Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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12. Die Unterwelt.

Die einfachste Vorstellung von der Unterwelt ist die, daß sie das Reich des Aïdoneus und der Persephone und da sei wo diese beiden wohnen, daher das Epos den Tod gewöhnlich umschreibt als ein Eingehn oder Hinabgehn δόμον Ἄιδος εἴσω oder εἰς Ἀίδαο δόμουςBisweilen steht blos Ἄιδος εἴσω oder εἰς Ἀίδαο, wobei δόμον oder δόμους zu ergänzen ist, s. Völcker Hom. Geogr. 135 ff. oder Ἄιδόσδε und δῶμα Ἀίδαο, wobei Aïs oder Aïdes immer als persönlicher Herrscher der Unterwelt, als Aïdoneus zu denken ist. Natürlich malte die Phantasie sich diese Wohnungen weiter aus und zwar mit düsteren und schwermüthigen Bildern, wobei die Vorstellungen von dem ewigen Verschluß des Todes und von dem Finstern und Farblosen der dortigen Existenz die leitenden sind. So ist besonders oft von dem weiten Thore jenes Hauses die Rede (κατ' εὐρυπυλὲς Ἄιδος δῶ, Od. 11, 571), weil Hades nehmlich πολύξενος und πολυδέκτης ist. Ja das Thor des Aïdes wurde bisweilen geradezu anstatt des ganzen Palastes, also anstatt der Unterwelt genannt, wie in einer vielbesprochenen Stelle der Heraklessage Il. 5, 395 ff., wo Herakles den Fürsten der Unterwelt verwundet ἐν πύλῳ ἐν νεκύεσσι, bei welchen Worten die Alten früh an eine Stadt Namens Pylos gedacht habenἐν πύλῳ d. h. im Thore der Unterwelt erklärten Aristarch und Didymos.. Und doch kommt dieser Ausdruck auch sonst vor, nur mit einer verständlicheren Wendung, z. B. Il. 23, 71 ϑάπτε με ὅττι τάχιστα πύλας Ἀίδαο περήσω: daher Hades selbst bisweilen schlechthin der Pförtner heißt, πυλάρτης Il. 8, 367, und auf bildlichen Darstellungen durch den Schlüssel in seiner Hand characterisirt wurde (Paus. 5, 20, 1), den er nach der gewöhnlichen Sage später dem Aeakos überlassen hatte. So weit nun aber jene Pforten der Unterwelt sind und so gastlich sie für Jeden offen stehen, bei Tag und bei Nacht, so unmöglich ist es wieder herauszukommen, 630 wenn man einmal über die Schwelle gegangen istAnakreon b. Stob. Floril. 118, 13 Ἀίδεω γάρ ἐστι δεινὸς μηχός, ἀργαλέη δ' ἐς αὐτὸν κάϑοδος· καὶ γὰρ ἑτοῖμον καταβάντι μὴ ἀναβῆναι. Virg. A. 6, 126 facilis descensus Averno. Noctes atque dies patet atri janua Ditis, sed revocare gradum superasque evadere ad auras, hoc opus hic labor est.: ein Bild welches durch das vom Kerberos, dem Hunde des Aïdes noch verstärkt wurde. Nehmlich dieser ist ganz der geeignete Wächter an der Schwelle jener Wohnung, freundlich gegen Alle welche hinein gehen, aber schrecklich und bissig gegen Jeden der wieder hinaus will (Hesiod th. 769, Soph. O. C. 1568), ein scheußliches Ungeheuer mit vielen Köpfen und fürchterlicher Stimme (th. 310). Auf den Vasenbildern und sonstigen Bildwerken, welche die Unterwelt oder einzelne Vorgänge daraus vorstellen, wird er wie ein griechischer Schäferhund bissigster Qualität abgebildet, wie sie noch jetzt der Schrecken der Reisenden sind und hin und wieder sogar Menschen zerreißen, nur daß Kerberos drei Hälse und Köpfe und nicht selten auch einen Schlangenschwanz hat. Die Wohnung des Aïdes selbst ist finster (εὐρώεις), auf unheimliche Weise weit und geräumig (δόμοι ἠχήεντες), voll von dämonischen Schrecknissen (Od. 11, 634). Die ganze Umgebung ist eine im höchsten Grade traurige und düstere (χῶρος ἀτερπής). So werden zwar Haine der Persephone genannt (ἄλσεα Περσεφονείης), aber sie bestehen aus Weiden und Silberpappeln, traurigen und unfruchtbaren Bäumen. Und von gleicher Beschaffenheit ist die bekannte Asphodeloswiese, auf welcher die Schattenbilder der Verstorbenen hin und her schweben (ἀσφοδελὸς λειμών), bedeckt von dem wuchernden Unkraute dem man in Griechenland und Italien überall wo die Cultur nicht thätig ist, namentlich auf steinichtem Boden und auf sandigen Uferstrecken begegnet, mit großen Stengeln und Blättern und vielen blaßfarbigen Blüthen, welche keine nährende Frucht tragen. Alles ist dort einförmig, finster und unfruchtbar, wie auch das unfruchtbare Rind den Unterirdischen geopfert wurde (Od. 10, 522).

