weiss, dass ich gegen Sie noch aufrichtiger bin, als gegen mich selbst. Aber – Ihnen sollte ich vielleicht so etwas unmitgetheilt lassen. Es könnte Sie bekümmern; und warum Sie bekümmern? Wäre nicht das schön für mich, für alle Fälle Sie unbekümmert zu wissen? – Aber auch durch Täuschungen? Dann wäre ja wieder Alles leer und nichtig: wie könnte mir dann Ihre Unbekümmertheit wohl thun? – – Es hilft nichts: man muss sich Alles eingestehen können, das ganze Elend des Daseins und der Welt, um das Einzige, was darüber erhebt, voll und ganz geniessen zu können. –

Das ist eben meine Philosophie auch denjenigen gegenüber, die das Leben dadurch erträglich zu machen sich bemühen, dass sie seine schlechte Beschaffenheit nicht zugestehen, oder sich verdecken wollen. Was sie dann zu geniessen vorgeben, bleibt doch eben nur die Selbstgefälligkeit ihrer Täuschung: wer anders gesinnt ist, weiss dagegen, wessen er sich zu freuen hat, nämlich der Ueberwindung des Leidens, was einzig Kraft, Stolz und – Genuss gewährt.– – –

Besten Dank für den Brief des Bruders; ich schicke ihn mit herzlichen Grüssen an Onkel Wesendonk zurück. Möge dieser nur ja bald einmal das Signal zum Aufbruch nach Luzern geben! Wir wollen dann auch famos über den Krieg disputiren; da kann man es so recht nach Herzenslust, weil es einen so gar nichts angeht und man so gar nichts dabei von sich abhängig machen kann; wo diess aber anders ist, – wo der Entscheid und die Wendung von unsrem innersten Willen abhängt, da soll auch dieser Wille, die That, die Handlungsweise sprechen. Und so wollen wir's halten!

Herrn »von Heiligen« (deutsche Uebersetzung von »de Sanctis«) – hätten Sie kaum erst beschweren sollen: »Gries«Nämlich der deutsche Übersetzer der Gedichte Tassos. – so heisst »Tasso« auf deutsch. – Bin ich nicht recht unverschämt?

Aber nun komme ich mit noch etwas, nur sagen Sie um des Himmels Willen Wesendonk nichts davon. – Ich führe meine Decken und Betten mit mir – ich verwöhnter Mensch! – Die seidenen Ueberzüge sehen aber so fürchterlich schmutzig aus, dass ich mich vor dem Stubenmädchen schäme. Sehen Sie doch gelegentlich zu, ob Sie in Zürich Stoff dazu vorräthig finden; sie waren grün, könnten zur Noth aber auch roth werden, wie das Laub im Herbst es wird. Aber ich brauchte eben viel. Wenn Sie etwas fänden, müssten Sie ganz heimlich (nicht Heim-lich!) den Auftrag geben, mir das Stück hierher zu schicken; ich liess' dann davon nehmen, was ich brauche, und mache die Sache dann ohne Ihre weitere Intervention ab.

Sonst werden Sie Alles recht schön bei mir finden. Die grosse Marquise ist fertig, nur fehlt Sonne, gegen die sie schützen soll. Doch heut' ist sie da. Da wird's denn wohl auch etwas besser gehen. Hier kann man recht sagen –: geb' es der Himmel!

Und nun noch meinen Glückwunsch zu den »Andren« und »Röckly's« – und dann ganz zum Schluss etwas neues, seidenes

Noten


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