Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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4. Die Menschheit.

a. Ursprung und Vorzeit.

Ueber den Ursprung der Menschen gab es sehr verschiedene Ansichten, je nach den verschiedenen kosmogonischen Systemen und der natürlichen Beschaffenheit der Landschaften, wie man im Waldgebirge mehr auf den Ursprung der ersten Bewohner aus Wäldern und BergenAsios b. Paus. 8, 1, 2 ἀντίϑεον δὲ Πελασγὸν ἐν ὑψικόμοισιν ὄρεσσιν γαῖα μέλαιν' ἀνέδωκεν ἵνα ϑνητῶν γένος εἴη., im Thale mehr auf den aus einem Flusse oder einem See geführt wurde. Im Allgemeinen sprechen es Hesiod und Pindar aus daß Menschen und Götter von einem und demselben Stamme sind, nehmlich von dem der 63 Mutter ErdeHesiod W. T. 108 ὡς ὁμόϑεν γεγάασι ϑεοὶ ϑνητοὶ τ' ἄνϑρωποι. Pindar N. 6, 1 ἓν ἀνδρῶν ἓν ϑεῶν γένος, ἐκ μιᾶς δὲ πνέομεν ματρὸς ἀμφότεροι., und allerdings war dieses die gewöhnliche Ansicht, wie dieselbe später zu dem besonders in Athen ausgebildeten politischen Dogma der Autochthonie geführt hat, bei welchem sich indessen sehr verschiedene örtliche Ansprüche behauptetenS. das merkwürdige Fragment eines ungenannten Dichters, wahrscheinlich Pindars, bei Schneidewin Philol. 1, 421–442, wo viele Autochthonen aufgezählt werden. Vgl. Censorin. d. d. n. 4, Harpokr. v. αὐτόχϑονες u. meinen Aufsatz im Philologus Bd. 7., in vielen Gegenden auch die Ansicht von dem Ursprünge aus dem Flüssigen. Ein eigenthümlicher Ausdruck des Autochthonenglaubens ist die Entstehung der ersten Menschen oder der Menschen überhaupt aus Felsen und Bäumen d. h. aus der rohen, von aller Cultur noch unberührten Naturkraft der Erde in Wäldern und Bergen: ein Glaube von welchem sich die Spuren in manchen alterthümlichen Sagen und Ueberlieferungen sowohl in Griechenland als in Kleinasien und Italien und in den nördlicheren Gegenden nachweisen lassenOd. 19, 163 οὐ γὰρ ἀπὸ δρυός ἐσσι παλαιφάτου οὐδ' ἀπὸ πέτρης, vgl. Schoemann op. 2, 136 sqq. 413 u. m. Aufs. im Philol. 7, 20 ff. Ohne Zweifel ist bei diesen Bildern sowohl auf die Härte des Stoffs als auf das Zufällige, Spontane der Entstehung zu achten, in welcher Beziehung die Heroen oder Menschen von guter Herkunft oft den γηγενεῖς oder terrae filiis entgegengesetzt werden, Philol. l. c. 46. Doch beweist die weite Verbreitung dieser Fabeln daß die ältere Grundlage des Gedankens die kosmogonische ist. So wurden nach kleinasiatischem Glauben die phrygischen Korybanten baumartig (δενδροφυεῖς) von der großen Mutter der Gebirge emporgetrieben und Attis und Adonis sollen gleichfalls aus Bäumen entstanden sein. Derselbe Glaube findet sich aber auch in den Vedas, im alten Italien (Röm. Myth. 341), und im alten Deutschland wie in der Edda, Grimm D. M. 527. 537.. Fragt man endlich nach der Zeit wann die Griechen die Menschen entstanden glaubten, so ist die Antwort schwer, da die theogonische Dichtung, ganz mit den Göttern beschäftigt, von den Menschen schweigt. Die Fabel vom Kronos und vom Prometheus lehrt indessen daß man sich ihre Geschlechter wohl so alt als die der Götter dachte und in Arkadien galt die pelasgische Bevölkerung sogar für noch älter als der Mond, den die Sagen verschiedener Völker den Alten schlechthin nennenPindar l. c. εἴτε προσελαναῖον Ἀρκαδία δῖον Πελασγόν. Daher die Ἀρκάδες προσέληνοι, vgl. Apollon. Rh. 4, 264 Schol., Heyne opusc. 2, 334 sqq. Nach Hesych galten auch die arkadischen Nymphen für προσεληνίδες. Ueber βεκκεσέληνος d. i. ἀρχαῖος Arist. Nub. 398 und das Alter des Mondes s. Pott Ibb. für Philol. 1859 Suppl. 305..

