Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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7. Das mythologische Studium neuerer Zeit.

Auch in dem neueren Zeitalter der Bildung hat sich die griechische Mythologie als integrirender Bestandtheil des classischen Alterthums und wegen ihres vielseitigen und anziehenden 20 Inhaltes so wie ihrer nahen Beziehung zur Kunst und Poesie immer einer fleißigen Pflege zu erfreuen gehabt. Italiener, Franzosen, Holländer, Engländer und Deutsche wetteiferten in der Sammlung und Erklärung dieser Mythen und Sagen, wobei sich alsbald sehr verschiedene Methoden geltend machten. So haben die Italiener die alten Fabeln entweder mit poetischem Behagen blos nacherzählt, oder sie setzten voraus daß in ihnen der Schatz einer halb verklungenen oder auch willkürlich verdunkelten Lehre der Vorwelt stecke, welcher durch allegorische Interpretation gehoben werden müsse (Io. Boccatius seit 1472, Lil. Greg. Gyraldus seit 1548, Natalis Comes seit 1568). Die niederländische Periode der Alterthumsforschung dagegen, wo sie sich nicht auf bloße Sammlungen des Stoffs beschränkte, pflegte der theologischen Ueberzeugung zu folgen daß das Heidenthum überhaupt und namentlich die Mythologie die mißverstandene und entstellte biblische Offenbarung sei (G. J. Vossius seit 1642, Ez. Spanheim), während die Franzosen lange Zeit die pragmatische Methode angewendet haben, entweder in der euhemeristischen Weise (Banier) oder nach dem Grundsatze daß die Götter bestimmte Götterdienste und Culte bedeuten die sich unter einander befehden und verdrängen, die Mythologie überhaupt also eine Geschichte der alten Religionen sei, welche auf solche Weise aber nicht nach ihren innern Motiven, sondern nur nach ihrem äußerlichen Verhalten erwogen werden (Freret). Endlich in Deutschland behauptete sich, sobald das Studium der Mythologie allgemeineren Anklang fand, auf lange Zeit das Dogma von einer monotheistischen Urreligion, welches gewöhnlich in dieser Form auftritt. Einerseits denkt man sich ein sogenanntes Urvolk mit einer reineren Gotteserkenntniß, welche aber früh entstellt worden und unter dem großen Haufen der Völker durch die polytheistische Mythologie nur wie in den gebrochenen Strahlen einer bildlichen Ausdrucksweise fortgepflanzt sei, unter den Priestern und Eingeweihten dagegen vermittelst der Mysterien und auf anderen Wegen einer esoterischen Tradition als monotheistische und deistische Ueberzeugung überliefert wurde. Andrerseits pflegte man anzunehmen daß der Orient, bald Aegypten bald Indien bald andere Völker oder Priesterschaften, die ältesten Inhaber dieser primitiven Gotteserkenntniß gewesen seien: woraus sich von selbst sehr verschiedene Methoden der theologischen und philologischen Forschung ergeben (Plessing, Kanne, Görres u. A.). Außerdem fehlte es auch nicht an solchen Mythologen, welche einen bestimmten wissenschaftlichen Inhalt, 21 besonders Astronomie (Dupuis, Court de Gebelin, Dornedden), aber auch Chemie (Jac. Toll, Schweigger) in den griechischen Mythen suchten und auf den kühnen Wegen der allegorischen Interpretation auch diesen Inhalt zu finden wußten.

