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Der russische Millionenvorstoß gegen Galizien und Wolhynien.

Nachdem die Frühjahrsoffensive der Russen gegen die Hindenburgfront »in Sumpf und Blut« erstickt war, setzten die Moskowiter unter der Leitung von französischen Generalstabsoffizieren Anfang Juni mit einer gewaltigen Offensive gegen die deutsche und österreichisch-ungarische Front in Wolhynien, Galizien und der Bukowina ein. Es gelang ihnen unter ungeheuerlichen Verlusten auch, eine Strecke unserer Front einzubiegen, es gelang ihnen aber nicht, sie vollständig zu durchstoßen.

Der amtliche Bericht vom 5. Juni lautete: »Der seit längerem erwartete Angriff der russischen Südwestheere hat begonnen. An der ganzen Front zwischen dem Pruth und dem Styr-Knie bei Kolki ist eine große Schlacht entbrannt. Bei Okna wird um den Besitz unserer vordersten Stellungen erbittert gekämpft. Nordwestlich von Tarnopol gelang es dem Feinde, vorübergehend an einzelnen Punkten in unsere Gräben einzudringen; ein Gegenangriff warf ihn wieder hinaus. Beiderseits von Kozlow (westlich von Tarnopol) scheiterten russische Angriffe vor unseren Hindernissen, bei Nowo Aleksiniec und nordwestlich von Dubno schon in unserem Geschützfeuer. Auch bei Sapanow und bei Olyka sind heftige Kämpfe im Gange. Südöstlich von Luck schossen wir einen feindlichen Flieger ab.«

Nachdem die österreichischen Stellungen bei Okna durch das russische anhaltende Trommelfeuer vollkommen zerstört waren, gelang es den Russen, an einer Stelle in den Graben einzudringen. Die Russen stürzten sofort mit gewaltigen Massen durch die schmalen Einbruchsstellen nach, um sich seitwärts weiter auszubreiten und die österreichischen Stellungen auch von rückwärts zu fassen.

Wie die österreichisch-ungarischen Pioniere unter großen Schwierigkeiten ihre Drahtverhaue durch die wolhynischen Sümpfe transportierten.

Die große russische Angriffsschlacht tobte mit gesteigerter Heftigkeit weiter. An dem Abschnitt in Wolhynien, wo unsere Gräben nördlich Mlynow an der Ikwa über hügeliges Gelände zur Putilowka übergingen, setzte der Feind mit seinen stärksten Angriffen ein. Obwohl Gräben und Hindernisse durch das vorangegangene Trommelfeuer vollständig zerstört waren, hielten unsere Truppen zwei Tage in diesem Raume stand. Angesichts der großen feindlichen Uebermacht räumten sie jedoch am dritten Tage die erste Linie und zogen sich in eine rückwärtige zurück, die, östlich des Styr verlaufend, schon im Vorjahre die Grenze unseres damaligen Vormarsches darstellte. Diese Frontzurücknahme erfolgte fast ohne feindliche Belästigung. An der Front zwischen Pruth und Dnjestr hatten die Kämpfe an Heftigkeit noch zugenommen. Die Russen machten die tollsten Anstrengungen, den bei Okna errungenen Vorteil auszubauen. Doch vereitelte die Tapferkeit unserer opferbereiten Truppen alle feindlichen Bemühungen. Südlich Buczacz bei Jaslowiec unterhielten die Russen ständiges Artilleriefeuer und unternahmen immer neue Massenangriffe.

In Nordostgalizien tobte tagelang nordwestlich Tarnopol, zwischen Nowo Aleksiniec und Kozlow, ein erbitterter Kampf. Hier versuchten die Russen verzweifelt, entlang der Eisenbahnlinie anzugreifen, doch wurden sie durch einen Gegenangriff bei Kozlow aus einer vorgeschobenen Stellung im Osten dieses Ortes zurückgeworfen. In der Umgebung von Wisniowczyk am Ostufer der Strypa griffen die Russen wieder an. In den Morgenstunden erfolgten russische Massenstürme, und besonders der Pfingstmontag brachte erbitterte Kämpfe. Die russischen Linien wurden aber von unserer Artillerie so heftig unter Feuer genommen, daß sie unsere Stellungen nicht erreichten. Die Russen wurden zurückgewiesen, ohne daß es zu Infanteriekämpfen gekommen wäre. Weiter südlich war der Kampf auf dem Westufer der Strypa im Zuge. Von Buczacz drangen russische Kolonnen in nordwestlicher Richtung am Bache Koropietka vor. Hier aber haben deutsche und österreichisch-ungarische Truppen die Angriffe nicht nur zum Stillstande gebracht, sondern auch in energischen Gegenangriffen über anderthalb Bataillone Russen gefangen genommen. Die Nachhutkämpfe im Osten der Bukowina, mit deren Hilfe wir unsere dortige Front zurückgenommen hatten, wurden mit großer Heftigkeit geführt. Gegen diesen Abschnitt zogen die Russen so große Massen zusammen, wie noch nie in diesem ganzen Kriege. Alle Berichte über diese Angriffe stimmten in dem Lobe unserer Soldaten überein. Die erbitterte und schließlich erfolgreiche Verteidigung einzelner Punkte, die gegen die erdrückende Uebermacht scheinbar gar nicht mehr zu halten waren, schützte die von den Russen bedrohten Batteriestellungen und bewirkte, daß viele Geschütze, die die Russen schon erobert hatten, von uns zurückgenommen wurden.

