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Verschärfung des U-Boot-Krieges.

Ueber die Behandlung bewaffneter Kauffahrteischiffe wurde eine Denkschrift des Reichsmarineamts veröffentlicht, von deren Inhalt gleichzeitig den neutralen Regierungen Kenntnis gegeben wurde. Die Denkschrift weist darauf hin, daß die englische Regierung englischen Reedereien schon vor Ausbruch des gegenwärtigen Krieges Gelegenheit gegeben hat, ihre Kauffahrteischiffe mit Geschützen zu versehen. Die Denkschrift weist weiter nach, daß die den bewaffneten englischen Handelsschiffen gegebenen Instruktionen sie ausdrücklich auffordern, gegen deutsche Kriegsschiffe, besonders U-Boote, auch angriffsweise vorzugehen. Wenn die deutsche Admiralität die Besatzung dieser Schiffe bisher nicht als Piraten, sondern als Kriegsteilnehmer behandelt hat, so behält sie sich jetzt vor, anders zu verfahren. Auf jeden Fall würden die bewaffneten englischen Handelsdampfer künftig rücksichtslos niedergekämpft werden. Die englische Admiralität hatte feindliche bewaffnete Handelsschiffe immer als Kriegsschiffe schlechtweg aufgefaßt, ohne sich darum zu kümmern, ob ihre Waffen zum Angriff oder nur zur Verteidigung dienen sollten. Die neuen Bestimmungen für die Behandlung bewaffneter Kauffahrteischiffe galten für alle Meere, nicht nur für die als »Kriegsgebiet« erklärten Teile. Der Denkschrift war eine große Anzahl Beilagen beigefügt, darunter auch die Geheimbefehle der englischen Admiralität an ihre Kauffahrteischiffe.

Im Hafen von New-York internierte englische Unterseeboote. Die U-Boote wurden auf Kosten der englischen Regierung auf amerikanischen Werften erbaut. Nach ihrer Fertigstellung weigerte sich jedoch die amerikanische Regierung, die U-Boote auszuliefern. Sie liegen jetzt unter amtlichem Verschluß im New-Yorker Hafen.

Auch die österreichisch-ungarische Regierung schloß sich den deutschen Maßnahmen an. Das Wiener Ministerium des Aeußern richtete an die am Wiener Hofe beglaubigten diplomatischen Vertreter der neutralen Mächte eine Zirkularverbalnote, die den Tatbestand entsprechend den Ausführungen der deutschen Denkschrift zusammenfaßte und am Schlusse lautete: »Bei dieser Sachlage ergeht an die österreichisch-ungarischen Seestreitkräfte der Befehl, derartige Schiffe als Kriegführende zu behandeln, ein Befehl, der indes erst vom 29. Februar 1916 an zur Ausführung gelangen wird. Diese Frist wird im Interesse der neutralen Mächte erteilt, damit sie in die Lage kommen, ihre Angehörigen vor der Gefahr zu warnen, der sie sich aussetzen würden, wenn sie ihre Person oder ihr Gut bewaffneten Handelsschiffen der mit Oesterreich-Ungarn kriegführenden Staaten anvertrauten, sowie auch diejenigen ihrer Angehörigen zu benachrichtigen, welche sich etwa bereits an Bord von Schiffen der vorerwähnten Art befinden.« –

Wir lassen nun zunächst den Wortlaut der deutschen Denkschrift folgen:

I.

1. Schon vor Ausbruch des gegenwärtigen Krieges hatte die britische Regierung englischen Reedereien Gelegenheit gegeben, ihre Kauffahrteischiffe mit Geschützen zu armieren. Am 26. März 1913 gab der damalige Erste Lord der Admiralität Winston Churchill im britischen Parlament die Erklärung ab, daß die Admiralität die Reedereien aufgefordert habe, zum Schutze gegen die in gewissen Fällen von schnellen Hilfskreuzern anderer Mächte drohenden Gefahren eine Anzahl erstklassiger Liniendampfer zu bewaffnen, die dadurch aber nicht etwa selbst den Charakter von Hilfskreuzern annehmen sollten. Die Regierung wollte den Reedereien dieser Schiffe die notwendigen Geschütze, die genügende Munition und geeignetes Personal zur Schulung von Bedienungsmannschaften zur Verfügung stellen.