Dann kam die Zeit der neueren Philologie und Alterthumsforschung, wo das classische Alterthum der selbständige Gegenstand eines eignen wissenschaftlichen Studiums wurde und nicht allein die Sprachen, sondern auch alle Lebenskreise und geistige Thätigkeiten der Alten einer neuen Prüfung und Forschung unterzogen wurden, deren Vortheile alsbald der Mythologie zu Gute kamen. Zuerst war es Heyne, der sich um sie verdient machte, in vielen einzelnen Arbeiten und Abhandlungen sammelnd und erklärend und in besonderen akademischen Vorträgen. Darauf Creuzer als Schüler Heyne's, aber auch als Anhänger jener Lehre von dem primitiven Monotheismus und der höheren Erkenntniß des Orients, welche durch symbolische Auslegung der Mythen wiedergewonnen werden müsse, mit Vorlesungen welche sich zu ihrer Zeit eines außerordentlichen Beifalls erfreuten, und mit dem berühmten Werke über Symbolik und Mythologie, dessen bleibendes Verdienst sowohl in der fleißigen Sammlung des Materials als in der geistreichen und lebendig bewegten Deutung besteht. Doch fehlte es auch nicht an Ueberschwenglichkeiten und Ungenauigkeiten, welche theils in dem Zeitgeiste theils in jenen falschen Voraussetzungen begründet waren und zunächst bei J. H. Voß einen scharfen Widerspruch fanden, dessen Verdienste um die kritische Behandlung der Mythologie weit größer sein würden, wenn nicht auch er sich mit der Zeit in manche unbegründete Voraussetzungen verwickelt hätte. Der Nachfolger von Voß auf dem Gebiete der Mythologie ist Chr. A. Lobeck, dessen Ausführung der von Voß begründeten Kritik an den wichtigsten Fragen zur Geschichte der Mysterien und der mystischen Theologie und PoesieAglaophamus s. de theologiae myst. Gr. causis, Regim. Pr. 1829. der Sache ausserordentlich genützt hat. Ferner sind G. Hermann, Ph. Buttmann, C. A. Böttiger durch viele Untersuchungen und Abhandlungen für die Mythologie thätig gewesen, G. Hermann besonders durch etymologische und litterärische Studien, Buttmann durch wesentliche Verbesserung der mythologischen Methode, indem er sowohl den Voraussetzungen des Pragmatismus als denen der allegorischen Interpretation entgegen trat, in welcher Hinsicht er von dem Philosophen Solger durch anregende Vorlesungen und 22 Abhandlungen unterstützt wurde, Böttiger indem er, obwohl dem Pragmatismus ergeben, zuerst das archäologische Studium mit dem der Mythologie in Verbindung setzte und auf diese Weise die sogenannte Kunstmythologie begründete. Eine neue Anregung und wesentliche Bereicherung erfolgte darauf durch K. O. Müller, welcher die Eigentümlichkeit des griechischen Geistes und der griechischen Nationalentwicklung besonders dem Orient gegenüber mit glücklichem Erfolge geltend machte und dabei überall auf den volkstümlichen Ursprung und Inhalt der griechischen Mythologie sowie auf das örtliche Gewebe der Götterculte zurückging, auch die gesammte Methode der mythologischen Forschung von neuem beleuchtete und begründeteProlegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie, Gotting. 1825. Vgl. den von mir verfaßten Artikel Mythologie in der Stuttg. Real-Encyclopädie 5. S. 336–371 u. den literarischen Anhang dieses Buchs.; wobei indessen das Princip der Autochthonie und die Bedeutung der localen Eigentümlichkeiten nicht selten übertrieben und die geschichtlichen Momente im Allgemeinen mehr als die idealen hervorgehoben wurden. Neben ihm wirkte besonders F. G. Welcker, ausgezeichnet sowohl durch feines Natur- und Sprachgefühl als durch tiefe Kenntniß der griechischen Poesie und Kunst, deren mythologische Beziehungen und Bedeutungen noch von keinem Gelehrten mit gleich vielseitiger Bildung und gleichem Zartgefühl für alles Bildliche nach allen Richtungen hin erwogen und geltend gemacht sind. Ferner haben sich G. W. Nitzsch und C. F. Nägelsbach durch ihre Homerischen Studien, C. Göttling durch seine meist mit Hesiod beschäftigten Untersuchungen, G. F. Schoemann durch seine Arbeiten über Aeschylos und Hesiod, Konr. Schwenck durch seine etymologischen und mythologischen Forschungen, E. v. Lasaulx durch eigentümliche Auffassung des religiösen und sittlichen Lebens der Alten, P. F. Stuhr und F. Lauer durch ihre Bemühungen um das systematische Studium der griechischen Mythologie, K. F. Hermann und Schoemann durch ihre Lehrbücher der gottesdienstlichen Altertümer, andere Gelehrte durch andere Forschungen und Abhandlungen, Lehrbücher, Handbücher und WörterbücherBesonders zu empfehlen ist das Handwörterbuch der griech. u. röm. Mythologie von Ed. Jacobi, Kob. u. Leipz. 1835. 2 Bde. Auch die mythologischen Artikel der Hall. Allg. Encyclopädie, darunter mehrere von K. O. Müller, sowie die der Stuttg. Real-Encyclopädie, zu denen der Verf. dieses Buchs beigetragen, enthalten vieles Förderliche., 23 ein jeder nach seiner Weise um dieses Studium verdient gemacht.