64 Auch über die Vorzeit gab es sehr verschiedene Sagen, je nachdem man mehr von ethischen oder culturgeschichtlichen oder eigentlich geschichtlichen Voraussetzungen ausging. Ethische Bilder der ältesten Menschheit sind namentlich jene bedeutungsvollen Gestalten des Uebermuthes, der Lust, der unverbesserlichen Schlauheit, denen wir in der Unterwelt wieder begegnen werden. Sind dieselben auch großentheils vielleicht nur übertragene Naturbilder, so bleiben sie doch in religiöser Hinsicht höchst bedeutsam, indem sie sich alle in dem Grundgedanken vereinigen daß zuerst ein sehr vertrautes Verhältniß zwischen den Göttern und Menschen bestanden habeHesiod b. Orig. c. Cels. 4 p. 216 ξυναὶ γὰρ τότε δαῖτες ἔσαν, ξυνοὶ δὲ ϑόωκοι ἀϑανάτοισι ϑεοῖσι καταϑνητοῖς τ' ἀνϑρώποις., daß aber dadurch die Menschen nur zu Sünde und Uebermuth verführt wurden, so daß die Götter sie verstoßen mußtenPindar Ol. 1, 54 εἰ δὲ δή τιν' ἄνδρα ϑνατὸν Ὀλύμπου σκοποὶ ἐτίμασαν, ἦν Τάνταλος οὗτος· αλλὰ γὰρ καταπέψαι μέγαν ὄλβον οὐκ ἐδυνάσϑη, κόρῳ δ' ἕλεν ἄταν ὑπέροπλον: das Grundthema von sehr vielen gleichartigen Sagen.. Und diesem Bilde schließt sich auch die Sage von Lykaon und seinem Geschlechte in Arkadien an, so wie in anderer Hinsicht die von den thebanischen Sparten, dem aus Drachenzähnen emporgesproßten Geschlechte, welches sich wie die Giganten in wahnsinniger Streitbarkeit selbst aufreibt. Culturgeschichtliche Bilder sind die sehr beliebten von einer primitiven Rohheit der Menschen, welche zuerst wie die Thiere in Höhlen und Wäldern gelebt hättenUnter den Göttern sind es vorzüglich Demeter u. Dionysos welche die Cultur bringen, unter den Titanen und Heroen Prometheus u. Palamedes, s. Aesch. Prom. 447 ff. u. das Fragment b. Nauck trag. gr. p. 713 n. 393. Sehr weit ausgeführt sind die Schilderungen der rohen Urzeit bei Kritias und Moschion, ib. p. 598 und 633. Gewöhnlich liegt die Vorstellung von den rohen und blödsinnigen γηγενεῖς zu Grunde, welche namentlich seit Aristoteles von den Culturhistorikern immer weiter ins Einzelne ausgeführt wurde, s. Philol. 6, 44 ff., Dem. u. Perseph. 350. 395., dann allmälig durch Götter und Heroen von den Gefahren ihres Daseins befreit und durch Mittheilung der Culturfrüchte und andere milde Stiftungen zu menschlicher Sitte emporgehoben seien; wobei also auch wieder die Voraussetzung zu Grunde liegt daß der Mensch nur unter göttlichem Beistande zu dem geworden ist wodurch er sich von den Thieren unterscheidet. Endlich eine geschichtliche Erzählung von der Vorzeit, wenigstens hielt man sie für geschichtlich, geben solche alte Landschafts- und 65 Stammsagen, wo die späteren Geschlechter und Stämme sich von einem ersten Menschen und Erzieher seines Volkes ableiteten, dergleichen es wieder in sehr verschiedenen Gegenden gab. Die allgemeinste Anerkennung erlangte mit der Zeit die Unterscheidung eines ersten und eines zweiten Geschlechtes, von denen das erste, das pelasgische, von dem argivischen Phoroneus abgeleitet zu werden pflegte, das zweite, das hellenische, von Deukalion. Die Sage von Phoroneus und seinem GeschlechteS. Bd. 2 die Sagen von Argos. ist peloponnesischen Ursprungs, daher man sich die pelasgischen Stämme gewöhnlich von jener Halbinsel aus über das nördliche Griechenland verbreitet dachte; dahingegen die Deukalionssage vorzüglich in Thessalien und am Parnaß zu Hause war. Eine große Fluth, die Sinfluth der griechischen Sage, vernichtet alle früheren Geschlechter bis auf das eine Paar, Deukalion und Pyrrha, von welchen jener wie der biblische Noah eine Personification sowohl der Fluth als der aus ihr von neuem erstehenden Landescultur zu sein scheint, sowohl in der historischen Bedeutung der großen Fluth, nach welcher neue Staaten entstanden, als in der jährlichen Ueberfluthung des Winters und der Wiedergeburt des Landes durch den FrühlingSo besonders in Athen wo Deukalion für den Stifter des T. des Olympischen Zeus galt, in dessen Nähe man sein Grab zeigte und im Anthesterion, beim Beginn des Frühlings, Hydrophorien zum Andenken der Deukalionischen Fluth feierte, welche immer eine ἐπομβρία, eine durch Regen entstandene Fluth ist, s. Paus. 1, 18, 7. 