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Deutschland und Rußland.

Eine halbamtliche Veröffentlichung besagte: »Die Waffenstreckung Montenegros bringt die Rolle in Erinnerung, die dieser kleine Balkanstaat und sein Beherrscher in den Ereignissen der europäischen Politik gespielt haben, die in ihren letzten Konsequenzen zum gegenwärtigen Kriege führten. Bekanntlich war es der »einzige Freund« Alexanders III., der im Jahre 1912 den Balkankrieg eröffnete. Es ist noch nicht authentisch festgestellt, ob das Vorgehen König Nikolaus damals eigener Initiative entsprang, oder ob sein Vorgehen ein vereinbarter Schachzug der Balkanverschwörer gewesen ist. Im Frühjahr 1912 hatten Bulgarien und Serbien einen geheimen Bündnisvertrag geschlossen, der die Interessensphären der beiden Staaten in Mazedonien für den Fall eines Krieges gegen die Türkei abgrenzte. Der Vertrag wurde mit Wissen und Billigung der russischen Regierung abgeschlossen, in dem Vertrage dem russischen Zaren das Amt eines Schiedsrichters zugewiesen. Die französische und die englische Regierung erhielten von dem Vertrage Kenntnis, vor Deutschland und Oesterreich-Ungarn wurde er bezeichnenderweise sorgfältig geheim gehalten, ohne ihnen darum verborgen zu bleiben. Spätere Vereinbarungen mit Griechenland und Montenegro vervollständigten den Balkanbund, der die schwierige Lage, in der sich die Türkei infolge ihres Krieges mit Italien befand, zur Verwirklichung seiner Eroberungspläne benutzte. Der Ausgang des Balkankrieges, der Serbien den Hauptanteil an der Beute zuwies, hatte die Folge, den großserbischen Aspirationen neue Nahrung zuzuführen. Der Verwirklichung des großserbischen Gedankens, der die Bildung eines einheitlichen serbischen Staatswesens erstrebte, das auch die Gebietsteile der österreichisch-ungarischen Monarchie mit serbischen Bevölkerungselementen umfassen sollte, standen als Hindernis die konkurrierenden Bestrebungen der beiden Dynastien in Belgrad und Cetinje entgegen, die, obgleich durch nahe verwandtschaftliche Bande miteinander verknüpft, sich mit Mißtrauen und Ungunst betrachteten.

Es ist eine bisher in der Oeffentlichkeit noch nicht bekannt gewordene Tatsache, daß kurz vor Ausbruch des gegenwärtigen Krieges Serbien und Montenegro sich bemüht haben, unter der Vermittlung und mit Unterstützung der russischen Regierung die bestehenden Gegensätze auszugleichen. Geheime Verhandlungen über einen engen Zusammenschluß der beiden Staaten auf diplomatischem, wirtschaftlichem und militärischem Gebiet waren eingeleitet worden, während die russische Regierung sich erbot, für die Organisation der Wehrmacht Montenegros, die beträchtlich erhöht werden sollte, die nötigen Mittel und Instruktoren zur Verfügung zu stellen. Muß schon der Ausbruch des Balkankrieges auf die Ermutigung zurückgeführt werden, die der Balkanbund von seiten Rußlands gefunden hatte, so ist es klar, daß in der geplanten Verschmelzung Serbiens und Montenegros unter dem Protektorat Rußlands mit seiner Spitze gegen die Integrität der österreichisch-ungarischen Monarchie eine eminente Gefahr für den europäischen Frieden enthalten war. Die Ereignisse des Frühjahrs 1914 haben diesen Plan zwar nicht reifen lassen, die geschilderten Vorgänge aber zeigen, daß, wenn der aggressive russische Panslawismus nicht schon jetzt den Krieg entfesselt hätte, die verhängnisvolle Tätigkeit der russischen Diplomatie auf dem Balkan den Krieg unabwendbar in wenigen Jahren herbeigeführt haben würde.

Wir haben geglaubt, diese Tatsache einmal feststellen zu sollen, weil der Träger dieser gefährlichen Politik der gegenwärtige russische Minister des Aeußern, Herr Sasonow, gewesen ist, der sich vor einiger Zeit dem Vertreter eines englischen Blattes gegenüber in maßlosen Angriffen gegen Deutschland erging und sich dazu verstieg, einen Kreuzzug der christlichen Stationen gegen die antichristlichen, kulturfeindlichen deutschen Barbaren zu predigen, die seit Jahren auf den Krieg hingearbeitet hätten. Herr Sasonow weiß und hat es selbst wiederholt anerkannt, daß Deutschland während 44 Jahren in Europa der Hort des Friedens gewesen und daß mehr als einmal die Erhaltung des europäischen Friedens seiner maßvollen Haltung und seinem Eingreifen zu verdanken gewesen ist. Um aber im russischen Volk Stimmung zu machen und diese Stimmung wach zu erhalten, war es von Beginn des Krieges an notwendig, die Volksleidenschaften durch Verbreitung der Mär aufzupeitschen, daß Deutschland schon lange den Plan hatte, über das ahnungslose Rußland herzufallen, und die Vorbereitungen zu diesem Ueberfall schon seit Jahren betrieb.

