Moritz v. Schwind
Künstlers Erdewallen
Moritz v. Schwind

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Venezia, 23. Aprile 1835 (an Schaller)

Ecco mi ancora carissimo amigo Shalliero fermo ancora in Venezia, aspettando con dolore un passaporto nuovo da Vienna, e danari, che ambedue me rendano capace de persequir il mio viaggio verso di Roma, in reggio nella servitu di questa stupida bestia d'un pudlaccio e di un principe giovanni che oggi non sa che a detto jeri, e che sempre occupato, si non po vedere nessuna volta, e lascia tutto nelle mani d'un segretario, dei finezze di quello ciascuno sia libero per le gracia di Dio.Da sitze ich, liebster Freund Schaller, immer noch in Venedig, in der schmerzhaften Erwartung eines neuen Passes aus Wien und von Geldern, die mich beide in den Stand setzen sollen, meine Reise nach Rom fortzusetzen, ich bin in Knechtschaft gehalten von dieser dummen Bestie von einem Pudel (Quaglio) und einem jungen Prinzen, der heute nicht weiß, was er gestern gesagt hat, und der immer so beschäftigt ist, daß man ihn nie zu sehen bekommt, und alles in den Händen eines Sekretärs läßt, vor dessen Finessen Gottes Gnade jeden bewahren möge. So geht es mit dem Italienischen, wenn ich nicht stecken bleibe, was in jedem Satz beiläufig so oft geschieht als er Worte hat. Wir wollen suchen, wie es mit dem übrigen geht. Dein Brief, so sehr es mich freute, ihn auf der Post zu finden, hat mich in einige Schrecken versetzt; erstens, daß es gar so schlecht mit der Arbeit aussieht, – hol der Teufel alles miteinander – und daß zu vermuten steht, Schulz würde nicht nach Wien reisen.

Anlangend Dich weiß ich nichts zu raten, auch vorderhand nicht zu helfen, da ich unendlich zufrieden sein muß, daß ich nach so verzweifelten Beschädigungen wie der Abzug der sechshundert tapfern, liebenswürdigen, lebensfrohen, gesunden und tugendhaften Gulden – diese Träne ihrem Andenken! diesen schäbigen Ausreißern – und die notgedrungene Überwinterung in Wien noch immer imstande bin, meine Reise zu vollenden und dort für den ersten Anlauf bei der Zurückkunft einiges vorrätig finde. Halt nur in Gottesnamen aus, so gut es geht, es wird sich etwas finden. Man wird Dir doch nicht ganz in den Wind hinein Versprechungen machen. In ganz großer Not, beiläufig wie meine auf dem Dampfschiff, wird auch Beisprung, schönes Wort! nicht ferne sein! Betreffs meiner, was soll ich tun? Jetzt bin ich so weit in Italien, wer weiß, wie ich wieder dazu komme, und zudem läßt sich die Sache verzweifelt schön an. Mein Aufenthalt wird kurz sein, denn über vier Monate reicht mein Proviant nicht, vielleicht nicht ganz so lang, wenn ich nicht mit leeren, ganz leeren, entsetzlich leeren Taschen nach Hause kommen will; aber besser kurz als gar nicht, vielleicht besser kurz als zu lang. Ist es nicht eine Schande, zu denken, was dann am klügsten sein wird anzufangen? aber dio mio die Zeiten gewinnen ein fatales Aussehen, »und Andresl möchte gern leben!« Welche fünfzigtausend Teufel reiten denn den Schnorr, daß er noch einen so entsetzlichen Kleiderhandel unternimmt? Es wird also schon an Arbeit für den neuen Bau [der Residenz] gedacht, ist alles schon verpachtet? Auf unsereinen wird da schwerlich etwas kommen. Auch gut. Indessen dürfte es nicht übel sein, Augen und Ohren bei der Hand zu haben. Daß man von der Sache mit Hohen-Schwangau weiß, macht am Ende nichts. Die Trefflichen, die mich besuchen wollten, kann ich vielleicht wo anders hin laden, wo es auch nicht übel ist.