Zur weiteren Ausführung dieses Bildes von der Unterwelt haben theils die örtlichen Culte der chthonischen Götter theils die Sagen von solchen Helden beigetragen, welche durch kühnen Muth bis zu dem Reiche des Pluton und der Persephone geführt wurden. Namentlich gehören dahin die alten Dichtungen vom Herakles und vom Orpheus, von denen jener den Kerberos 631 heraufholte dieser seine Eurydike losbitten wollte, ferner die von dem tollkühnen Lapithenkönige Peirithoos, der die Persephone selbst entführen wollte, endlich solche Dichtungen wo ein Held die Geister der Verstorbenen durch Todtenopfer zu beschwören und zu befragen kam, wie in der bekannten Nekyia der Odyssee und in einer ähnlichen Episode der NostenNitzsch de Hist. Hom. Fasc. 2 p. 33–35, z. Odyss. Bd. 3 S. 179, Sagenp. d. Gr. S. 120, über die Nekyia der Odyssee insb. J. F. Lauer Quaestt. Homer. Berol. 1843. Außerdem wird von Pausanias wiederholt ein altes Gedicht unter dem Namen Minyas als wichtige Quelle für die Vorstellungen von der Unterwelt angeführt, dessen Inhalt und Alter sich leider nicht genau bestimmen läßt, s. Welcker ep. Cycl. 1, 253; 2, 422. Am ersten wäre an eine Episode aus der Argonautensage und an die κατάβασις des Orpheus zu denken.. Die örtlichen Dienste der chthonischen Götter aber waren theils mysteriöser Art, wie die Mysterien denn unverkennbar auf alle die Unterwelt und den Tod betreffenden Bilder und Vorstellungen einen durchgreifenden Einfluß ausgeübt haben, theils waren es sogenannte Todtenorakel (νεκρομαντεῖα, ψυχομαντεῖα) d. h. Stätten wo die Geister der Verstorbenen von den Priestern citirt und zu beliebiger Auskunft an die Lebenden gezwungen wurden, wie es deren namentlich in älterer Zeit in sehr verschiedenen Gegenden gegeben hatNitzsch zur Odyssee Bd. 3 S. 154 ff. Auch auf dem Theater waren solche Beschwörungen nicht ungewöhnlich, wie die Perser des Aeschylos lehren u. Cic. Tusc. 1, 16, 37.. Zu Grunde liegt der Glaube einmal an die Möglichkeit eines unmittelbaren Verkehres mit den Verstorbenen, wie dieser sich auch in den vielen Todtenopfern und in den S. 611 ff. berührten Allerseelenfesten ausdrückt, zweitens der an einen örtlichen Zusammenhang der Unterwelt mit der Oberwelt, zu welchem besonders solche Gegenden Anlaß gaben, wo höhlenartige Schluchten, die in die Unterwelt hinabzuführen schienen, Ströme und anderes Gewässer von düsterem Ansehn oder bodenloser Tiefe, heiße Quellen, mephitische Ausdünstungen und andere derartige Naturerscheinungen auf den Tod und das Reich der Schatten hinwiesen. Eine der ältesten Stätten dieser Art befand sich in der gesegneten Landschaft am thesprotischen Meerbusen, die durch den Acheron und den Acherusischen See, dem das Alterthum verpestete Ausdünstungen zuschreibt, bewässert und durch die beiden Städte Pandosia und Ephyra (später Kichyros) bevölkert wurde. Sowohl die Heraklessage (Il. 2, 659) als die von Theseus und Peirithoos sammt anderen epischen Gedichten 632 knüpften bei den Sagen dieser Gegend und dem dortigen Todtendienste an und es ist seit alter Zeit vermuthet worden, daß schon die Schilderungen der Odyssee durch einige Rücksicht darauf bestimmt worden sindPaus. 1, 17, 5, O. Müller Dor. 1 S. 418, Proleg. S. 363 ff.. Aber auch in historischer Zeit blieb dieses Todtenorakel sehr angesehn, wie die Geschichte des Periander von Korinth lehrt, s. Herod. 5, 92. Ferner scheint es auch zu Phigalia in Arkadien ein solches Orakel gegeben zu haben (Paus. 3, 17, 8), während man in Hermione wenigstens einen unmittelbaren Zugang zum Hades zu haben behaupteteStr. 8, 373, Paus. 2, 35, 7. Derselbe nennt solche Stätten, wo bald Herakles bald Dionysos in die Unterwelt gehen oder wieder heraufkommen, bald Pluton mit der Persephone hinabfährt, auch bei Eleusis, 1, 38, 5, Troezen 2, 31, 2, Lernae 2, 36, 7; 37, 5, Koronea 9, 34, 4. Auch die eherne Schwelle b. Kolonos war solch ein Ort, Schol. Soph. O. C. 57., neben welchem aber der beim Vorgebirge Taenaron der weit berühmtere war, da namentlich die Heraklessage und die vom Theseus und Orpheus seit alter Zeit bei ihm anzuknüpfen pflegtePind. P. 4, 44 πὰρ χϑόνιον Αἴδα στόμα, Ταίναρον εἱς ἱερόν. Vgl. Str. 8, 363, Paus. 3, 25, 4, Menander b. Schol. Pind. P. 4, 76, Apollon. 1, 102, Apul. M. 6, 18 inibi spiraculum Ditis et per portas hiantes monstratur iter invium, cui te limite transmeato simul commiseris, iam canale directo perges ad ipsam Orci regiam. Auch ein Psychopompeion hatte es dort früher gegeben, Plut. d. ser. n. vind. 17.. Endlich gab es für die italischen und asiatischen Griechen zwei gleichartige Gegenden bei Cumae und bei Herakleia am Pontos. Namentlich war die ganz vulkanische und an düsteren Natureindrücken, höhlenartigen Gängen, heißen Quellen, mephitischen Ausdünstungen reiche Gegend bei Cumae, der ältesten griechischen Colonie am tyrrhenischen Meere, durch ihre Verehrung der unterirdischen Götter und ihr Todtenorakel bei den Alten eben so berühmt, wie sie es für uns durch Virgils Schilderungen in der Aeneide geworden istStr. 5, 244, Skymn. Ch. 249 οὗ Κερβέριόν τι δείκνυται ὑποχϑόνιον μαντεῖον u. A. Vgl. Heyne exc. 2 ad Virg. A. 7 u. Röm. Myth. 462.. Und was diese im Westen, das waren im Osten die gleichartigen Oertlichkeiten und Institute von Herakleia, einer Stadt von lebhaftem Verkehr und nicht geringer Bildung, deren Schriftsteller immer besonders beflissen gewesen sind die Alterthümer und Sagen ihrer Vaterstadt zu Ehren zu bringenApollon. 2, 353 ff. 728. 901 Schol., Euphorion b. Meineke Anal. Al. p. 63, Ritter Asien 9, 1, 767..

Bei so verschiedenen Einflüssen, neben welchen auch der 633 des Auslandes, hier besonders Aegyptens zu berücksichtigen ist, konnte es nicht fehlen daß die Bilder und Vorstellungen der Griechen von ihrer Unterwelt in verschiedenen Zeiten und Gegenden verschieden waren.

So herrscht gleich über den Ort wo die Unterwelt zu denken sei ein merkwürdiger Zwiespalt, indem derselbe zwar gewöhnlich, namentlich bei allen localen Ueberlieferungen, in das Innere der tiefen Erde versetzt wird, in anderen Sagen und Dichtungen aber diese Zukunft aller Menschen doch mehr wie ein Jenseits gedacht wird, das im fernen fernen Westen auf einer Insel im Okeanos, wo Sonnenuntergang und Nacht sind, zu suchen sei. In der Ilias herrscht die Vorstellung von der Unterwelt in der tiefen Erde vor, s. 9, 568; 22, 482 und besonders 20, 61, wo sich Aïdoneus fürchtet daß Poseidon ihm durch sein erderschütterndes Toben die Decke über dem Kopf zerreißen werdeAuch das Wort ἔνεροι, d. i. inferi deutet auf das Innere der Erde, G. Curtius Grundz. d. Et. 1, 273.. Dahingegen in der Unterweltsdichtung der Odyssee durchaus die andere Vorstellung die leitende ist. Odysseus schifft über den Okeanos bis er an eine niedrige Küste kommt, wo die Haine der Persephone und das Haus des Aïdes, also doch die ganze und die wirkliche Unterwelt ist, nicht etwa blos ein Eingang in die Unterwelt, wie manche Erklärer vermittelnd angenommen habenOd. 10, 508 ff. ἀλλ' ὁπότ' ἂν δὴ νηὶ δι' Ὠκεανοῖο περήσῃς, ἔνϑ' ἀκτή τ' ἐλαχεῖα καὶ ἄλσεα Περσεφονείης, μακραί τ' αἴγειροι καὶ ἰτέαι ὠλεσίκαρποι, νῆα μὲν αὐτοῦ κελσαι ἐπ' Ὠκεανῷ βαϑυδίνῃ, αὐτὸς δ' εἰς Ἀίδεω ἰέναι δόμον εὐρώεντα. Vgl. Nitzsch z. Od. Bd. 3 p. XXXV und S. 187.. Odysseus gräbt dann seine Grube und bringt seine Opfer, worauf die Schatten aus der Tiefe emporsteigen, so daß sie allerdings auch hier im Dunkel und in unterirdischen Räumen schwebend und scheinlebend gedacht werden; aber das Local des Plutonischen Reiches im Ganzen bleibt dabei doch ein anderes als in der Ilias, ein jenseitiges, transokeanisches wie gesagt, wie auch bei Hesiod deutliche Spuren von derselben Ansicht vorliegenth. 767 ff., wo freilich die Bilder des ewigen Dunkels in der Tiefe und die aus den Gegenden des Unterganges und der Nacht sehr bunt durch einander gemischt sind, s. oben S. 32.. Man muß dabei wohl bedenken daß der Okeanos mit seinen idealen Inseln, wie sie hier und dort in der Urfluth liegen, bei den Alten überhaupt eine Welt der Wunder und des Jenseits war (S. 27) und zweitens daß das Wesentliche der Vorstellung bei allen Bildern der griechischen Unterwelt das tiefe Dunkel ist, 634 welches den Alten bald als ἔρεβος d. h. als Dunkel der Tiefe, bald als ζόφος d. h. als Dunkel der Nacht und des Sonnenuntergangs erschien, so daß Aïdoneus und sein Reich sowohl hier als dort gedacht werden konnteDaher Soph. O. T. 179 ἀκτὰν πρὸς ἑσπέρου ϑεοῦ u. Plato Anthol. 7, 670 Ἀστὴρ πρὶν μὲν ἔλαμπες ἐνὶ ζωοῖσιν ἑῷος, νῦν δὲ ϑανὼν λάμπεις Ἕσπερος ἐν φϑιμένοις. Vgl. oben S. 349.. Endlich daß der Glaube an ein Todtenreich im Westen oder im Norden sich bei den verschiedensten Völkern wiederfindet, so natürlich ist es sich den Aufenthalt der Verstorbenen und ihre schattenhafte Existenz in den Gegenden zu denken, wo die Sonne täglich in die Nacht versinkt und diese und das Dunkel zu Hause zu sein scheinen.

