Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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1. Gaea.

Gaea ist die Erde in ihrer allgemeinsten Bedeutung und Auffassung, gewissermaßen die Indifferenz dessen was in den Culten der übrigen Erdgottheiten unter verschiedenen Bedingungen weiter ausgeführt ist. Sie ist weiblich, weil die Erde fast in allen Sprachen und Mythologieen weiblich und im Gegensatz zu dem schöpferischen Himmel eine gebärende und fruchttragende Mutter ist; daher in diesem Kreise die männlichen Götter überhaupt den weiblichen untergeordnet sind. Sie ist in der 500 Hesiodischen Theogonie die gute Mutter aller Götter und aller Lebendigen, auch galt sie nach Aeschylos für identisch mit der Themis, der Mutter der Horen und dem Principe aller natürlichen und sittlichen OrdnungS. oben S. 373. Gaea und die Horen Pind. P. 9, 60.. Doch sind unter ihren Kindern auch die Titanen und die Giganten und andre Unholde; ja Gaea lehnt sich selbst mit ihren Kindern wider die himmlischen Mächte auf und wird nicht müde das Ungeheure zu gebärenAuch Tityos ist γαιήιος υἱός Od. 7, 324, nach Aesch. Suppl. 305 auch Argos Panoptes. Schol. Apollon. 1, 761 οἱ ποιηταὶ τοὺς τερατώδεις κατὰ τὸ σῶμα γῆς εἶναι φασιν, οὕτω γὰρ καὶ Καλλίμαχος τὰ δεινὰ τῶν ϑηρίων γῆς εἶναι ἔφη.: ein Vorspiel des vielen Wilden und Ungeheuren, auf welches wir in den folgenden Gottesdiensten überhaupt, insbesondre in dem der Rhea Kybele, des Dionysos, des Gottes der Unterwelt treffen werden. So wurde Gaea zwar immer vorzugsweise als Allmutter verehrt (πάντων μήτηρ, παμμήτειρα), welche alle ihre Geschöpfe nährt und speist und ihre Freunde mit reichem Segen auf dem Felde, in den Ställen und im häuslichen Kreise der Familie überschüttet, wie dieses in einem der kleineren Hymnen Homers (30) lebendig ausgeführt wirdVgl. Hesiod O. D. 563 und den Dodonaeischen Hymnus b. Paus. 10, 2, 5 γᾶ καρποὺς ἀνίει, διὸ κλῄζετε ματέρα γαῖαν. Daher πανδώρα Arist. Av. 971, ἀνησιδώρα s. oben S. 75, [Anmerkung 149].. Aber sie ist auch eine Göttin des Todes und der Unterwelt, welche in ihrem Schooße das ewige Dunkel des Grabes birgt und alle Geschöpfe, wie sie ihnen das Leben gegeben, unerbittlich wieder zurückfordert, daher sie neben den übrigen Göttern der Unterwelt als chthonische Göttin verehrt zu werden pflegteAesch. Pers. 220 δεύτερον δὲ χρὴ χοὰς γῇ τε καὶ φϑιτοῖς χέασϑαι. 628 ἀλλὰ χϑόνιοι δαίμονες ἁγνοί, Γῆ τε καὶ Ἑρμῆ βασιλεῦ τ' ἐνέρων. Eurip. Alk. 47 ἀπάξομαί γε νερτέραν ὑπὸ χϑόνα. Das Wort χϑών bedeutet immer vorzugsweise den fruchtbaren Erdgrund und die Erdtiefe, daher die ϑεοὶ χϑόνιοι oder οἱ κατὰ χϑονὸς ϑεοί, s. Demet. u. Pers. 1876°ff.. Im attischen Cultus wurde sie vorzugsweise als Kurotrophos d. h. als eine Göttin des Kindersegens angebetet, neben der Demeter Chloe d. h. der die Saat wachsen lassenden, und zwar mit besonderer Hinweisung auf Erichthonios, den attischen Urmenschen, welcher selbst für einen Sohn der Erde und für den Stifter dieses Gottesdienstes galtPaus. 1, 22, 3, Aristoph. Thesm. 300 Schol., Hes. Suid. v. κουροτρόφος, Et. M. v. κορεσϑῆναι. Vgl. Hom. H. 30, 5 ἐκ σέο δ' εὔπαιδές τε καὶ εὔκαρποι τελέϑουσιν u. s. w. Solon fr. 42 λιπαρὴ κουροτρόφος.. Wie die Erde denn 501 überhaupt, namentlich in der über Attika und Arkadien verbreiteten Autochthonensage, für die Mutter auch des menschlichen Geschlechts gehalten wurde, welche in den Zeiten des allgemeinen Ursprungs auch die Menschen aus ihrem Schooße geboren und als das erste Weib schlechthin auch die erste Schwangerschaft und Geburt bestanden habe (Plato Menex. 