Ein Zeltlager der englischen Truppen in der Gegend von Saloniki. (Nach einer englischen Darstellung)

Dieser Fabel gegenüber möchten wir einmal an das Gedächtnis des Herrn Sasonow appellieren. Wenige kennen die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen der letzten zehn Jahre so gut wie er. Er weiß, welche freundliche Haltung Deutschland während des japanischen Krieges Rußland gegenüber beobachtet, und welche Dienste Kaiser Wilhelm dem Zaren geleistet hat, als es für Rußland galt, mit Ehren aus dem Mandschurei-Abenteuer, welches dem Lande ungeheure Opfer an Menschenleben und Geld gekostet hatte, herauszukommen. Aus den Akten seines Ministeriums muß Herrn Sasonow bekannt sein, daß Deutschland nach dem Frieden von Portsmouth den Augenblick für gekommen hielt, in seinen seit dem russisch-türkischen Kriege und dem Berliner Kongreß getrübten Beziehungen zu Rußland eine neue Seite aufzuschlagen und diese Beziehungen auf die Basis aufrichtiger gegenseitiger Freundschaft zu stellen. Von Rußland hing es ab, die ihm entgegengestreckte Freundeshand zu ergreifen. Daß Rußland in diese Hand nicht einschlug, daß es vielmehr vorzog, eine Annäherung an England zu vollziehen und auf diese Weise dem feindlichen Ring, den diese Macht um Deutschland zu schließen bemüht war, ein neues Glied hinzuzufügen, ist bekannt. Der Anschluß an England aber war es, der die russische Politik auf die abschüssige Bahn brachte, auf welcher sie eine immer zunehmende Gefahr für den europäischen Frieden werden mußte.

Untersucht man die Frage, warum Rußland es abgelehnt hat, in seiner auswärtige Politik einen Weg zu beschreiten, der ihm die Möglichkeit gewährt hätte, geschützt vor auswärtigen Gefahren, die begonnenen inneren Reformen ungestört auszubauen, so erkennt man bald, daß es zum großen Teil innerpolitische Einflüsse waren, welche den Entschluß, sich der gegen Deutschland gerichteten englischen Politik anzuschließen, herbeigeführt haben. Die von altersher deutschfeindliche nationalistische Richtung gelangte in Rußland nach dem japanischen Kriege und nach der Revolution zu immer größerer Macht. Die Regierung glaubte, in der Unterstützung dieser Richtung ein Mittel gefunden zu haben, um die revolutionäre Propaganda zu bekämpfen. Sie ließ es daher geschehen, daß die ungeheuerlichsten Lügen über die Haltung Deutschlands während des japanischen Krieges und der Revolution in Umlauf gesetzt wurden und im russischen Volke Wurzel faßten. Auf diese Lügen ist zum Beispiel auch die in liberalen russischen Kreisen verbreitete Ansicht zurückzuführen, Kaiser Wilhelm habe während und nach der Revolution 1905 alles getan, um die Reaktion zu stützen und den Zaren von der Gewährung einer Verfassung abzuhalten. Wer Kenntnis von den tatsächlichen Vorgängen jener Zeit hat, weiß, wie weit solche Behauptungen von der Wahrheit entfernt sind, da es in Wirklichkeit gerade Kaiser Wilhelm gewesen ist, der der Zaren auf die Gefahren hingewiesen hat, die seiner Dynastie drohten, wenn er sich dauernd den Wünschen seines Volkes nach Einführung einer parlamentarischen Vertretung widersetzte.

Es würde hier zu weit führen, näher auf die Einzelheiten der Politik der Tripelentente während der darauf folgenden Jahre einzugehen. Daß England es mit allen Mitteln darauf absah, Rußland mit den Zentralmächten zu verfeinden, zeigte sich schon an der Haltung, welche die englische Politik während der bosnischen Krise einnahm. Der englische Vertreter in St. Petersburg, Sir A. Nicolson, einer der Hauptförderer der englisch-russischen Entente, scheute sich im Frühjahr 1909 nicht, offen seiner Enttäuschung darüber Ausdruck zu geben, daß der wegen der Annexion Bosniens und der Herzegowina ausgebrochene Konflikt auf friedlichem Wege beigelegt wurde. Schon damals aber erlangte die russische Regierung in London die Gewißheit, daß ein Krieg Rußlands mit den Zentralmächten England auf seine Seite führen werde. Die Politik Sir Edward Greys in der bosnischen Krise bildet neben seiner Haltung in der Marokkofrage im Jahre 1911 die bedeutsamste Etappe auf dem Wege zum Weltkriege. Im ersten Falle fand der russische Panslawismus, im zweiten der französische Chauvinismus die Ermutigung, deren sie bedurften, um im Frühjahr 1914 im Vertrauen auf die Unterstützung Englands die Kriegsfackel zu entzünden. Vergebens hat Seine Majestät der Kaiser in treuer Freundschaft sich bemüht, den Zaren von dem verhängnisvollen Schritt abzuhalten, der Deutschland zwang, sich an die Seite seines Verbündeten zu stellen. Kaiser Nikolaus schlug auch dieses Mal die Warnungen seines kaiserlichen Freundes in den Wind. So brach die auf Tradition eines Jahrhunderts gegründete deutsch-russische Freundschaft zusammen. Der Zusammenbruch Serbiens und Montenegros aber besiegelt das Schicksal der Politik, der sie zum Opfer fiel.«

Senussenkrieger vertreiben die Engländer aus einer Oase. Nach einer Zeichnung von Bruno Richter.


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