8, Hermann Gottesd. Alterth. § 58, 22. Doch galt Deukalion immer zugleich für den Retter aus der Fluth und den Gründer der ersten Altäre des Zeus oder der zwölf Götter, wie für den Gründer der ältesten Städte nach der Fluth, auch im Opuntischen Lokris und am Parnaß. Der Name Δευκαλίων scheint sogar wie die biblische Erzählung vom Noah auf Cultur des Weins hinzuweisen, wie Πύρρα auf die des Waizens, vgl. δεῦκος d. i. τὸ γλυκὺ der Most und Δευκαλίδαι οἱ Σάτυροι Hes., diese eine Personification der fruchtbaren und durch ihren Waizenbau berühmten Fluren am Fuße der Othrys, auf welchem Gebirge die ältere Sage auch den Kasten des Deukalion landen ließHellanikos b. Schol. Pind. Ol. 9, 64, vgl. Str. 9, 425. Nach dieser Sage lassen sich Deukalion und Pyrrha zuerst in Kynos, der Hafenstadt von Opus nieder, zwischen welchen Städten sich ein fruchtbares Gefilde ausdehnte (Ὀποῦς d. i. Ὀπόεις); daher die Sage von den Lelegern d. h. den Lokrern als erstem Volk des Deukalion, τοὺς ῥά ποτε Κρονίδης Ζεὺς λεκτοὺς ἐκ γαίης ἁλέας πόρε Δευκαλίωνι, nach Hesiod b. Str. 7, 322. Obwohl er sonst für einen König von Thessalien, speciell der Gegend von Phthia gilt, auf welche auch der Name Πύρρα hinweist, s. Schol. Apoll. 3, 1085. 1086, Apollod. 1, 7, 2 und Meineke Vindic. Strab. p. 154. Die Tochter des Deukalion und der Pyrrha heißt Πρωτογένεια, die Erstgeborne.. Dagegen ist nachmals, 66 vermuthlich unter dem Einflusse von Delphi, der Gipfel des Parnaß zum Orte der Landung und die alte Stadt Lykoreia auf diesem Berge, deren Bevölkerung sich später nach Delphi zog, zur ersten Gründung Deukalions gewordenStrabo 9, 418, vgl. Ulrichs Reisen 122. Auch hier stiftet Deukalion ein H. des Zeus. Bei Pind. Ol. 9, 41 steigen Deukalion und Pyrrha vom Parnaß hinab nach Opus.; daher namentlich Apollodor 1, 7, 2 und Ovid M. 1, 260–415 die Sage in diesem Zusammenhange erzählen. Zeus und das Orakel befiehlt ihnen die Gebeine der Mutter d. h. das Gestein des Gebirgs hinter sich zu werfen, aus welchem sodann eine neue Saat von Menschen emporschießt, aus den von Deukalion geworfenen Steinen die Männer, aus den von Pyrrha geworfenen die Frauen, ein Geschlecht der Steine d. h. ein hartes und dauerhaftes Geschlecht, wie schon Pindar mit den Worten spieltePind. l. c. ἅτερ δ' εὐνᾶς ὁμόδαμον κτησάσϑαν λίϑινον γόνον, λαοὶ δ' ὀνόμασϑεν, hier noch die Lokrer von Opus. Auch Epicharm, von dem es ein Stück gab Πύρρα ἢ Προμαϑεύς, kannte dieses Wortspiel, λαοὶ von λᾶς, s. Schol. Pind. 68. 70. Vgl. Ovid M. 1, 414 inde genus lurum sumus experiensque laborum et documenta damus qua simus origine nati.. Deukalion selbst ist Vater des Hellen, dessen Söhne und Enkel die einzelnen Stämme der Hellenen begründen, Aeoler Dorer Achaeer und Ionen. Eine scheinbare Geschichte wie gesagt, denn bei genauerer Untersuchung ergiebt sich auch von diesen Traditionen daß sie auf ganz mythischen Thatsachen und auf genealogischen Combinationen beruhen, welche letztere zwar ziemlich alt sindGewöhnlich sind die Hesiodischen Eoeen die Quelle, s. Hesiod ed. Goettl. p. 258 sqq. ed. 2., aber nichts desto weniger für willkürlich gelten müssen und für die Geschichte nicht zu brauchen sind. Genug auf diese Weise entstand das seitdem ziemlich allgemein angewendete Sagensystem wo zuerst das sogenannte Geschlecht des Phoroneus d. h. eine Geschichte der Pelasger, dann das sogenannte Geschlecht des Deukalion d. h. eine Geschichte der Hellenen, endlich eine sogenannte Atthis d. h. eine mythische Geschichte von Attika abgehandelt wurdeSo besonders seit Pherekydes, Hellanikos und den ziemlich gleichzeitigen ältesten Atthidenschreibern. Die ältesten Anfänge dieser Tradition werden bis in die litterärisch sehr bewegte Zeit des Solon und Pisistratos zurückgehen, wo auch das Dogma von der attischen Autochthonie cultivirt wurde, s. Plato Tim. 20 E. 22, Kritias 110. Die Abstammung der Hellenen der Phthiotis von Hellen, dem Sohne Deukalions, bezeugen Herod. 1, 56, Thukyd. 1, 3.. 67


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