Moritz v. Schwind
Künstlers Erdewallen
Moritz v. Schwind

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IV. Heimkehr

Wie ein Symbol für Schwinds Leben in seinem letzten Jahrzehnt steht das heimliche Landhäuschen am Starnberger See vor uns und Ludwig Richters Erinnerung an eine Heimfahrt dahin, am 18. Juli 1860: »München. Im Bahnhof Zusammentreffen mit Schwind. Schwind höchst liebenswürdig, schleppte einen Korb mit Birnen und Würsten, um sie zu den Seinen zu bringen. Freut sich innig über alles an der Landstraße. Wald. Schöner Abendhimmel. Glühendes Licht über Berge und Buchenwälder. Wallfahrtskirchlein zur heiligen Eiche mitten im Walde. ›Sixt, schau, ist das nit herrlich!‹ Eifert gegen das gedanken- und geistlose Arbeiten. ›Wann einer an ein schöns Bäumle sei Lieb und Freud hat, so zeichnet er all sein Lieb und Freud mit, und 's schaut ganz anders aus, als wenn ein Esel schön abschmiert.‹ ›Ach es gehört ein gar feiner, ein gar keuscher, guter Sinn dazu, um das Geheimnis aller Schönheit und aller Wunder der Natur aufzuschließen.‹ Wir fahren über den See bei einbrechender Nacht. Er jauchzert und jodelt den Seinen zu. Fernes Jodeln aus dem Walde als Antwort. Wie die Anna und die Nichte den Papa umarmen und umjubeln! Wie er freundlich zur etwas ernsten Hausfrau tut! Abendessen in dem köstlich kleinen Holzstübchen, mit Zinntellern und Krügen ausstaffiert.«

Die lang und viel ersehnte Heimkehr nach Wien aber war nur dem Künstler beschieden. Es war, wir wissen es, sein »alter Ehrgeiz«, wenigstens ein Bild nach Wien zu bringen. Da wurde er vor Weihnachten 1863 »von seiten des Komitees der Stadterweiterung eingeladen zu kommen, um Rücksprache zu nehmen wegen der im neuen Opernhaus auszuführenden Fresken«. »Nach verschiedenem Hin- und Herreden ergab sich für mich eine auch von der Straße sichtbare Loggie, auszufüllen mit Bildern aus der Zauberflöte . . . In einem Opernhaus in Wien muß ohne alle Frage Mozarts Name vornan stehen und wieder von allen seinen Opern entschieden die Zauberflöte, die entschiedenst deutsche, dem Stoff nach eine Verherrlichung der Macht der Musik, dem Kostüm nach diejenige, die einen gewissen notwendigen Grad von Symbolisierung erlaubt. Hiermit gloria in excelsis.« Das war also zugleich eine Heimkehr in das innerste Reich Schwindscher Kunst. Dieser ersten Betonung, daß die Loggia auch von der Straße sichtbar sei, folgt am 2. April 1865 die vergnügte Verdeutlichung: »Summa: Da die Bilder auch von der Straße gesehen werden, werden täglich einige fünfzigtausend Wiener verurteilt sein, einen Blick auf Kunstwerke zu werfen, in denen keine Spur von der herrschenden Schweinerei zu finden ist, und das freut mich. Auch wird es nicht schaden, wenn gegenüber dem anwachsenden musikalischen Unsinn und [Wagneri] anertum das Andenken an Mozart so oft als möglich aufgefrischt wird.« Die Kartons zur »Zauberflöte« wurden schon im Jahr 1865 fertig, die Ausführung in Fresko geschah im Sommer 1866 und 1867, unbekümmert um die politischen Ereignisse: »Item, ich male drauf los, so lang sie mich nicht vom Gerüst herunterschießen.« Für das Foyer des Opernhauses hatte der Meister noch vierzehn Kartons zu verschiedenen Opern beizusteuern, die ihn im Winter 1866 in Anspruch nahmen. Dazwischen, im Jahr 1865, förderte er mit wunderbar schöpferischer Phantasie eine Fülle von entzückenden kunstgewerblichen Entwürfen, die noch heute der damals versäumten Ausführung wert wären. Dann schuf er sein letztes, tief ergreifendes, nach Ludwig Richters Wort »mit Mozartischer Schönheit erfülltes« Werk, die Schöne Melusine, – »das wehmütige Ausklingen einer großen, herrlichen Kunstepoche.«

Noch im Alter gewann Schwind einen Freund, der ihm nach seiner Wesensgleichheit schon lange bestimmt sein mußte: Eduard Mörike. Ausnahmsweise war es dieser scheue Mann selbst, der im Dezember 1863 mit einem Briefe die Beziehungen begann; und alsbald schrieb er: »In Summa: Schwind ist ein Wundermann.« Wie herzlich und frohsinnig der Malerpoet antwortete, lese man selbst. Es kommt hier nicht auf ästhetische und literaturgeschichtliche Vergleichungen an und bleibt darum dem Gefühle des Lesers vorbehalten, die seelischen Grundlagen dieser herrlichen Freundschaft zu spüren. Man weiß, wie schwer es Mörike ankam, auch nur – nach seinem eigenen Wort – in einen anderen Rock zu schlüpfen, und man begreift, daß alle Versuche, sowohl von seiten Schwinds als Geibels und anderer Krokodilmitglieder, den schwäbischen Dichter nach München zu ziehen, vergeblich waren. Umsonst schrieb ihm der Freund: »Mit Kaulbach habe ich einen langen Diskurs über Sie gehabt. Nebst Verehrung im höchsten Grade ist er doch der Meinung, daß Ihnen einige Reiselust, wenigstens von Stuttgart bis München, sehr wohl anstehen würde. Sie sollten's ganz haben, wie Sie wollten. Still, spektakulös, in allen Abstufungen.« Dafür kam Schwind, der selbst in reiferen Jahren noch »ein rechter Voyageur« gewesen, häufiger zu Mörike: nach Stuttgart, wo dieser als Literaturprofessor an einer Mädchenschule wirkte, dann nach Lorch, wo er ruhte und nebenbei in einer Hafnerwerkstätte durch Gravierung von Tongefäßen (für die Freunde) seinem Formentrieb Befriedigung gewährte, endlich nach Nürtingen. Der letzte unserer Briefe an Mörike, vom 3. Dezember 1870, ist nicht mehr von Schwinds Hand, sondern von der seiner Gattin geschrieben. Das Übel, über das der Meister darin noch mit seinem gewohnten Humor zu siegen hofft, sollte sich nicht mehr bessern, und die nächste Nachricht, die Mörike erhielt, war die von der ewigen Heimkehr des Freundes am 8. Februar 1871.

Einige Zeit darauf empfing Mörike Schwinds Totenbild und schrieb dazu die ewig gültigen Worte: »Beim ersten Blick darauf schoß mir das Wasser in die Augen; dann aber ging das herbe, persönlich gemischte Schmerzgefühl alsbald in jene andere allgemeine, nur noch rein schöne und erhabene Empfindung über, die hier allein zu herrschen hat.«


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