Moritz v. Schwind
Künstlers Erdewallen
Moritz v. Schwind

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München, 12. November 1860 (an Bauernfeld)

Lieber alter Freund! Nach langer Zeit des Schweigens war ich nicht wenig erfreut, wieder einmal Deine Schrift zu sehen. Die Reise nach Ischl aufzuschieben, wie ich durch drängende Arbeit gezwungen wurde, erleichterte mir die Nachricht, daß ich weder Dich noch Frau Wertheimstein treffen würde, gar sehr. Ich tröstete mich auf einen Besuch in Wien, aber jetzt, wo ich los könnte, schneit es nach Noten und ich hätte die Aussicht, als Eiszapfen nach Wien zu kommen oder im Schnee stecken zu bleiben. Ich weiß, das viele Arbeiten ist ein Laster, aber gleichwohl muß ich Gott danken, daß ich noch so viel Eifer in meinen alten Knochen habe, daß ich nicht nachlassen kann, bis ich ein angefangenes Stück zu Ende gebracht habe. So hing ich diesen ganzen Sommer, vom halben Juni bis jetzt, an einer elf Fuß hoch und breiten Darstellung der heil. drei Könige. Ich ließ meinen Hühnerhof aufs Land gehen und blieb allein in der Stadt, weil ich das große Ding nicht mitnehmen konnte. Genug, jetzt ist es überstanden bis auf die letzte Feilen zu der man wieder ganz frisch und ausgerastet sein muß. Du wirst Dich vielleicht wundern, mich an Kirchenbildern arbeitend zu denken, der Teufel mag aber alleweil das nämliche machen und unsereinem kann es auch einmal vergönnt sein, das Nobelste in die Hand zu nehmen, was es gibt. Ich habe mich ganz restauriert daran, einmal alle malerischen Mittel zu kommandieren, und es scheint, nach dem Beifall den die Sache findet, ziemlich zu gelingen. Es steht in der Malerei ganz anders als in den übrigen Künsten. Das Publikum ist durch die bisherige Handhabung unsrer Kunst gewöhnt, einem Bilde gegenüber vor allem eine feierliche Langeweile zu empfinden, die sich in einem noch langweiligeren Hang zu kritisieren ausgießt. Den Gegensatz bildet nur eine kleine Ausweichung ins Lüsterne und Gemeine, das sich hinter das Malenkönnen versteckt. Kommt einmal etwas, das den Beschauer irgend innerlich anregt, wie ein Erlebnis, muß einer ein wenig lachen oder weinen oder schwärmen, so haltet er das Ganze für ein Dilettantenwerk. Das habe ich hundertmal erfahren. So macht es mir denn auch Freude zu zeigen, daß ich von der Kunst gerade so viel verstehe und noch etwas mehr als die andern Gispeln auch. Du hast recht, die Barbarei ist im Anzug, aufhalten kann ich sie nicht, aber habe ich mich so lange Jahre nicht irre machen lassen, so kann sie mir jetzt vollends gestohlen werden. Es handelt sich in der Malerei noch um so vieles, was die anderen Künste hinter sich haben, daß ich lebhaft wünsche, noch zwanzig Jahre arbeiten zu können, um das Meinige nicht schuldig zubleiben, um Leben und Licht in die Sache bringen zu helfen. Ob es viel oder wenig ist, kümmert mich gar nicht, ob man mich hoch oder niedrig stellt, noch viel weniger, ich denke meinen Graben so gut auszufüllen als ein anderer. Ich halte mich sorgfältig auf der Kenntnis der neuen Literatur, in musicalibus ist nicht viel zu holen und staune, wie weit das mit der Malerei auseinander liegt. Alles was ich lese ist aus unserer Zeit, aus unserer Bildungsstufe entstanden, und wenn weiter gar nichts ist, so ist es doch in deutscher Sprache geschrieben. Bei uns geht die Hälfte drauf aus, ein Dasein vor dreihundert Jahren zu affektieren, die andere befleißt sich einer holdseligen Lümmelhaftigkeit, die gar keine Notiz nimmt von der Höhe der Bildung, auf der wir leben, und entnationalisiert sind sie alle. Dazu gerechnet ein ziemlich langweiliges Leben, fast ohne alle Anregung, da kann man sich, wenn man nur etwas leistet, schon seines Fleißes rühmen.

Meine Familie ist Gott sei Dank wohlauf und Du würdest Dich einigermaßen wundern, sie zu sehen. Mein Sohn filius ist ein Bursch wie ein Bär, studiert mathematisches Zeug in Karlsruh (was, nebenbei gesagt, schweres Geld kostet). Meine älteste Tochter ist mir gleichfalls über den Kopf gewachsen, obgleich noch nicht sechzehn Jahre alt. Dann folgt eine lustige Person von dreizehn und endlich ein kleines Ding von fünf Jahren.Helene, geboren am 28. November 1855, seit 17. Juni 1886 mit dem Landschaftsmaler Paul v. Ravenstein vermählt. Das will alles erzogen und angezogen und gefüttert sein – es geht auch. In München lebt sich's gut – man wird etwas landpomeranzig, wie ich jedesmal bemerken kann, wenn ich mit einem ordentlichen Wiener zusammenkomme, aber man ist mit allen Leuten auf gutem Fuß. Mit dem König, mit Soldaten, Lutheranern, endlich auch mit der Polizei und den Gendarmen selbst. Ich komme auch mit Geibel und Sybel und denen gut aus. Bodenstedt ist sogar ein sehr angenehmer Mann, und der hübsche Heyse: auf einen Berliner ganz charmant. Ungesellig geht es zu, woran ich vielleicht selber schuld bin. Wenn es nicht ganz nach meinem Gusto ist, so tue ich lieber gar nicht mit. Darüber wäre ein trauriges Lied zu singen. Jetzt sei so gut und übernimm die herzlichsten Grüße an alle Freunde. Wäre die starke Kälte nicht eingetreten, so wäre ich jetzt in Wien.

Leb recht wohl, laß Dich mein langes Schwätzen nicht verdrießen und schreib bald wieder Deinem alten Freund Schwind.

 


Ölbehälter einer Hängelampe
Aus den Kunstgewerblichen Entwürfen

 


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