Ein eigenthümliches Bild aus dieser Vorstellung von den Wohnungen der Todten im fernen Ocean des nächtlichen Unterganges ist das mythische Volk der Kimmerier (Od. 11, 13 ff.), welches zwar auch für ein bestimmtes geographisches Volk gehalten und demzufolge in verschiedenen Gegenden gesucht wurde, aber ursprünglich offenbar eben so mythisch ist wie die Phaeaken, die Kyklopen und Giganten des Westens. Sie werden beschrieben als ein Volk und eine Stadt (δῆμός τε πόλισ τε), welches in Nebel und Wolken wohne und nie von einem Strahl der Sonne beschienen werde, weder bei ihrem Aufgange noch bei ihrem Untergange, sondern immer sei über diese Armen die böse Nacht ausgebreitet; daher man sie sich später oft als ein Volk im hohen Norden gedacht hat. Doch nennt die Odyssee sie als Bevölkerung derselben Gegend wo ihr Held mit seinem Schiffe anlegt um seine Todtenbeschwörung vorzunehmen, so daß sie doch wohl nur ein mythisches Bild von den Verstorbenen selbst sein können. Auch deutet ihr Name auf Erebos und Unterwelt, da sie auch Κερβέριοι hießen, welches wahrscheinlich wie der Name des griechischen Höllenhundes Κέρβερος mit ἔρεβος zusammenhängt, während der Name Κιμμέριοι auf eine andere Form desselben Wortes, nehmlich auf ἐρεμνὸς führtVerschiedene Versuche den Namen des Kerberos zu erklären b. Schoemann 2, 197. Vgl. Kuhn Z. f. vgl. Spr. 2, 314, M. Müller ib. 5, 149, Weber ind. Stud. 2, 297.. Also die Todten selbst als Volk gedacht, daher wir derselben Vorstellung in dem Dienste der Unterirdischen zu Cumae in Italien wieder begegnen, s. Strabo 5, 244. Man glaubte daß die ganz von Höhlen und unterirdischen Gängen durchzogene Umgegend der Stadt und des Averner Sees ehedem von den Kimmeriern bewohnt 635 gewesen sei, welche unter der Erde gewohnt und nach Metall gegraben und die Fremden welche das Todtenorakel zu befragen kamen bei sich aufgenommen hätten, bis ein alter König sie vertilgt habeHesych Κερβέριοι – καὶ τὴν πόλιν οἱ μὲν Κερβερίαν καλοῦσιν οἱ δὲ Κιμμερίη, ἄλλοι δὲ Κίμμη, wo mit Meineke zu lesen ist Κύμην. Vgl. Paul. p. 43 Cimmerii u. Plin. 3, 61. ὁ Κιμμερίων βίος ἁφώτιστος Himer or. 9, 3..

Wieder andere Bilder treffen wir in dem letzten Gesänge der Odyssee 24, 11 ff., wo Hermes als Psychopomp die Seelen der ermordeten Freier in das Todtenreich einführt. Auf finsteren Wegen zieht er voran mit seinem magischen Stabe und sie folgen ihm wie Nachteulen schwirrend; denn man dachte sich die Seelen der Verstorbenen, nachdem sie den Körper verlassen, wie kleine geflügelte Wesen, in welcher Weise sie auch abgebildet werden, selbst noch in der ältesten christlichen KunstO. Jahn Arch. Beitr. 128, vgl. Grimm D. M. 788.. Sie kommen vorbei bei den Strömungen des Okeanos und bei der Λευκὰς πέτρη und bei den Pforten des Helios d. h. seines Untergangs und bei dem Volk der Träume, darauf aber gelangen sie gleich zu der Asphodeloswiese, wo die Geister der Verstorbenen in unterirdischen Schluchten wohnenv. 106 τι παϑόντες ἐρεμνὴν γαῖαν ἔδυτε; 204 εἰν Ἀίδαο δόμοις, ὑπὸ κεύϑεσι γαίης.. Also eine ganze Reihe von märchenhaften Vorstellungen und Oertlichkeiten der langen Reise, wie auch die Alten vom Tode zu sagen pflegtenArtemid. 2, 55 οἱ παλαιοὶ τοὺς μακρὰν ἀποδημίαν ἀποδημήσαντας εἰς ᾅδου προσεύεσϑαι ἔλεγον., darunter die räthselhafte Λευκὰς πέτρη. Am wahrscheinlichsten hat man sie für einen Felsen der Verwesung erklärt, von den bleichenden Gebeinen (λεύκ' ὀστέα) der Verstorbenen; wie auf dem Gemälde der Unterwelt von Polygnot ein eigner Dämon der Verwesung Namens Eurynomos zu sehen war und die Todtengerippe auf den Inseln der Sirenen und auf verschiedenen sepulcralen Gemälden und Reliefsv. Olfers über ein Grab bei Cumae, mit Rücksicht auf das Vorkommen von Skeleten unter den Antiken, Berl. Akad. 1831. dieselbe Vorstellung verrathen.

Aber wie sich in jenen Gegenden des Okeanos überhaupt die Bilder des Lichtes und des Dunkels, des Lebens und des Todes aufs merkwürdigste durchkreuzen, so hatte sich auch der Glaube an eine Zukunft der Menschen in dieser Gegend neben 636 den düsteren Bildern schon in sehr alter Zeit ein heiteres und seliges geschaffen, durch die schöne Dichtung vom Elysion oder den Inseln der Seligen. Zuerst taucht dieselbe in der Odyssee 4, 561 ff. auf, wo Proteus dem Menelaos weissagt, er werde nicht in seiner Heimath sterben, sondern die Götter würden ihn geleiten ἐς Ἠλύσιον πεδίον καὶ πείρατα γαίης, in das Gefild der Hinkunft an den äußersten Enden der Erde, wo der blonde Rhadamanthys wohne und wo die Menschen das glückseligste Leben von der Welt führten, denn da gebe es keinen Schnee und keinen Regen, sondern immer gewähre die Fluth des Okeanos sanfthauchende Lüfte des Zephyrs, die Menschen zu kühlen. Also eigentlich kein Land von Verstorbenen, sondern von lebendig Entrückten und eine besondere Bevorzugung Einzelner, die auf diese Weise der Trennung von Leib und Seele durch den Tod überhoben werden, wie auch Menelaos deshalb dorthin versetzt wird, weil er der Gemahl der Helena, der Tochter des Zeus sei. So scheint sich auch Rhadamanthys aus besonderen Gründen in Elysion zu befinden, der Sohn des Zeus und Bruder des Minos, der Weise, der Gerechte schlechthinTheogn. 701 οὐδ' εἰ σωφροσύνην μὲν ἔχοις Ῥαδαμάνϑυος αὐτοῦ, πλείονα δ' εἰδείης Σισύφου Αἰολίδεω. Pind. P. 2, 73 φρενῶν ἔλαχε καρπὸν ἀμώμητον οὐδ' ἀπάταισι ϑυμὸν τέρπεται ἔνδοϑεν. Bei Ibykos hieß er schlechthin ὁ δίκαιος, Athen. 12, 80, vgl. Tacit. A. 6, 6 praestantissimus sapientiae., wie ihn auch die örtliche Sage von Kreta und die von den Inseln des Mittelmeeres vorzüglich als Richter und Gesetzgeber zu schildern pflegte. Uebrigens kennt auch Hesiod dieses Land der seligen Zukunft, doch nennt er es nicht Elysion, sondern die Inseln der Seligen, wo Kronos regiere und neben ihm die gelösten Titanen und alle die unsterblichen Helden des alten epischen Gesanges zu finden sind (W. T. 167 ff.), fern von Göttern und Menschen, an den Grenzen der Erde, am tiefströmenden Okeanos, wo die Erde dreimal im Jahre grünende Frucht trage. Bei Pindar ist das Leben in dieser seligen Gegend zu einer letzten Belohnung für solche Menschen geworden, welche eine dreimal wiederholte Prüfung durch das Leben gut bestanden haben, Ol. 2, 68 ff., wo die Schilderung jener Glückseligkeit vollends in den glänzendsten Farben ausgeführt wird. Immer sind diese Inseln von sanften Lüften umhaucht, immer glänzen goldne Blumen an den herrlichen Bäumen, von denen die Seligen sich Kränze um Haupt und Arme winden. Und es waltet über sie mit weisem Rathe Rhadamanthys an der Seite 637 des Vaters Kronos, des Gemahls der Rhea, der zu oberst thront. Peleus und Kadmos leben dort und Achill, den seine Mutter hingeführt, nachdem sie das Herz des Zeus durch ihre Bitten bewegt hatte, sammt vielen anderen Helden und Gerechten der Vorzeit, von denen andere Sagen und Lieder erzähltenNach Ibykos und Simonides war Achill in Elysion mit der Medea vermählt, Schol. Apollon. 4, 815. Andre machten Alkmene zur Gemahlin des Rhadamanthys. Das bekannte Skolion auf Harmodios und Aristogiton b. Athen. 15, 50 weiß auch von diesen daß sie nicht gestorben sind, sondern auf den Inseln der Seligen leben, ἵνα περ ποδώκης Ἀχιλεὺς, Τυρεΐδην τέ φασιν ἐσϑλὸν Διομήδεα.. Andere Ueberlieferungen beschäftigen sich mit der Lage dieser wunderbaren Inseln, welche in immer entlegnerer Ferne bald hier bald dort gesucht wurden, bis sie zuletzt mit den sinnverwandten Märchen und Sagen des keltischen und germanischen Nordens zu einem Bilde zusammengeflossen sind.