2. Die englischen Reedereien sind der Aufforderung der Admiralität nachgekommen. So konnte der Präsident der Royal Mail Steam Packet Company, Sir Owen Philipps, den Aktionären seiner Gesellschaft bereits im Mai 1913 mitteilen, daß die größeren Dampfer der Gesellschaft mit Geschützen ausgerüstet seien; ferner veröffentlichte im Januar 1914 die britische Admiralität eine Liste, wonach 29 Dampfer verschiedener englischer Linien Heckgeschütze führten.

3. In der Tat stellten bald nach Ausbruch des Krieges deutsche Kreuzer fest, daß englische Liniendampfer bewaffnet waren. Beispielsweise trug der Dampfer »La Correntina« der Houlder-Linie in Liverpool, der am 7. Oktober 1914 von dem deutschen Hilfskreuzer »Kronprinz Wilhelm« aufgebracht wurde, zwei 4,7-zöllige Heckgeschütze. Auch wurde am 1. Februar 1915 ein deutsches Unterseeboot im Kanal durch eine englische Jacht beschossen.

II.

1. Was den völkerrechtlichen Charakter bewaffneter Kauffahrteischiffe betrifft, so hat die britische Regierung für die eigenen Kauffahrteischiffe den Standpunkt eingenommen, daß solche Schiffe solange den Charakter von friedlichen Handelsschiffen behalten, als sie die Waffen nur zu Verteidigungszwecken führen. Demgemäß hat der britische Botschafter in Washington der amerikanischen Regierung in einem Schreiben vom 25. August 1914 die weitestgehenden Versicherungen abgegeben, daß britische Kauffahrteischiffe niemals zu Angriffszwecken, sondern nur zur Verteidigung bewaffnet werden, daß sie infolgedessen niemals feuern, es sei denn, daß auf sie zuerst gefeuert wird. Für bewaffnete Schiffe anderer Flaggen hat dagegen die britische Regierung den Grundsatz aufgestellt, daß sie als Kriegsschiffe zu behandeln seien; in den Prize Court Rules, die durch die Order im Council vom 5. August 1914 erlassen worden sind, ist unter Nr. 1 der Order I ausdrücklich bestimmt: »ship of war shall include armed ship«.

2. Die deutsche Regierung hat keinen Zweifel, daß ein Kauffahrteischiff durch die Armierung mit Geschützen kriegsmäßigen Charakter erhält, und zwar ohne Unterschied, ob die Geschütze nur der Verteidigung oder auch dem Angriff dienen sollen. Sie hält jede kriegerische Betätigung eines feindlichen Kauffahrteischiffes für völkerrechtswidrig, wenn sie auch der entgegenstehenden Auffassung dadurch Rechnung trägt, daß sie die Besatzung eines solchen Schiffes nicht als Piraten, sondern als Kriegführende behandelt. Im einzelnen ergibt sich ihr Standpunkt aus der im Oktober 1914 der amerikanischen Regierung und inhaltlich auch anderen neutralen Mächten mitgeteilten Aufzeichnungen über die Behandlung bewaffneter Kauffahrteischiffe in neutralen Häfen.

3. Die neutralen Mächte haben sich zum Teil der britischen Auffassung angeschlossen und demgemäß bewaffneten Kauffahrteischiffen der kriegführenden Mächte den Aufenthalt in ihren Häfen und Reeden ohne die Beschränkungen gestattet, die sie Kriegsschiffen durch ihre Neutralitätsbestimmungen auferlegt hatten. Zum Teil haben sie aber auch den entgegengesetzten Standpunkt eingenommen und bewaffnete Kauffahrteischiffe Kriegführender den für Kriegsschiffe geltenden Neutralitätsregeln unterworfen.

Deutsche Torpedoboote vor der flandrischen Küste.

III.

1. Im Laufe des Krieges wurde die Bewaffnung englischer Kauffahrteischiffe immer allgemeiner durchgeführt. Aus den Berichten der deutschen Seestreitkräfte wurden zahlreiche Fälle bekannt, in denen englische Kauffahrteischiffe nicht nur den deutschen Kriegsschiffen bewaffneten Widerstand entgegensetzten, sondern ihrerseits ohne weiteres zum Angriff auf sie übergingen, wobei sie sich häufig auch noch falscher Flaggen bedienten. Eine Zusammenstellung solcher Fälle findet sich in der Anlage 4, die nach Lage der Sache nur einen Teil der wirklich erfolgten Angriffe umfassen kann. Auch geht aus der Zusammenstellung hervor, daß sich das geschilderte Verhalten nicht auf englische Kauffahrteischiffe beschränkt, vielmehr von den Kauffahrteischiffen der Verbündeten Englands nachgeahmt wird.

