Moritz v. Schwind
Künstlers Erdewallen
Moritz v. Schwind

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München, 2. Jänner 1858 (an Schädel)

Liebster Freund! Von Deiner Absicht, Frankfurt zu verlassen, bin ich schon eine gute Weile durch Donner unterrichtet. Es wird's halt in Frankfurt »nicht mehr getan haben«, wie man bei uns sagt. Ich bin immer unmaßgeblich der Meinung, daß alle großen Herren sich viel lieber anschmieren lassen als ehrlich bedienen, was seinen Grund in dem allgemeinen Widerwillen gegen das Respektfühlen hat, das ist wenigstens zwischen den Zeilen unserer Zeit sehr deutlich zu lesen. Geschehen ist es jetzt und es bleibt nur übrig zu wünschen, daß Du Dich recht nach Wunsch einrichten kannst und daß die Frau Hoffstadt recht oft herüberkommt.

Ich werde, was Umgang betrifft, immer aristokratischer. Leute, für die das Schöne nicht auf der Welt ist, langweilen mich, und die das Schöne in sich aufnehmen oder gar hervorbringen können, das ist die Aristokratie, die ich brauche. Es gibt des Resignierens und Verzichtens auf dieser Welt genug, im Umgang mag ich nichts davon wissen. Da kannst Du auch was zwischen den Zeilen lesen. Ad vocem Schönes will ich zwei Worte von Frau Schumann reden. Solchen Glauben habe ich nicht gesucht in Israel. Andere mögen mit ein paar Pferdekräfte mehr auf dem Klavier arbeiten, diese Frau spielt aber ohne die geringste Ostentation, als säße sie in ihrem Zimmer und erfände eben, was sie spielt.

Von uns zu reden, haben wir das kleine Haus, das Du kennst, verkauft. Es wollte durchaus nicht mehr ausreichen, und da ich auch das Häuschen am See habe, kam es mich zu hoch. Über den Winter wohnen wir ein paar Häuser weiter. Ende April ziehen wir in eine Wohnung nah' der protestantischen Kirche, wenn Du Dich daran erinnerst. Daß ich im August, Deiner oft gedenkend, in England war, weißt Du; bei meiner Zurückkunft machte ich mich an eine große Arbeit, die ich nur unterbrochen habe, um für den König eine Komposition zu machen von der Erstürmung Jerusalems durch Gottfried von Bouillon. Nicht lang wird es mehr hergehen, etwa drei Wochen, so ist der erste Akt fertig. Komponiert ist alles. Der Gegenstand ist die Geschichte eines braven Mädels, das seine sieben in Raben verwandelten Brüder durch schwergeprüfte Treue erlöst. Man nennt das ein Märchen, ich danke aber für diesen Titel, denn es ist um kein Haar weniger Arbeit dran als an einer tüchtigen Oper. Wenn ich im Frühjahr fertig bin, kann es leicht geschehen, daß ich die ganze Geschichte in eine Kiste packe und damit nach Stuttgart, Karlsruhe und Darmstadt reise. Otto Donner und Frau Hoffstadt mögen dann herüberkommen, und wir lassen's uns erst recht gut gehen. In Frankfurt sind ihrer doch zu viele. Man wird immer älter und kann sich so was schon erlauben. Ich rechne aber auch darauf, daß Du Dich in München einfindest, wenn es irgend möglich ist.

Sehr betrübt hat mich der Tod Rauchs. Das war ein ganz nobler Künstler und für mich ein Gönner erster Sorte. Neues gibt es in München nichts. Lachner ist Gott sei Dank immer der Alte, und fast mein einziger Umgang.

Die Kinder sind Gott sei Dank gesund, obwohl gegen zwanzigtausend Menschen an der Grippe krank liegen. Die Ärzte laufen und fahren in der Stadt herum, daß es eine Freude ist. Somit wünsche ich glückseliges neues Jahr. Möge sich einiges ändern, anderes aber, wobei ich an unsere alte gute Freundschaft denke, unverändert und unangefochten bleiben. Grüße Frau und Kinder bestens und behalte lieb Deinen alten Freund Schwind.

 


Franz Lachner mit Karoline Hetzenecker, Sophie Diez und Leopoldine Lenz
Aquarell von M. v. Schwind aus dem Jahr 1848

 


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