Eine andere alte Dichtung von der Unterwelt ist die von den sie umgebenden und von dieser Welt abgrenzenden Flüssen, wie eine solche Vorstellung sich auch bei andern Völkern findet und eine Folge der Ansicht von dem Todtenreiche an den westlichen Enden der Welt zu sein scheint. Bei den Griechen ist der älteste Fluß der Unterwelt die Styx, ursprünglich wohl auch der einzige. Die Ilias gedenkt der Styx in solcher Bedeutung in der Sage vom Herakles, wie dieser den Kerberos heraufgeführt 8, 365 ff.; der Held würde, so heißt es, der heftigen Strömung ohne Athena nicht entkommen sein. Und so wird auch bei dem Flusse, über welchen die Seele des Patroklos muß um zur Ruhe zu gelangen (Il. 23, 73), recht wohl an die Styx gedacht werden können, obgleich man gewöhnlich an den Okeanos denkt. Die anderen Flüsse werden zuerst Od. 10, 513 genannt: der Acheron d. i. der dumpfrauschende Strom des ewigen WehsWenigstens wird der Name gewöhnlich von ἄχεα abgeleitet, s. die b. Stob. Ecl. phys. 1, 52 angeführten Verse des Melanippides: καλεῖται γὰρ ἐν κόλποισι γαίας ἄχεα προχέων Ἀχέρων u. des Likymnios: μυρίαις παγαῖς δακρύων Ἀχέρων ἀχέων τε βρύει und: Ἀχέρων ἄχεα βροτοῖσι πορϑμεύει. Pindar b. Plut. de superst. 6 βαρυβόαν πορϑμὸν πεφευγότες Ἀχέροντος u. b. dems. d. aud. poet. 2 ἔνϑεν τὸν ἄπειρον ἐρεύγονται σκότον βληχροὶ δνοφερᾶς νυκτὸς ποταμοί., der Pyriphlegethon d. i. der Feuerstrom und der Kokytos d. i. der HeulstromTheogn. 244 πολυκωκύτους εἰς Ἀίδαο δόμους. Bei Lukian de luctu 3 sind der Kokytos und Pyriphlegethon zwei große und furchtbare Ströme, der Acherusische See ein großes Bassin, an welches die Verstorbenen zuerst gelangen., dieser 638 ein Zweig der Styx, während beide, der Kokytos und der Pyriphlegethon, Nebenströme des Acheron genannt werden. Und in der That erscheint dieser letztere, der Fluß Acheron oder der Acherusische See, in den späteren Dichtungen immer als der eigentliche Haupt- und Grenzstrom der Unterwelt, dessen Name deshalb auch geradezu anstatt der Unterwelt und ihrer Schrecknisse, ja für den Tod schlechthin und alles Verpestete gesetzt wirdEurip. b. Bekk. An. 343 ϑεοὶ χϑόνιοι, ζοφερὰν ἀδίαυλον ἔχοντες ἕδραν φϑειρομένων Ἀχεροντίαν λίμνην. Soph. Antig. 810. Vgl. Röm. Myth. 461.. Uebrigens liegen auch bei diesen Schilderungen ohne Zweifel solche düstere Natureindrücke zu Grunde, wie sie die von den Alten bewohnten Länder in finsteren Gebirgsschluchten und vulkanischen Gegenden so reichlich darboten. Diese verbrannten Felsen, diese siedenden Gewässer in unterirdischen Klüften, diese verpesteten Ausdünstungen mußten von selbst dazu anleiten. So nannte man bei Cumae einen See das Grab der Vögel (ἄορνος, Avernus), weil seine Ausdünstungen in alter Zeit die darüber hinfliegenden Vögel tödteten, und eine Schlucht in seiner Nähe nannte man den Eingang in die Unterwelt. In Kleinasien pflegte man dagegen solche Höhlen und Schluchten mit heißen Ausdünstungen und Gewässern Charonien und Plutonien zu nennen, wie besonders Phrygien und Karien an derartigen Naturerscheinungen reich warenStrabo 12, 579; 13, 629 u. bes. 14, 649 von einem Dorfe Ἀχάρακα zwischen Tralles und Nysa in Karien, ἐν ᾗ τὸ Πλουτώνιον ἔχον καὶ ἄλσος πολυτελὲς καὶ νεὼν Πλούτωνός τε καὶ Κόρης καὶ τὸ Χαρώνιον ἄντρον ὑπερκείμενον τοῦ ἄλσους ϑαυμαστὸν τῇ φύσει, mit einer Heilanstalt.. Gewöhnlich vereinigten diese Gegenden mit solchen Bildern des Todes und der Zerstörung eine auserlesene Fruchtbarkeit, wodurch sie sich nur um so besser zu einer Stätte des chthonischen Götterdienstes eigneten.

Mit der Vorstellung von diesen Scheideströmen zwischen Oberwelt und Unterwelt ist aufs engste verbunden die von dem übersetzenden Fährmann, welchen die älteren Dichter noch nicht kennenDiod. 1, 92 leitet diese und andre Vorstellungen der griechischen Unterwelt aus Aegypten ab. Der Name Χάρων ist entweder euphemistisch zu verstehen, ἀπὸ τοῦ χαίρειν, oder er sollte wie beim Löwen, der auch so genannt wurde, eine eigenthümliche Furchtbarkeit des Blicks ausdrücken.. Denn bei Homer gehen die Seelen gewöhnlich von selbst in den Hades, nur in dem letzten (jüngeren) Gesange der Odyssee werden sie vom Hermes Psychopompos geführt. Den 639 Charon aber fand Pausanias 10, 28, 1 zuerst in der Minyas erwähnt, einem epischen Gedichte jüngeren Zeitalters, welches manches Neue von der Unterwelt berichtete. Dann fand sich sein Bild auf dem Gemälde des Polygnot zu Delphi, wo der Acheron mit Schilfrohr und Fischen, beide schattenartig, und auf diesem Wasser der alte Charon mit seinem Nachen zu sehen war. Weiter kennen ihn Aeschylos, Euripides und Aristophanes, bis er zu einer gewöhnlichen Figur der attischen Bühne geworden war, wo er die Todten übersetzend, rufend, zusammentreibend oft erschien, in der sehr bestimmt characterisirten Gestalt und Bedeutung, wie wir ihn aus Virgil A. 6, 298 ff. und aus den häufigen Schilderungen Lukians so wie aus vielen Bildwerken kennenv. Stackelberg Gräber t. 47. 48. Auch auf Sarkophagreliefs nichts Seltenes.. Die Griechen dachten ihn sich als einen finstern und grämlichen Alten. Die Etrusker, bei denen sein Bild noch gewöhnlicher war und eine allgemeinere Bedeutung hatte als bei den Griechen, stellten ihn sich dagegen als eine Art von Würger und Henkersknecht der unterirdischen Mächte vor, von schrecklichem halbthierischem Aeußern und mit einem großen Hammer bewaffnet, indem er bald wie Ares und seine blutigen Gesellen in der Schlacht thätig ist, bald die Verstorbenen in die Unterwelt geleitet, bald als Wache an der Grabespforte steht. Zuletzt ist er wie der Acheron zum Repräsentanten der Unterwelt und des Todes überhaupt gewordenApul. M. 6, 19 nec Charon ille Ditis Pater, tantus deus, quicquam gratuito facit. und lebt in dieser Bedeutung noch jetzt in den neugriechischen Liedern fort als Charontas oder Charos, der mürrische Greis, welcher bald wie ein schwarzer Vogel auf sein Opfer niederschießt, bald als fliegender Reiter die Schaaren der Verstorbenen durch die Lüfte zum Todtenreiche führt.