238). Doch kannte auch der attische Cultus sie als Todesgöttin, und er feierte sie als solche mit Festen und Gebräuchen, in denen die Ideen des Erdesegens und die des Grabes auf eigenthümliche Weise gemischt warenHesych v. γενέσια ἑορτὴ πένϑιμος Ἀϑηναίοις, οἱ δὲ τὰ νεκύσια καὶ ἐν ᾗ ἡμέρᾳ τῇ Γῇ ϑύουσι und Ὥραια νεκύσια, Ὥραια ϑύειν, τελετή τις ἐν ᾗ τῶν ὡραίων ἁπάντων (aller reifen Früchte der Erde) ἐγένοντο ἀπαρχαί. Erichthonios scheint auch für den Stifter dieses Festes gegolten zu haben, s. oben S. 418, [Anmerkung 1288. 1289.]. In andern Fällen wurde sie als Urprophetin (πρωτόμαντις) verehrt, weil die Höhlen und die aufsteigenden Dämpfe der Erde oft die Ursache weissagender Ekstase waren. Namentlich war dieses der Fall zu Delphi und zu Olympia, auch in der Gegend von Helike und Aegae an der Küste von Achaja, wo die Priesterin den Geist der Weissagung einer Höhle verdankte in die sie hinabstiegPlin. 28, 147, vgl. Paus. 7, 25, 8, von Delphi Aesch. Eum. 2, P. 10, 5, 3, Plut. d. Pyth. or. 17, von Olympia Str. 8, 353, P. 5, 14, 8., die Erde selbst aber als breitbrüstige verehrt wurde, vermuthlich mit Beziehung auf jene furchtbaren Erschütterungen und Zerstörungen, von welchen diese Küste so hart betroffen wurdeΓῆ εὐρύστερνος s. oben S. 34, ἠυϑέμεϑλος Hom. H. 30, bei Erdbeben neben Poseidon angerufen Philostr. v. Apollon. 6 p. 129.. Oder Gaea ist auch wohl nach Art der Rhea die Göttermutter, namentlich die Mutter des Zeus, dem sie selbst durch ihre Weissagungen zum Olympos verholfen und neben welchem sie auf dem Olympos thront, daher auch sie den Namen der Olympischen führteSo namentlich in Athen, Thuk. 2, 15, Plut. Thes. 27, Paus. 1, 18, 7. Daher μήτηρ μεγίστη, δαιμόνων Ὀλυμπίων ἄριστα b. Solon fr. 36, μεγάλη ϑεός P. 1, 31, 2.. Obwohl sie in andern, ja den meisten Fällen der populären Vorstellung und der Poesie und Kunst die allgemeinere Bedeutung des Erdkörpers und des ruhenden Erdgrundes behalten hat, auf welchem sich Götter und Menschen und die übrigen Naturerscheinungen bewegen und welcher mit dem Himmel und seinen lichten Erscheinungen und den strömenden Gewässern auf und neben ihr zusammen genommen das Weltganze bildet, von dem sie selbst zugleich die dunkle 502 Schattenseite darstelltIl. 3, 104. 277 ff.; 15, 36; 19, 259, Od. 5, 184. Aehnlich in den gewöhnlichen bildlichen Darstellungen D. A. K. 2, 795–797 und dem Relief in Florenz, wo die Erde als καρποφόρος und κουροτρόφος zwischen zwei allegorischen Figuren sitzt, von denen die eine das Meer, die andre die Luft darzustellen scheint, O. Jahn b. Gerhard D. u. F. 1858 t. 119. 120 S. 241.. Nur der attische Cultus der Kurotrophos hatte zu bildlichen Darstellungen mit bestimmterer Characteristik Veranlassung gegeben. Gaea erscheint dann als gütige Mutter und Pflegerin der Menschenkinder, solche an der Seite oder auf dem ArmeVgl. die in Athen gefundne Gruppe einer weiblichen Figur mit einem Knaben b. Schöll Archaol. Mitth. t. 4. 7 S. 63 ff. und O. Jahn in den Leipz. Berichten 1851 t. 1 S. 129 ff. Auch die s. g. Leukothea in München ist vermuthlich eine Ge Kurotrophos s. Friedrichs b. Gerhard D. u. F. 1859 t. 121. 122, n. 121–123., in demselben Sinne wie Demeter die Mutter der lieblichen Kore oder die Pflegerin des eleusinischen Königssohnes oder des mystischen Iacchos ist.


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