Moritz v. Schwind
Künstlers Erdewallen
Moritz v. Schwind

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Nieder-Pöcking, 21. September 1864 (an Mörike)

Sehr verehrter Herr und Freund! Ich bin abwechselnd in der Stadt und auf dem Lande; so kömmt es, daß ich eine Zusendung später erhalte, und arbeite an zwei Sachen zugleich, mit dem größten Eifer; daher kömmt es, daß ich mit Briefschreiben gewaltig zurückbleibe, ja nahe daran bin, Bankrott zu machen.

Ich bin Ihnen von Herzen dankbar, daß Sie bei Versendung des Anakreon an mich gedacht haben; habe mich auch gleich daran gemacht, ihn zu lesen, worin ich auch bis zu den Anakreonticis gelangt bin. Ich will Ihnen nur aufrichtig gestehen, daß mich Ihre Vorrede noch mehr angezogen hat als die treffliche Übersetzung der Gedichte. Erstens staune ich, was Sie für ein gelehrter Herr sind. Zweitens dachte ich: an den Anakreonteen ist es so schön, wie Sie bemerken, daß alles erlebt ist, die Lori und Sopherl und Mirl von Lesbos und Chios, nirgends wird eine vor tausend Jahren einbalsamierte Ägyptierin besungen, und schließlich dachte ich: es lebe Deutschland, das alte, gelehrte, versessene Deutschland, das nie zugreifen kann und wenn man ihm's ums Maul schmiert. Nehmen Sie mir's nicht übel, aber es wird Einem schlimm, wenn ein Mann wie Sie Zeit hat zu übersetzen, und vollends eine Übersetzung nebst Zubehör für den Druck herzurichten. Wenn uns diese Arbeit ein einziges Gedicht von Ihnen kostet, so ist der ganze Anakreon zu teuer bezahlt. Ich tröste mich damit, daß etwa die Beschäftigung mit den Alten Sie zu der unvergleichlichen »Erinna« veranlaßt hat. Sagen Sie selber, ob ein so schönes Gedicht im Anakreon steht? Ich glaube es nicht. Doch genug von Sachen, die ich vielleicht nicht verstehe und bei denen ich von einer nicht geringen Wut beeinflußt bin, die ich nicht los werden kann, über den Schaden, den der ganz unberechtigte Vorzug der Antike mit allen seinen Folgen in unsrer Kunst angerichtet hat und noch anrichtet. Es ist beiläufig eben so viel als seinerzeit die Unterdrückung der deutschen Sprache durch die lateinische.

Im Frühjahr habe ich meine Reise zu meiner Tochter nach Frankfurt glücklich so eingerichtet, daß mich mein Weg über Stuttgart brachte, und schon dachte ich, es würde mir mein sehnlicher Wunsch gewährt werden, Sie zu sehen. Ich war aber von den unzähligen Besuchen in Frankfurt und Karlsruh so auf dem Hund, ja beinahe krank, daß, als man mir noch sagte, es sei wegen obwaltendem Pferdemarkt wohl schwer, ein Unterkommen zu finden, ich in Gottesnamen weiterfuhr, mich getröstend, aufgeschoben sei nicht aufgehoben. Ihnen gegenüber, der von seinem Haus gar nicht wegzubringen ist, kann ich auch geltend machen, daß ich wohl wegzubringen bin, aber nach ein paar Wochen Abwesenheit mit Gewalt nach Haus verlange. Der Buchhändler, den Sie mir zugeschickt haben, ist ein Kuriosum. Um Ihrer Empfehlung Ehre zu machen, ließ ich mich auf einen ganz schäbigen Handel mit ihm ein, glücklicherweise mit dem Vorbehalt den ich immer mache: da ist die Sach', da ist das Geld. Es kam aber nichts, und ebenso bei Freunden, die ihm die Sache gegeben haben. Ich kann also nichts dafür, wenn er über mich schimpft.

Freund Scherzer habe ich gesprochen und bei mir auf dem Atelier gehabt. Wie Sie wohl denken, war von Ihnen viel die Rede.

Leben Sie recht wohl, entschuldigen Sie mein unzusammenhängendes Gefabel und seien Sie meines besten Dankes und größten Verehrung für immer versichert.

Ihr ergebenster Diener und Freund M. v. Schwind.


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