Sehr alt und natürlich ist auch der Glaube daß es bestimmter Opfer an die Unterirdischen und einer solennen Bestattung bedarf, ehe der Verstorbene über die Grenze der Unterwelt gelassen wird: eine Aufsicht welche in älterer Zeit den schon dort befindlichen Geistern der Verstorbenen zufiel (Il. 23, 72, Od. 11, 51 ff.). Später kam sie natürlich dem Charon zu, welcher überdies für sich den bekannten Obolos als Fährmann zu fordern hatte, den man den Todten in den Mund steckte und in den Gräbern nicht selten dort findet. Aber auch weiterhin bedurfte es der Todtenopfer und frommer Gaben der Liebe um den 640 Verstorbenen ihr trauriges Loos zu mildern, sei es daß man dadurch auf die herrschenden Mächte des Todes zu wirken dachte oder daß man die Verstorbenen selbst damit erquicken wollte. Dieser Glaube wurde mit der Zeit der gewöhnlichere, indem die Verstorbenen immer mehr den Heroen gleichgesetzt und wie diese an ihren Gräbern mit Spenden oder blutigen Opfern verehrt wurden, bei denen man sich gegen Sonnenuntergang zu richten und das flüssige Opfer in Gruben, also in die tiefe Erde zu gießen pflegte.

Das eigne Leben der Verstorbenen dachte man sich in älterer Zeit wie das von wesenlosen Schein- und Traumbildern (ἀμενηνὰ κάρηνα, εἴδωλα καμόντων, σκιαί), ohne Geist und Besinnung, welche in der Odyssee nur ausnahmsweise Tiresias von der Persephone wiederbekommen hat (10, 493), die anderen Geister erst durch den Genuß des thierischen Blutes bekommen. Ihr Dasein ist nach dieser Auffassung nichts weiter als eine instinctive Wiederholung und Fortsetzung dessen was der Einzelne im Leben gewesen ist, wie z. B. der gewaltige Orion in der Unterwelt jagt wie er im Leben gethan, Minos in demselben Sinne sein Richteramt fortsetzt, Herakles und Achill im dichten Gedränge der Schaaren als Helden einherschreiten u. s. w. Indessen sind diese Idole zwar ohne körperliche Realität, aber nicht ohne körperlichen Schein, denn sie sind auch in dieser Hinsicht die Spiegelbilder des wirklichen Lebens, so daß sie selbst Farbe und körperliche Illusion hatten, also von den Dichtern wie Lebende beschrieben, von den Künstlern wie solche gemalt werden konnten: ein Anlaß für die schöpferische Genialität von beiden, selbst die finstere Unterwelt mit einer reichen Gallerie von epischen Gestalten und glänzenden Bildern des Lebens und der nationalen Erinnerung auszustatten. Das war der besondere Reiz der Nekyien, wie die Odyssee und nach ihrem Beispiele andere Epopoeen sie in ihre Erzählungen einflochten. Dahingegen unter den Malern Polygnot und Nikias nach Anleitung solcher Beschreibungen große Bilder aus der Unterwelt aufstellen konnten, bei welchen freilich auch schon manche Vorstellungen mit zur Sprache kamen, wie sie vorzüglich die Mysterien und ein lebendigeres Interesse für die Unterschiede des sittlichen Lebens allmälig verbreitet hatten.

Namentlich gehören dahin die Strafen und Belohnungen der Unterwelt, von denen in früherer Zeit nicht die Rede ist und wohl auch nicht die Rede sein konnte, so lange man das Dasein der Verstorbenen nur für ein Schattendasein und ihr Leben nur für eine bewußtlose Fortsetzung ihres früheren 641 Lebens hielt. Und wirklich scheinen selbst die bekannten Sünder und Sträflinge der Unterwelt, Tantalos, Sisyphos u. s. w. ursprünglich nicht anders gemeint gewesen zu sein, nehmlich als Bilder der göttlichen Strafe die eigentlich in das Leben gehörten, also in die Unterwelt nur durch eine poetische Fiction und um die ewige Fortdauer ihrer Bußen zu vergegenwärtigen versetzt worden waren. Alle diese Bilder scheinen in der That aus örtlichen Dichtungen, mehrere darunter aus örtlichen Naturallegorieen hervorgegangen zu sein, welche ursprünglich mit dem Tode und der Unterwelt nichts zu thun hatten, eben so wenig wie die Dichtungen vom Prometheus und Atlas, die eben so gut wie Sisyphos und Tantalos in die Unterwelt hätten versetzt werden können. Diese Mythen können also erst später im ethischen und didaktischen Sinne so überarbeitet worden sein, wie wir sie zuerst aus der Nekyia der Odyssee kennen lernenOd. 11, 576 ff., vgl. Nitzsch z. Odyssee Bd. 3 S. 319 ff., als warnende Vorbilder gewisser Lüste und Sünden und der ihnen entsprechenden Bußen und Strafen, welche immer so gewählt sind daß dadurch zugleich die innere Selbstvernichtung und Qual des sündhaften Triebes der Lust, des Uebermuthes, des rastlosen Sinnes u. s. w. bildlich ausgedrückt wird. So zuerst Tityos, ein altes Bild des Apollinischen Dienstes als Beispiel der bösen Lust und ihrer eignen Gemüthspein. In seiner ganzen Länge ausgestreckt fressen ihm zwei Lämmergeier immer von neuem die Leber ab, den Sitz seiner schnöden Brunst, die sich selbst an der hehren Mutter der beiden Gottheiten des Lichtes zu vergreifen wagteVgl. oben, S. 188, Virg. A. 6, 595 ff. Horat. Od. 3, 4, 77 incontinentis nec Tityi iecur reliquit ales, nequitiae additus custos. Die Leber ist nach den Alten das Organ der sinnlichen Begierde.. Ferner Tantalos, dessen Schicksal wohl eigentlich der mythische Ausdruck einer schrecklichen Naturkatastrophe ist, welche ein blühendes Reich im vordern Kleinasien plötzlich vernichtete; wenigstens wurde die Sage dort noch später in diesem Sinne erzählt. Daraus also wurde im Lehrgedichte ein Bild des gestraften Uebermuthes und aus diesem wieder das bekannte Bild der Unterwelt, wo seine Strafe auf verschiedene Weise beschrieben und dargestellt wurde. Nehmlich Einige dichteten nach dem Vorgange der örtlichen Sage am Sipylos von einem über seinem Haupte schwebenden Felsblock, der jeden Augenblick Vernichtung drohte, wie dieses auch Aeschylos und Sophokles in ihren tragischen Dichtungen vom 642 Tantalos und der Niobe ausgeführt hatten und Archilochos, Alkman, Alkaeos, Pindar u. A. dasselbe vom Tantalos in der Unterwelt erzählten, welcher in dieser Auffassung also zu einem Bilde der ewigen Angst geworden war, wie jener Tyrann dem das gezückte Schwert über dem Haupte hängt. Dahingegen ihn die Odyssee und einige spätere Dichter zu jener ewigen Strafe des Schmachtens nach einem immer dargebotenen und immer wieder entzogenen Genusse verurtheilen, welche zuletzt sprichwörtlich geworden istEs scheint daß diese Verschiedenheit der Strafe mit der Verschiedenheit des Verbrechens zusammenhängt, durch welches man die Strafe des Tantalos zu motiviren pflegte. Bald macht er einen Misbrauch von der ihm anvertrauten Götterspeise, bald von den ihm anvertrauten Geheimnissen der Götter, beides aus Uebermuth. Vgl. Pind. Ol. 1, 55 u. Schol. z. v. 97, Paus. 10, 31, 4, Athen. 7, 14 u. A.. Ferner Sisyphos mit dem immer von neuem emporgedrängten und immer wieder herunterrollenden Felsblock, in der ältesten korinthischen Localdichtung wohl nur eine Allegorie der rastlos wühlenden und wälzenden, Alles listig durchdringenden Meeresfluth, in diesem Zusammenhange ein Bild der sich rastlos, aber vergeblich abarbeitenden Schlauheit und Geistesunruhe des endlichen Menschensinnes. Nur diese drei Sünder sind in der Odyssee genannt, doch ist auch die Sage vom Ixion und seiner Strafe eine sehr alte, wenn sie auch erst später in die Unterwelt übertragen sein sollte. Die örtliche Ueberlieferung nannte ihn einen König der thessalischen Lapithen, den die früh von lyrischen und tragischen Dichtern überarbeitete Sage als einen hinterlistigen Mörder und unverbesserlichen Sünder von rastlos argem und gierigem Sinne schildert, welcher deshalb zuletzt, vom Zeus verdammt wird mit Händen und Füßen an ein Rad gespannt und mit diesem in furchtbar schneller Bewegung unaufhörlich umgedreht zu werdenSoph. Philokt. 679, Eurip. Herc. fur. 1297, Phoen. 1185 χεῖρες δὲ καὶ κῶλ' ὡς κύκλωμ' Ἰξίονος ἐλίσσετο.. Doch scheint es wohl daß auch hier ein altes Naturbild zu Grunde liegt. Noch später wurden hinzugefügt die Danaiden, deren frühere Bedeutung in der argivischen Landschaftssage auch eine ganz andere gewesen war, während ihr Wasserschöpfen in ein Faß mit durchlöchertem Boden in der Unterwelt zu einem treffenden Bilde für das eitle und ziellose Streben der Gottlosen überhaupt geworden war. Weiter kamen durch andere Dichtungen didaktischen oder mystischen Inhaltes noch andere exemplarische Sünder der Vorzeit in die Unterwelt, oder sie wurden 643 erst zu solchen Sündern gestempelt, um in den Schilderungen der Unterwelt als abschreckende Beispiele zu dienen, wie Thamyris und Amphion unter den Heroen der Musenkunst, welche nun einen Gegensatz zum frommen Orpheus bildeten, Theseus und Peirithoos unter denen der Heldensage, von denen jener zuletzt durch Herakles wieder befreit wurde, Peirithoos dagegen für ewig verhaftet blieb, endlich Otos und Ephialtes sammt andern Recken und Giganten der VorzeitHygin f. 28, Virg. A. 6, 580, Prop. 3, 5, 39 tormenta gigantum. Bei Horat. Od. 2, 13, 37 ist auch Prometheus in der Unterwelt., welche früher auch auf andre Weise bestraft worden waren.

