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Die erste Woche der Herbstschlacht in der Champagne.

Es war ein wahrhaft gigantischer Kampf, der sich auf den schon so oft mit Blut getränkten Gefilden der weinberühmten Champagne Ende September und Anfang Oktober 1915 abspielte. Der bekannte Berliner Schriftsteller Max Osborn schrieb darüber in der »Voss. Ztg.«:

Der französische Vorstoß war fürs erste zum Stehen gebracht – das war das wichtige Ergebnis des bisherigen Verlaufs der neuen Champagneschlacht.

Das schreibt sich so leicht hin – aber welch beispielloses Heldentum hat dazu gehört, um in den vier Kampftagen seit dem Beginn des rasenden Anpralls am 25. September diese Lage herbeizuführen! Bei Ypern und Arras sollte der Engländer helfen, die deutsche Heeresmauer ins Wanken zu bringen. Hier jedoch rang der Franzose selbst um Frankreichs Befreiung vom Feinde.

Es ist ein altes, welthistorisches Kampfgelände, auf dem die Schlacht entbrannte: die Gegend beim Lager von Châlons, zwischen Reims und den Argonnen. Von der Hauptstadt der Champagne zogen sich die Stellungen der Franzosen in einem leicht nach Süden ausladenden Bogen bis an die junge Aisne, die den Argonnenwald westlich begrenzt. Sie liefen hart nördlich an St. Hilaire le Grand, an Souain, Perthes, Le Mesnil und Massiges vorbei, bis sie bei Servon an die Aisne stießen. Mit einer Sorgsamkeit und Umsicht, der auch der Gegner den Respekt nicht versagt, wurde der Angriff vorbereitet. Die besten Truppen wurden vom Feinde herangezogen. In Riesenmengen drängten sie sich zusammen. Wir hatten heute den Beweis, daß eine etwa vierfache Uebermacht uns hier gegenüberstand. Teils waren es ganz frische Truppen, die herbeigeholt wurden, teils ältere, die man aber wochenlang in Ruhestellung und bei besonders guter Verpflegung sich erholen ließ, neu bewaffnete und bekleidete. Doch fleißig wurde hinter der Front geübt. Die Technik des Stürmens sollte am Schnürchen gehen. Auch die Kavallerie mußte sich in der Kunst vervollkommnen, errungene Vorteile auszunutzen.

Abfahren einer deutschen Patrouille auf einem Floß im Isergebiet. In der Nähe von Ypern befindet sich viel überschwemmtes Land, das Wasser steigt dort zuweilen bis 1 m Höhe. Um sich nun große Umwege zu ersparen, haben sich die Patrouillen kleine Flöße gebaut, mit denen sie dann die Wasserstrecken befahren.

Zur selben Zeit wurden nach genauem Plan weitausholende Schachzüge vorgesehen. Erst kamen die Flieger in immer verwegeneren Fahrten und wachsender Zahl hinter die deutsche Front, suchten zu zerstören und mit der französischen Zivilbevölkerung Verbindungen anzuknüpfen. Werden die kecken Burschen abgeschossen, so findet man wohl bei ihnen stattliche Summen baren Geldes – so kürzlich bei einem 200 Francs in Gold und mehrere tausend Francs in Banknoten – was kaufen sich die Herrschaften wohl oben in der Luft? Oder man entdeckte in der Asche, die von einem Herabgeschossenen und Verbrannten mit seiner Maschine allein übrig geblieben, eine wohlgerüttelte Menge – Maiskörner. Was bedeutet das? Es will bedeuten, daß der Flieger nicht nur Brieftauben, sondern gleich das Futter für den geflügelten kleinen Spion, der an bestimmter Stelle abgesetzt werden sollte, mit sich führte. So wurde alles bis ins Letzte bedacht.

Und dann begann die Lieblingswaffe der Franzosen ihre Arbeit: die Artillerie. Sie richtete ihr Feuer auf die rückwärtigen Verbindungen, auf Bahnen und Landstraßen, um womöglich hier alles in Trümmer zu schießen und die kämpfende Truppe vom Hinterlande abzuschneiden. Ging sodann gegen die Ortschaften vor, in denen sie deutsche Reserven vermutete, unbekümmert darum, ob sie ihre eigenen Dörfer in Brand steckte und deren Bewohner obdachlos machte oder tötete – ich erzählte schon, wie diese armseligen Familien von den deutschen Barbaren in Sicherheit gebracht werden mußten. Und jetzt erst vollendeten die feindlichen Batterien ihren gleichsam von außen nach innen geführten Weg und tobten gegen die deutschen Gräben.

Damit erreichte die Gewalt des Feuers ihren Höhepunkt. War es vorher ein wütendes Suchen, so wurde es nun ein wahnsinniges, alle Vorstellungen übersteigendes Trommeln. Von der Wildheit dieses Bombardements läßt sich keine Schilderung geben. Niemals hat dieser alte Planet ein solches Getöse vernommen. Ein Offizier, der im Sommer das Entsetzen von Arras, von Souchez und der Lorettohöhe miterlebt hat, sagte mir, es sei mit dem jetzigen, über alle Maßen grauenhaften Artillerieangriff überhaupt nicht zu vergleichen gewesen. Tag und Nacht, fünfzig Stunden lang, an einigen Stellen gar siebzig Stunden, spien die Geschütze ihren verheerenden Mordinhalt gegen die deutschen Schützengräben, gegen unsere Batterien.