Endlich ist auch in neuester Zeit die griechische Mythologie auf verschiedenen Wegen in eigenthümlicher Weise gefördert worden. Einmal dadurch daß Griechenland selbst wieder ein wohlbekanntes und vielbereistes Land geworden ist, so daß nun auch die griechische Natur, die erste und ursprüngliche Quelle so vieler Mythen und bildlicher Erzählungen, in ihrer lebendigen Eigentümlichkeit zur Sprache kam, in welcher Hinsicht P. W. Forchhammer das Verdienst hat die Rechte der Naturanschauung zuerst geltend gemacht zu haben. Ferner ist das Studium der Kunst und aller bildlichen Denkmäler sowohl in Folge der zahlreichen Bekanntmachungen solcher Denkmäler als durch deren Erklärung für die mythologische Forschung im höchsten Grade wichtig geworden; wobei es nicht fehlen konnte daß die eigentümliche Welt von Bildern und bildlichen Darstellungen, welche sich mit diesen Werken aufschloß, zu manchen eigentümlichen Ansichten über die Religion und Mythologie der Griechen sowohl im Allgemeinen als in allen einzelnen Kreisen Anregung gab. Hatten schon Winckelmann, Zoëga, Visconti, Heyne, Böttiger, Creuzer und andere Gelehrte in dieser Hinsicht Bedeutendes geleistet, so haben diese Studien vollends in neuester Zeit, seitdem der Vorrath von bildlichen Denkmälern, besonders der griechischen Ursprungs, so außerordentlich angewachsen ist, eine sehr reiche Ausbeute geliefert. Die wichtigsten Arbeiten sind auf diesem Gebiete die von K. O. Müller, von Welcker, von Ed. Gerhard, O. v. Stackelberg, Th. Panofka, R. Rochette, Em. Braun und O. Jahn, von welchen Gelehrten Gerhard und Braun auch mit eigentümlichen Systemen der Mythologie hervorgetreten sind. Die wichtigsten Handbücher der mythologischen Bilderwelt sind aus älterer Zeit die von Hirt und von MillinA. Hirt Bilderbuch f. Mythologie, Archäologie u. Kunst, Berl. 1805 u. 1816. A. L. Millin Galerie mythologique, Par. 1811. 2 Bde., deutsch in Berl. u. Stuttg. 1820, N. Ausg. 1836., eine vortreffliche Anweisung zu den archäologischen und kunstmythologischen Studien überhaupt das Handbuch der Archäologie der Kunst von K. O. Müller mit den dazu gehörigen Denkmälern der alten KunstErste Ausgabe. Bresl. 1830. Zweite Ausg. 1835. Dritte Ausg. besorgt von Welcker 1848. Denkmäler der alten Kunst, Gött. 1835. neu bearbeitet und fortgesetzt von F. Wieseler, 2 Thle. Gött. 1854. 56. Eine Auswahl vorzüglicher Götterbilder giebt die Vorschule der Kunstmythologie von E. Braun, Gotha 1854. Zum Handgebrauche sind zu empfehlen: für die Statuen u. Reliefs F. de Clarac Musée de Sculpture, P. 1841–53, für die Vasenbilder Gerhards auserlesene griech. Vasenbilder, B. 1840–58, 4 Bde. und die Sammlung von Lenormant und de Witte élite des mon. céramographiques P. 1844 ff..

24 Endlich ist als auf ein wichtiges Hülfsmittel aller mythologischen Forschung noch hinzuweisen auf die außerordentlichen Fortschritte, welche in neuerer Zeit das Studium sowohl der vergleichenden Sprachforschung als das der comparativen Mythologie gemacht hat, in welcher Beziehung die etymologischen und mythologischen Forschungen von Pott, A. Kuhn, M. Müller, G. Curtius u. A. und zum Vergleiche der deutschen Mythologie das bekannte Meisterwerk von J. Grimm auch der griechischen Mythologie sehr zu empfehlen ist. Nur daß auf diesem Gebiete allerdings vieles noch sehr unsicher ist und selbst die neue Wissenschaft der Etymologie den Mythologen da, wo er ihrer Hülfe am meisten bedürfte, bei der Erklärung alter mythologischer Eigennamen, besonders der Götternamen, nicht selten im Stiche lassen mußG. Curtius Grundz. d. griech. Etymol. 1, 93 ff. Vgl. Leo Meyer Bemerkungen z. alt. Gesch. d. griech. Mythol. Gött. 1857, Max Müller Comparative Mythology, Oxford Essays 1856 p. 1–87 und die Aufsätze von Pott, A. Kuhn u. A. in der Zeitschr. f. vergl. Sprachforschung..


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