Indessen darf man die Vorstellungen von den rächenden Mächten der Unterwelt und von den Strafen und Belohnungen in derselben doch auch nicht für zu jung halten, da namentlich die Erinyen immer speciell zur Umgebung des Pluton und der Persephone gehören und die von ihnen bei Lebzeiten des Sünders über denselben verhängte Strafe gelegentlich ausdrücklich eine in der Unterwelt fortdauernde genannt wirdSo von den Eidbrüchigen Il. 3, 278 καὶ οἳ ὑπένερϑε καμόντας ἀνϑρώπους τίνυσϑον ὅτις κ' ἐπίορκον ὀμόσσῃ. Vgl. 19, 260 καὶ Ἐρινύες αἵ ϑ' ὑπὸ γαῖαν ἀνϑρώπους τίνυνται ὅτις κ' ἐπίορκον ὀμόσσῃ.. Auch galten Pluton und Persephone nicht blos für die herrschenden, sondern auch für die richtenden und strafenden Mächte der Unterwelt, wie namentlich Aeschylos Eum. 273 vom Pluton sagt daß er der große Richter über die Sterblichen unter der Erde sei, der mit seinem Schuldbuche Alles überwache, vgl. Suppl. 230 und Pindar Ol. 2, 57 τὰ δ' ἐν τᾷδε Διὸς ἀρχᾷ ἀλιτρὰ κατὰ γᾶς δικάζει τις ἐχϑρᾷ λόγον φράσαις ἀναγκᾷ. Doch scheinen allerdings die Mysterien, indem sie ihren Frommen und Eingeweihten ganz besondere Belohnungen in der Unterwelt vorbehielten, dafür auch die Strafen und Peinigungen der Sünder mit um so lebhafteren Farben geschildert zu haben. So entstand die Dichtung von dem Gerichte der Unterwelt, durch welches jedem Verstorbenen sein besonderes Schicksal in jenem Leben erst angewiesen wurde, ob sie Selige oder Verdammte sein sollten. Dieses Gericht selbst, als Umgebung des Pluton gedacht, wurde aus den frömmsten und gerechtesten Fürsten und Richtern der Sage zusammengesetzt. Namentlich nannte man Minos, welcher in der Odyssee 11, 568 ff. noch in geisterartiger Fortsetzung seines Lebensberufes auch in der Unterwelt das Richteramt übt, ferner seinen Bruder Rhadamanthys, den gerechten Richter der karischen Inselsage, welcher ehedem zu den Bildern vom Elysion 644 gehörte, weiter Aeakos, den Stammvater der Aeakiden, den die Sage gleichfalls als einen der weisesten und gerechtesten Könige zu schildern pflegte, welcher aber zu einer hervorragenden Figur der Unterwelt wohl erst durch die attische Dichtung geworden ist, die sich der Aeakiden als eines attischen Geschlechts auch sonst gerne rühmte. Eben so der attisch-eleusinische Triptolemos, welchen Plato unter den Todtenrichtern nenntPlato Apol. p. 41 (übersetzt von Cic. Tusc. 1, 41, 98), Gorg. p. 524. Ueber Aeakos vgl. Isokr. Euag. 15 ἐπειδὴ δὲ μετήλλαξε τὸν βίον, λέγεται παρὰ Πλούτωνι καὶ Κόρῃ μεγίστας τιμὰς ἔχων παρεδρεύειν ἐκείνοις. Bei Plato richten Minos und Rhadamanthys die Todten aus Asien, Aeakos die aus Europa. In zweifelhaften Fällen entscheidet Minos. und unteritalische Vasenbilder der Unterwelt, welche überhaupt an Beziehungen auf die attische Sage reich sind, gleichfalls in dieser Gruppe sehen lassen. Und mit diesem Glauben an ein Gericht in jener Welt hat sich endlich auch der Glaube an einen Unterschied der Gerechten und Ungerechten immer weiter ins Einzelne ausgebildet. Ein Scheideweg führt jene an den Ort der Seligen d. h. nach Elysion oder den Inseln der SeligenPlato Gorg. l. c. Das Todtengericht hält seine Sitzungen ἐν τῷ λειμῶνι, ἐν τῇ τριόδῳ ἐξ ἧς φέρετον τὰ ὁδώ, ἡ μὲν εἰς μακάρων νήσους ἡ δ' εἰς τάρταρον. Im Axiochos heißt dieser Ort das πεδίον ἀληϑείας., welche jetzt nicht mehr von der Unterwelt geschieden sind, dahingegen die Verdammten in den Tartaros gestoßen werden, der nach dieser späteren Anschauung nichts weiter ist als unsre Hölle, die unterste Tiefe und der finsterste Abgrund der Unterwelt, wo die Verdammten sind und entsetzliche Pein leiden, namentlich jene exemplarischen Sünder und Sträflinge der Unterwelt, Tantalos, Tityos, Sisyphos u. s. w.