Dann erst begann der Sturm der Infanterie. Auch hier alles bis ins kleinste vorbereitet. In eifriger Arbeit entstanden Netze von Gräben, die zur zweckmäßigen Entfaltung der Truppenmassen dienen sollten, entstanden Sappen und unterirdische Gänge als Ausfalltore für die Sturmkolonnen. Das alles über eine breite Front hin. Denn der Franzose hatte gelernt – von uns! Das klassische Beispiel wollte er nachahmen – nicht mehr, wie im Februar, an kleinen Einzelstellen einzudringen, sondern, wie es dort von Deutschen und Oesterreichern geschehen, auf kilometerlanger Linie den Durchbruch erzwingen.

Und all diese unsägliche Mühe brachte ihn nicht zum Ziel. Wenn zwei dasselbe tun, so ist es nicht dasselbe. Was in Galizien mit beispielloser Bravour gelang, schlug in der Champagne fehl. Die französische Artillerie mag sich mit unserer messen können –: das Fußvolk des Feindes kann unsere unvergleichliche Infanterie nicht erreichen. So kam ein Fehler in die klug erdachte Rechnung: an unseren herrlichen Truppen prallten alle bis zur äußersten Möglichkeit getriebenen Anstrengungen des Gegners wie an einem undurchdringlichen Stahlpanzer ab. Was auch die Granaten auf ihren Nerven herumstampften, was sie auch niederrissen in Tod und Blut – die Ueberlebenden hielten stand. Fest gebaute Gräben wurden eingedeckt, zermalmt, ihre Wehren und Unterstände abgekämmt, in Schutt verwandelt, ihre Leute wurden verschüttet, zerquetscht, mußten ersticken – die Ueberlebenden hielten stand. Kaltblütig nahmen sie, als nun die Franzosen zum Sturm herankamen, ihre Flinten zur Hand, gingen zu ihren Maschinengewehren und schossen, ruhig und sicher zielend, in die feindlichen Reihen. Ein hübscher junger Gefreiter, Student an einer Handelshochschule, der sich beim Einstürzen eines Grabens einen Leistenbruch geholt, sagte mir, er habe, weil ihn das doch interessierte, die Schüsse gezählt. »Schätzungsweise natürlich nur. Aber danach waren es in den 50 Stunden in meiner unmittelbaren Umgebung allein 100 000 Granaten.« Man denke, was das für einen Menschen heißen will, von hunderttausendfachem Tod umtobt zu sein und dabei »schätzungsweise« die Schläge zu berechnen, mit denen das Gerippe am Tor seines jungen Lebens anklopft. Ein Leutnant auf vorgeschobenem unterirdischen Beobachtungsposten wurde völlig verschüttet. Aber er kann sich noch rühren und hat sogar die Geistesgegenwart, noch zu telephonieren, da sein Apparat und merkwürdigerweise auch die Leitung im Boden unversehrt geblieben. Die Franzosen stürmen über das zugedeckte Erdloch fort. Er hört sie und auch, wie die Unseren im Gegenangriff die Linie wieder zurücknehmen. Er arbeitet sich mühevoll heraus und – kämpft weiter mit.

Man muß diese Männer sehen, wie sie mit leuchtenden Augen von der eisernen Festigkeit berichten, mit der ihr Truppenteil den Angriff parierte. Man muß die Reserven sehen, die in Lastautos eilig nach vorn gebracht werden, ins Feuer, in den schrecklichen Kampf –: wie sie die Helme schwenken und laut singen! Die Wacht am Rhein und die anderen Lieder der Begeisterung brausen in die Luft. Dicht gedrängt stehen die Leute in den breiten Kasten, können sich kaum rühren; noch ein paar Kilometer, und sie sind in den Gräben – und singen laut und schwenken die Helme! Wer soll solche Helden besiegen? Freilich, das Singen allein machte es nicht, wenn nicht dies stählerne Gefühl der Pflicht und der Treue hinzukäme, das jedes Zurückweichen, jedes Zaghaftwerden auch vor Hölle und Teufel ausschließt.

Zum Jahrestag der Schlacht bei Charleroi wurde obiges Kriegsdenkmal zum Andenken an die in diesem Kampfe gefallenen Helden errichtet und feierlichst eingeweiht.

An verschiedenen Stellen kam es zum regelrechten Bewegungskampf, zu offener Schlacht. Davon berichten sie wie von einem festlichen Ereignis. Ja, als der Leutnant kommandierte, wir sollten aus den Gräben heraus und ausschwärmen, das war »jroßartig«, meinte ein Briefträger aus Köln. Zuerst, wenn sie dann ankommen, sei man zwar ein bißchen aufgeregt, aber das sei schnell vorüber. Sie hätten ein schweres Handgemenge gehabt. »Einer von unserer Kompagnie und ein Franzos hatten sich an der Gurgel zu fassen bekommen. Da kam ein Schuß und ging durch beide durch. Sie fielen tot um, aber die Hände haben wir ihnen nicht vom Hals jekriegt. Wir haben sie nachher so bejraben müssen ...«

Auch mit giftigen Gasen versuchte es der Feind. Mit geringem Erfolg, obwohl Südwind herrschte, der für ihn günstig war. Ein Gefangener teilte mit, die Offiziere hätten ihnen gesagt, die Deutschen würden von diesen Gasen gleich getötet, sie könnten dann ohne weiteres in ihre Gräben steigen! Vielleicht hängt es damit zusammen, daß mir mehrere Leute übereinstimmend erzählten, die Franzosen seien fast langsam herangekommen, in dichten Kolonnen, drei oder vier Wellen hintereinander – und seien nun reihenweise zusammengeschossen worden. Auch wir hatten gewiß in so mörderischen Kämpfen schwere Verluste, aber sie dulden keinen Vergleich mit den unabsehbaren Strömen von Blut, die den Franzosen diese Tage kosteten.


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