Der deutsche Generalstab meldete: »Die Armee des Generals Grafen Bothmer wies mehrere in dichten Wellen vorgetragene russische Angriffe bei und nördlich Przewloka glatt ab.«

Im Raume von Dubno gingen die Russen am 11. Juni mit großen Massen zum Angriff vor. Wieder wichen unsere Verbündeten dem Stoß aus und nahmen nunmehr auch hier ihre Kräfte über die Ikwa zurück, wobei sie Dubno und das dortige Fort freiwillig und ohne einen Schuß abzugeben preisgaben. Die folgenden Russen überschritten an einzelnen Stellen ebenfalls die Ikwa und stellten die Verbindung mit ihrer Gruppe südlich von Luck her. Am Bahnübergang von Roszyszcze gelang es am folgenden Tage den Russen jedoch, die Verteidiger zurückzudrängen und das westliche Styrufer zu gewinnen. An der ganzen Styr-Ikwa-Front wurden am 12. Juni im Raume von Luck die österreichisch-ungarischen Truppen zurückgenommen, wobei auch die dortigen Befestigungsanlagen preisgegeben wurden. Die folgende feindliche Kavallerie erreichte an diesem Tage die Gegend von Torczyn. Am 13. Juni kam alsdann Stetigkeit in die österreichisch-ungarischen Truppen, und nach kurzem, kampflosen Vorgehen der Russen trat dann endlich völlige Ruhe ein. Mit dem 15. Juni schienen die Russen in dieser Linie wieder zum Stellungskampf übergegangen zu sein. Die Armee des Erzherzogs Joseph Ferdinand stand nunmehr, gegen die frühere Linie allerdings um fast 60 Kilometer nach Westen zurückgenommen, im großen, nach Osten offenen Bogen westlich des Styr und der Ikwa etwa in der Linie Kolki–Sokul–Saturtzy–Wolkowice–Werba.

An der Strypafront zwischen Tarnopol und dem Dnjestr hatten sich gleichfalls lebhafte Kämpfe abgespielt. Nach heftigen Kämpfen vom 5. bis 8. Juni griff der Feind am 9. am Unterlauf der Strypa wieder mit sehr starken Kräften an. Kämpfe, die sich bis zum Abend hinzogen und in deren Verlauf nach erbittertem Ringen die österreichisch-ungarischen Truppen vom Ost- auf das Westufer des Flusses zurückgedrängt wurden, ergaben auch hier einen beachtenswerten russischen Erfolg. In energischem Stoß war es dem Gegner gelungen, in die starken Stellungen zwischen Trybnchowce (fünf Kilometer südöstlich Buczacz) und Jaslowiec einzubrechen. Hierdurch war die Armee unserer Verbündeten gezwungen, hinter die Strypa zurückzugehen, da nur so die Gefahr eines Durchbruches vermieden werden konnte. Dem Druck der überlegenen russischen Kräfte folgend, kam so am 10. Juni das ganze befestigte Ostufer der Strypa in den Besitz des Feindes. Auch drangen russische Vortruppen in Buczacz ein und eroberten im Angriff längs des Dnjestr das Dorf Sezenka (15 Kilometer südöstlich Jaslowiec).

Im Raume von Buczacz kam es am folgenden Tage wieder zu heftigen Kämpfen. Hier leisteten die Oesterreicher, unterstützt durch deutsche Truppen, den am 11. Juni über die Strypa vorgedrungenen russischen Kräften bei Bobulince zunächst erbitterten Widerstand. Alsdann gingen sie ihrerseits zum Angriff vor und warfen die Russen über den Fluß zurück. Jedoch blieb Buczacz weiter im Besitz des Feindes. Der Kampf in diesem Orte wurde mit zunehmender Heftigkeit fortgesetzt. Am folgenden Tage gingen die Russen auch hier zum Stellungskriege über.

Nur der Umstand, daß die unter dem Grafen von Bothmer stehenden deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen ihre Stellungen hartnäckig und zäh gegen alle russischen Anstürme zu halten vermochten, hatte zur Versteifung der ganzen Front geführt. Der Einfluß dieses unerschütterlichen Festhaltens hatte sich auch weiter nach Süden hin bemerkbar gemacht. Die russische Offensive schien zum Stehen gekommen zu sein.

Daß die Bukowina von den Russen wieder besetzt war – das dritte Mal im Kriege – war bedauerlich. Es war aber lange noch nicht der »endgültige Siegeserfolg«, den Engländer und Franzosen von den Russen erwartet hatten.

Wahrhaft komisch wirkten übrigens die ungeheuren Zahlen von Gefangenen, die die Russen in diesen Offensivstößen gemacht haben wollten. Sie gaben mehr Gefangene an, als österreichische Truppen dort standen! Schließlich klärten sich die Phantasieziffern dahin auf, daß die Russen die gesamte Bevölkerung des von ihnen besetzten Gebietes als »Gefangene« mitgezählt hatten!


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