Ueberhaupt blieben diese Vorstellungen immer großen Veränderungen unterworfen, da nicht allein die Dichter im Geiste der Mysterien, ein Musaeos und Orpheus, auf sie einwirkten, sondern auch die Bühne z. B. Aristophanes in den Fröschen und die Philosophen und profanen DichterZu vergleichen sind bes. Plato Axioch. p. 371 (Aeschines de morte 19–21), Virg. A. 6, 264 ff., Lukian de luctu 5–9, Apulei. Met. 6, 18. Ueber Musaeos u. Orpheus Lob. Agl. 806–818., endlich auch die Maler und Bildhauer welche die Unterwelt bei verschiedenen Gelegenheiten vergegenwärtigten bald die ganze bald einzelne Gruppen daraus, namentlich ihre StrafenDemosth. g. Aristokr. 1, 52, Plaut. Captiv. 5, 4, 1 vidi ego multa saepe picta quae Acherunti fierent cruciamenta.. Daher sich dieses Gebiet einer düsteren Phantasie noch immer weiter ausdehnte und mit 645 entsprechenden Gestalten ausfüllte und belebte, von denen hier noch einige zur Sprache kommen mögen, wie sie hier oder dort hervortreten; denn an eine Uebereinstimmung im Ganzen ist bei den Griechen so wenig hier als sonst bei Problemen der Einbildungskraft zu denken. So ist Aeakos in diesen späteren Darstellungen noch mehr zu einer Hauptperson geworden, indem er bald als Pförtner der Unterwelt und neben dem Kerberos erscheint, entweder beim ersten Eingange oder beim Hause des PlutonC. I. n. 6298 in einer Grabschrift: οὐκ ἔστ' ἐν Ἅιδου πλοῖον, οὐ πορϑμεὺς Χάρων, οὐκ Αἰακὸς κλειδοῦχος, οὐχὶ Κέρβερος. Vgl. Arist. Ran. 464, Apollod. 3, 12, 6, Lukian l. c. Vielleicht war Aeakos schon im Peirithoos des Euripides der Pförtner, s. fr. 594., bald als Richter über die Gottlosen und Vollzieher der unterirdischen Strafen, wie bei Virgil RhadamanthLukian d. m. 22, 3, Menipp. 17, Iuven. 1, 10, Martial 10, 5, 14.. Ferner wurde der zuerst von Simonides und Plato erwähnte Quell der Lethe mit der Zeit gleichfalls zu einer nothwendigen Thatsache der Unterwelt, indem bald die Verstorbenen bald die zur Wiedergeburt Bestimmten Vergessenheit daraus trinkenSimonides Anthol. P. 7, 25. Unbek. Dichter b. Plut. consol. 15 ἅπαντες Ἀίδαν ἦλϑον καὶ Λάϑας δόμους. Vgl. Plato d. rep. 10 p. 621, Virg. A. 6. 703 ff., Lukian l. c.. Weiter wurden am Eingange alle Schrecknisse einer aufgeregten Phantasie und alter Märchen gehäuftArist. Ran. 143 μετὰ ταῦτ' ὄφεις καὶ ϑηρί' ὄψει μυρία δεινότατα. Vgl. Virg. A. 6, 273–289., in den beiden Abtheilungen der Seligen und der Verdammten aber alle Genüsse und Plagen immer ausführlicher beschrieben und geschildert. Jene leben wie ehedem die Bevorzugten Elysiums auf immer blühenden Auen, in einem ewigen Frühlinge, im ununterbrochenen Sonnenlichte; nur daß ihre Freuden jetzt schon mehr die der feineren Bildung sind, indem neben den ritterlichen und gymnastischen Uebungen auch der poetischen, musikalischen und philosophischen gedacht wird, im Kreise der Denker und Dichter der Vorzeit, unter welche Sokrates vor seinen Richtern sich zu kommen freutPlato Apol. p. 41, Axioch. l. c., oder auch die einer derberen Genußsucht, indem selbst jene Dichter der Mysterien ihren Gläubigen ununterbrochene Tafelfreuden und einen ewigen Rausch, wie sie sich ausdrückten verhießenPlato de rep. 2 p. 363 C, Phaed. p. 69 C. Ein συμπόσιον τῶν ὁσίων sieht man unter den Grabgemälden eines Sabaziospriesters in den röm. Katakomben, Garrucci myst. de Syncr. Phryg. p. 17 u. 30. Auf Freuden der Venus deuten die wahrscheinlich Orphischen Verse b. Hippol. ref. haer. 5, 8 p. 164 αὐτὰρ ὑπ' αὐτήν ἐστιν ἀτάρπιτος ὀκριόεσσα, κοίλη, πηλώδης (der Weg zur Unterwelt, s. Arist. Ran. 123, Apul. Met. l. c), ἡ δ' ἡγήσασϑαι ἀρίστη ἄλσος ἐς ἱμερόεν πολυτιμήτου Ἀφροδίτης. Es ist die muselmännische Ansicht vom Paradiese, auch die der Heraklessage., auch wie es scheint die Genüsse der 646 Liebe, für die Ungläubigen aber eben so ekelhafte Strafen in Aussicht stellten. Auch glaubte man daß die Eingeweihten bei allen Freuden der Seligen gewisser Vorrechte und bei den Göttern der Unterwelt eines besondern Ansehns genießen, übrigens aber ihre heiligenden Uebungen auch dort fortsetzen würdenPlato Axioch. l. c. ἐνταῦϑα τοῖς μεμυημένοις ἐστί τις προεδρία, καὶ τὰς ὁσίους ἁγιστείας κακεῖσε συντελοῦσι., daher Aristophanes die Eingeweihten auch in der Unterwelt den Iacchos singen und feiern läßt. Eben so eifrig war die Einbildung der Dichter und Maler aber auch in der Schilderung der Strafen und Bußen, welche die Verdammten im Tartaros zu leiden haben würden, von vielen Arten von Plage- und Rachegeistern mit Schlangen und Fackeln in alle Ewigkeit gepeinigtLukian, Axioch. ll. cc, Virg. A. 6, 548 ff.. Endlich hat die Dichtung vom Raube der Persephone in die traurige Monotonie des unterirdischen Hofes wenigstens insofern einige Abwechslung gebracht, als sich nun doch auch hier einige märchenhafte Züge ansetzen konnten, freilich immer im Sinne einer so düsteren Scenerie. So erzählte man von der Eule (ἀσκάλαφος, bubo), diesem allgemein verabscheuten Vogel der Nacht und des Unheils, er sei ehedem ein Mensch gewesen, ein Geschöpf der Unterwelt, Sohn des Acheron und der Orphne d. h. der Dunklen. Da habe er es sich einfallen lassen durch sein Zeugniß, daß Persephone von der Granate im Garten Plutons gegessen habe, die Göttin an die Unterwelt zu verrathen, wofür er durch jene Verwandlung bestraft worden seiOvid M. 5, 539 ff, Prob. Virg. Ge. 1, 36. Vgl. das lesbische Märchen von der Nyktimene Ovid M. 2, 590. Apollodor verwechselt 1, 5, 3 den Askalaphos u. Askalabos, und 2, 5, 12 die Eule Askalaphos und den Homerischen Helden gl. N., den Sohn des Mars, s. Dem. u. Pers. 142 ff. Auch auf Bildern der Unterwelt sieht man die Eule als dort einheimisch.. Und von der Minthe, dem stark riechenden und keine Frucht tragenden Kraut, es sei ursprünglich eine Nymphe der Unterwelt gewesen, mit welcher Pluton Buhlschaft gepflogen habe. Als aber Persephone zur Königin der Unterwelt geworden, habe sie oder die Mutter die Minthe in eifersüchtiger Wuth mishandelt und mit Füßen getreten, worauf jenes Kraut aus der Erde 647 hervorgewachsen sei, zuerst bei einem Berge gleiches Namens in Triphylien, wo Pluton und die Unterirdischen verehrt wurdenStr. 8, 344, Poll. 6, 68, Oppian Hal. 3, 485 ff. u. A. b. Lob. Agl. 833..