2. Die Aufklärung für das geschilderte Vorgehen der bewaffneten englischen Kauffahrteischiffe enthalten die photographisch wiedergegebenen geheimen Anweisungen der britischen Admiralität, die von deutschen Seestreitkräften auf weggenommenen Schiffen gefunden sind. Diese Anweisungen regeln bis ins einzelne den artilleristischen Angriff englischer Kauffahrteischiffe auf deutsche Unterseeboote. Sie enthalten genaue Vorschriften über die Aufnahme, Behandlung, Tätigkeit und Kontrolle der an Bord der Kauffahrteischiffe übernommenen britischen Geschützmannschaften, die z. B. in neutralen Häfen keine Uniform tragen sollen, also offenbar der britischen Kriegsmarine angehören. Vor allem aber ergibt sich aus den Anweisungen, daß diese bewaffneten Schiffe nicht etwa irgendeine seekriegsrechtliche Maßnahme der deutschen Unterseeboote abwarten, sondern diese ohne weiteres angreifen sollen. In dieser Hinsicht sind folgende Vorschriften besonders lehrreich:

a) Die »Regeln für die Benutzung und die sorgfältige Instandhaltung der Bewaffnung von Kauffahrteischiffen, die zu Verteidigungszwecken bewaffnet sind«, bestimmen in dem Abschnitt »Gefecht« unter Nr. 4: »Es ist nicht ratsam, das Feuer auf eine größere Entfernung als 800 Yards zu eröffnen, es sei denn, daß der Feind bereits das Feuer eröffnet hat.« Grundsätzlich hat hiernach das Kauffahrteischiff die Aufgabe, das Feuer zu eröffnen, ohne Rücksicht auf die Haltung des Unterseebootes.

b) Die »Anweisungen, betreffend Unterseeboote, herausgegeben für Schiffe, die zu Verteidigungszwecken bewaffnet sind« schreiben unter Nr. 3 vor: »Wenn bei Tage ein Unterseeboot ein Schiff offensichtlich verfolgt, und wenn dem Kapitän augenscheinlich ist, daß es feindliche Absichten hat, dann soll das verfolgte Schiff zu seiner Verteidigung das Feuer eröffnen, auch wenn das Unterseeboot noch keine entschieden feindliche Handlung, wie z. B. Abfeuern eines Geschützes oder eines Torpedos, begangen hat.« Auch hiernach genügt also das bloße Erscheinen eines Unterseebootes im Kielwasser des Kauffahrteischiffes als Anlaß für einen bewaffneten Angriff.

In allen diesen Befehlen, die sich nicht etwa nur auf die Seekriegszone um England beziehen, sondern in ihrem Geltungsbereich unbeschränkt sind, wird auf die Geheimhaltung der größte Nachdruck gelegt, und zwar offenbar deshalb, damit das völkerrechtswidrige und mit den britischen Zusicherungen in vollem Widerspruch stehende Vorgehen der Kauffahrteischiffe dem Feinde wie den Neutralen verborgen bleibe.

3. Hiernach ist klargestellt, daß die bewaffneten englischen Kauffahrteischiffe den amtlichen Auftrag haben, die deutschen Unterseeboote überall, wo sie in ihre Nähe gelangen, heimlich zu überfallen, also rücksichtslos gegen sie Krieg zu führen. Da die Seekriegsregeln Englands von seinen Verbündeten ohne weiteres übernommen werden, muß der Nachweis auch für die bewaffneten Kauffahrteischiffe der anderen feindlichen Staaten als erbracht gelten.

IV.

1. Unter den vorstehend dargelegten Umständen haben feindliche Kauffahrteischiffe, die mit Geschützen bewaffnet sind, kein Recht mehr darauf, als friedliche Handelsschiffe angesehen zu werden. Die deutschen Seestreitkräfte werden daher nach einer kurzen, den Interessen der Neutralen Rechnung tragenden Frist den Befehl erhalten, solche Schiffe als Kriegführende zu behandeln.

2. Die deutsche Regierung gibt den neutralen Mächten von dieser Sachlage Kenntnis, damit sie ihre Angehörigen warnen können, weiterhin ihre Person oder ihr Vermögen bewaffneten Kauffahrteischiffen der mit dem Deutschen Reiche im Kriege befindlichen Mächte anzuvertrauen.

Berlin, den 8. Februar 1916.


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