Ich habe mich hier schon ordentlich herumgetrieben und die wichtigsten Sachen zwei-, dreimal gesehen. Meine Hauptfreude aber ist San Giovanni e Paolo nebst der Markuskirche, in der ich täglich eine kleine Revue halte. Die Untersuchungen über Komposition finden hier wenig Ausbeute, ich hoffe überhaupt den ganzen Plunder los zu werden. Über den Charakter des Titian bin ich ganz irre. Ich kann gar zu keinem rechten Begriff kommen, was denn das für ein Menschenkind ist. Paol Verones ist derjenige, den mancher kennen lernt, aber selten in seinem rechten Humor. Dagegen setzen mich die Alten in Erstaunen. Diese Kirchlichen haben einen verteufelten Vorsprung schon dadurch, daß sie Glieder einer geistigen Gesellschaft sind, während die anderen nur zu oft von dem sehr materiellen Interesse, einer Macht von dieser Welt, abhängen. Diese Judenkerls von Dogen haben sich nicht wenig erlaubt, die Kunst zu Staatszwecken zu erniedrigen, wie RingseisDr. Joh. Nep. Ringseis, der Leibarzt König Ludwigs I. sagt. Sei's wie es will, die Sachen sind gut, und ich für meinen Teil freue mich unendlich, daß ich das alles sehen kann. Ich wohne sehr angenehm bei Spauns Schwager, habe eine prächtige Aussicht, bin ganz ungestört, im freien Gebrauch von Büchern, Kupferstichen in Massen, eines herrlichen Klaviers, unschätzbaren Bedientens und habe überdies eine kleine, aber sehr honette Bildersammlung im Haus. Mit Quaglios Sachen werde ich – dem Himmel sei eine Wachskerze versprochen, grande flagrante spangente odori e dipinta ed ornata con fiori e santi!! [eine große, flammende, duftende, bemalte, blumengeschmückte, geweihte!!] – dieser Tage fertig: das ist eine schöne Unterhaltung!

Die Riva besuche ich täglich zweimal, wenn ich nicht vorziehe, in der Gondel herumzufahren per uin swansiger die Stunde. Zwei treffliche Erzähler machen mir das größte Vergnügen. Der eine, Tonin Bangnatio, schwarz angezogen, mit zinnernen Ringen von kolossaler Größe an den Fingern, reißt Possen, über die alles unmenschlich lacht, von denen ich aber, da er den Dialekt spricht, fast gar nichts verstehe. Der andere, zerlumpt und schmierig wie man sich gar nicht vorstellen kann, erzählt im größten Pathos sehr rührende Geschichten. Missetaten geschehen vom schwersten Kaliber, Geister erscheinen, sie zu entdecken, noch öfter aber und fast immer wird ein Tyrann, schlechter Kerl und Ungeheuer vom Kaiser Joseph il dolcissimo amigo della infelice umanita, il buonissimo sovrano [der zärtlichste Freund der unglücklichen Menschheit, der Beste der Herrscher] unerkannt überrascht und dann in Galea [zur Galere] verurteilt. Nebenbei bemerke ich einen Alten, der noch seinen einst roten Mantel trägt, die Zierde des venetianischen Adels. Dermalen ist er ganz schäbig, nur in den tiefsten Falten rot und häufig mit blauen und schwarzen Fetzen gestickt. Eine Gondel, von einem Kapuziner gerudert, während sein Kamerad im Kammerl schläft, in einem ganz entlegenen verfallenen Kanal machte sich auch nicht übel. Ein Winkel an einer Kirche verschmäht die gewöhnliche Inschrift rispetate la casa di Dio [Ehrfurcht vor dem Haus Gottes] und schreibt Dio te vede [Gott sieht dich]. Man denke sich Dio, wie er zuschaut. Das Gesindel von Matrosen und voraus die nobeln, schönen, einzigen Venetianerinnen unterhalten mich trefflich. Abends gehe ich öfter in eine Kneipe mit hinlänglich verrückten Individuen: Ein Buchhaltungsbeamter, so zu Schanden gerechnet, daß er auch Sonntags, wie vom bösen Geist getrieben, in die Kanzlei muß und allein, verzweiflungsvoll irgend etwas rechnet. Ein Hauptmann, der täglich rapportiert, wie viel Prügel Pisan Sabion und Agostion, die gottlosen Schufte, bekommen haben. Gottseidank hat er jetzt acht Tage Haus-Arrest, weil der Sabion, der Lump, bei der letzten Parade besoffen war und in dem erhabenen Moment der Revue zu speien anfing. Ein Luder von Oberleutnant spricht von sich als dem schwarzen Hofer. Adieu. Schwind nel Caffè greco.

NB. Es wird eine Kiste Pomeranzen unter deiner Adresse anlangen, die ich auszuzahlen und zu Schnorr zu spedieren bitte. Deinem Bruder und Schulz, sowie dem Kupfer stechenden Geschlecht, Schwanthaler alles Schöne.


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