Unter den Bildern von der Unterwelt kennen wir das des Polygnot zwar nur aus einer Beschreibung des PausaniasVgl. O. Jahn in den Kieler philol. Studien, Kiel 1841 S. 81–154 u. Welcker in den Abh. der Berl. Akad. v. J. 1847, B. 1849 S. 81–151., doch läßt sich der Gedanke des ganzen Kunstwerks und die Composition nach dieser Beschreibung wohl herstellen. Es führte den Besuch des Odysseus in der Unterwelt aus, bei welchen Gruppen und Bildern dem Künstler außer den Schilderungen der Odyssee auch spätere Dichtungen und die Ueberlieferungen der Demetermysterien von Eleusis und in seiner eignen Heimath vorgeschwebt hatten. In dem Gemälde selbst stellte sich die Unterwelt noch ganz nach der älteren Weise als ein reicher und lebensvoller Verein von allen berühmten Gestalten der Vorwelt dar, wie davon die Sage aller Orten erzählte und die Dichter sangen: eine große Schaar, von Heroen und Heroinen, die in vielen Gruppen und Handlungen neben einander vertheilt und beschäftigt waren. Achill in der Umgebung seiner Freunde bildete den Mittelpunkt und alle die troischen Helden, welche ihnen erlegen waren, Hektor, Memnon und Sarpedon, auch die aus der Odysseussage bekannten Helden sammt den kühnen Freunden Theseus und Peirithoos und viele andere Gestalten der attischen und der phokischen Landessage schlossen sich ihnen an. Und neben diesen männlichen Gestalten der Heldensage sah man eine eben so reiche und anmuthige Auswahl der edlen und berühmten Frauen der Vorwelt, sowohl die der alten durch Homer und Hesiod gefeierten Stammgeschichten als die der attisch-ionischen Sage, welche dem Künstler nach seinem eignen Herkommen und seiner Lebensgewohnheit am nächsten vertraut war. Daneben gab es aber auch eine große Anzahl von Sündern und Büßern, allen Besuchern des vielbesuchten Ortes zur Warnung. So sah man gleich in den nächsten Umgebungen des Acheron den Tantalos und zwar zugleich durch den überhangenden Fels und durch die immer gereizte und immer getäuschte Sinnlichkeit bestraftwie bei Virgil Aen. 6, 602., auch den Sisyphos und Tityos, diesen durch seine Strafe bis zu dem Schatten eines Schattens aufgerieben. Ferner sah man hier die Strafen derjenigen welche die ersten Gebote des eleusinischen Triptolemos übertreten hatten: Du sollst 648 Vater und Mutter und Du sollst die Götter ehren: einen ruchlosen Sohn, der von seinem eignen Vater erwürgt wurde und einen Tempelräuber, den eine Hexe (φαρμακίς) Schierling zu trinken zwang. Endlich gewährte die Gruppe des Oknos mit seinem Esel, der das mühsam geflochtene Seil am andern Ende wieder auffraß, nach Anleitung eines ionischen Volksmärchens ein neues Bild alles eitlen und sinnlosen StrebensDasselbe Bild war in einem anderen Zusammenhange von dem Komiker Kratin auf die Bühne gebracht worden. Auch auf verschiedenen Bildwerken hat es sich erhalten, s. O. Jahn Arch. Beitr. S. 125, über Darstellungen der Unterwelt auf röm. Sarkophagen, Leipz. Ber. 1856 t. 2. 3 S. 267 ff., die Wandgemälde des Columbariums in der Villa Pamfili, Abh. d. k. bayr. Ak. d. W. 1857 S. 17., der Dämon Eurynomos dagegen ein schauerliches Bild der Verwesung. Ferner fehlte es in der Mitte des Bildes auch nicht an den Helden und Gegensätzen des Gesanges und der Musenkunst. Namentlich sah man den frommen Orpheus, wie er im Haine der Persephone um seine Eurydike flehte, aber neben ihm war Thamyris ein Bild der Verzweifelung und der Strafe für den Misbrauch seiner göttlichen Kunst; dahingegen eine Gruppe des Olympos und Marsyas in der Nähe dieser Lautner an die Erfindungen und gottesdienstlichen Wirkungen des Flötenspiels erinnerte. Endlich vergegenwärtigten nicht eingeweihte Männer und Frauen, welche in zerbrochenen Gefäßen Wasser trugen und in ein leckes Faß schütteten, wie sonst die Danaiden, das ziellose und trostlose Streben derjenigen welche leichtsinniger Weise die schönste Beruhigung des Lebens aus den Mysterien zu schöpfen verschmähten.

In ganz anderem Sinne sind dagegen die noch vorhandenen unteritalischen (apulischen) Vasengemälde concipirt, welche die Unterwelt darstellenSie sind nach einander zum Vorschein gekommen und mit Erläuterungen herausgegeben v. Millin tombeaux de Canosa, P. 1816, Monum. dell' Inst. 2 t. 49, Braun in den Annal. T. 9 p. 219 ff., R. Rochette Mon. In. pl. 45 p. 179, Gerhard in den Mysterienbildern, Stuttg. und Tübing. 1839, Arch. Ztg. 1843. 44 tf. 11–15, vgl. Welcker u. Gerhard in dems. Jahrg. n. 11–14, Welcker A. D. 3, 105 ff. Andre Vasen sind mit einzelnen Bildern aus diesem Kreise bemalt, der Strafe des Sisyphos, der Danaiden u. s. f., s. Roulez choix de V. p. 64 u. Bullet. Arch. Nap. 1854 t. 3 n. 57.. Diese zeigen nehmlich gewöhnlich in der Mitte und als Hauptsache die palastartige Wohnung des Pluton und der Persephone, die man somit vorzüglich durch sie in ihrer königlichen Herrscherwürde und Herrscherwohnung kennen lernt, prächtig gekleidet und mit königlichen AttributenPluton mit dem Scepter, Persephone mit Diadem und Fackel, Pluton von finsterm Ansehn, wodurch sein Bild von dem des Zeus unterschieden zu werden pflegte, Persephone ganz als Iuno infera. Andre Bilder b. Wieseler D. A. K. 2, 851 ff. u. b. Braun K. M. t. 21. 22. Antimachos nannte den Aïdes ζειροφόρος, was auf eine Bekleidung nach Art der Thraker, also des Orpheus zu deuten scheint, Hes. Bekk. An. 261, 19., 649 umgeben von einer Auswahl characteristischer Gestalten der Unterwelt, den Todtenrichtern, den Erinyen, einigen Seligen, einigen Verdammten u. s. w. Und zwar beleben sie diese Darstellungen dadurch daß sie damit die beiden wichtigsten und bedeutungsvollsten Thatsachen des griechischen Glaubens an die Unterwelt, wie er sich mit der Zeit ausgebildet hatte, in Verbindung setzen, die Geschichte des Herakles und die des Orpheus in der Unterwelt. Beide Heroen hatten die schreckliche Macht des Todes überwunden, der eine durch die Kraft seines Muthes und seines Arms, indem er den Kerberos hinwegführte, der andere durch die seiner Liebe und seines frommen Gesanges, wodurch er das harte Herz der Persephone erweichte, ja selbst die erbarmungslosen Erinyen zu Thränen rührteEurip. Alk. 357, Horat. Od. 3, 11, 15, Virg. Ge. 4, 467 ff., Stat. Theb. 8, 57.. Sie hatten dadurch den tröstlichen Glauben verbreitet daß selbst der Tod und die Hölle nicht unüberwindlich sei, und die Mysterien pflegten diese Vorstellungen an ihrem Beispiel weiter auszuführen, so daß namentlich Orpheus zuletzt zu dem geweihten Mystagogen der Unterwelt schlechthin geworden ist. Jene Vasengemälde also stellen diese Vorgänge so dar, daß die Mitte des Bildes jenes schon durch die älteste Dichtung verherrlichte Haus des Pluton und der Persephone einnimmt. Neben diesen beiden und in ihrer Umgebung sieht man bisweilen Hermes und die Erinyen, jenen als Fürbitter und Führer der kühnen Helden, diese als Strafgeister mit Geißeln und Schlangenhaaren. Orpheus steht an der Schwelle des Palastes, zur Laute singend und zwar nach der späteren Gewohnheit in thrakisch-phrygischer Tracht, nicht in hellenischer, wie ihn noch Polygnot gemalt hatte. Schon ist Persephone im Begriff seine rührende Bitte zu gewähren und die Erinyen lauschen erweicht und entzückt dem göttlichen Gesänge. Unten sieht man den Herakles, wie er unter dem Schutze hülfreicher Götter den Kerberos wegführt. Die bekannten Höllenstrafen, die Todtenrichter, einzelne Gruppen von Heroen und Heroinen und von Eingeweihten bilden die übrige Staffage dieser wegen ihres Reichthums an Figuren und der lebendigen 650 Vergegenwärtigung der griechischen Unterwelt besonders merkwürdigen Gemälde.


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