Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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[a. Die Flüsse.]

Die göttliche Verehrung der Flüsse war allgemein sowohl in Griechenland als in Italien und wo sonst die Natur den Glauben bestimmte. Sie hatten ihre Heiligthümer, ihre Priester, ihre Opfer so gut wie andere GötterWelcker Gr. Götterl. 1, 652 ff., Grimm D. M. 549 ff.. Genealogisch galten sie bald für Abkömmlinge des Okeanos bald für die des Zeus (διιτρεφεῖς, διιπετεῖς), sofern dieser die Ursache alles vom Himmel strömenden Wassers ist. Die Landes- und Stammsagen heben gewöhnlich die befruchtende und nährende Kraft ihres Elementes hervor, vermöge welcher sie neben Apoll als die Ernährer und Pfleger der Landesjugend verehrt wurden, die ihnen deshalb das Haupthaar zu weihen pflegte, wie Achill das seinige dem SpercheiosHesiod th. 346, vgl. Il. 23, 142, Aesch. Choeph. 6, Paus. 1, 37, 2; 8, 41, 3.. Aus demselben Grunde werden sie oft als die Urheber der Cultur eines Landes und als dessen älteste Könige und die Stammväter seiner edlen Geschlechter genannt, z. B. der Skamander in Troas, der Inachos in Argos, der Asopos in Phlius und Sikyon, der Kephissos in Boeotien, der Peneios in Thessalien u. s. w. Doch wurden sie auch wegen der heiligenden und reinigenden Kraft ihrer Gewässer verehrt, z. B. der Strymon in Amphipolis und der Himeras in SicilienEin ἱερὸν τοῦ Ἀπόλλωνος καὶ τοῦ Στρυμόνος in Amphipolis C. I. n. 2008. Ἀσκλαπιῷ καὶ Ἱμέρᾳ ποταμῷ ὁ δᾶμος – Σωτῆρσιν ib. n. 5747.. Auch wurde jede Strömung eines Flusses, wie sie aus der Quelle seines Ursprungs durch die Berge und Thäler freien Laufes dahineilte, für heilig gehaltenOd. 10, 351, vgl. Hesiod O. D. 737. Auch in Eidschwüren wurden sie genannt, z. B. dem der Stadt Dreros in Kreta: καὶ τὰν Γᾶν καὶ τὸν Οὐρανὸν καὶ ἥρωας καὶ ἡρωάσσας καὶ κράνας καὶ ποταμοὺς καὶ ϑεοὺς πάντας καὶ πάσας. Vgl. Il. 3, 278., so daß man sie weder ohne Gebet zu überschreiten noch ohne Opfer und Sühngebräuche mit Brücken oder andern Werken von Menschenhand zu beschweren wagte. Vergegenwärtigt wurden sie bald in der Gestalt von Thieren bald in der von Menschen bald in einer aus Thier- und Menschenbildung gemischten. So 427 führen sie auch oft sehr ausdrucksvolle Namen, indem sie mit Schlangen und Drachen, mit Löwen Stieren und wilden Schweinen, Rossen Ziegen oder mit weidenden Schäflein verglichen werden, je nach dem Eindruck welchen ihr Lauf Strom und Wellenschlag auf das Auge und auf die Einbildungskraft machte. Auch sind sie eben deswegen sehr zu Metamorphosen aufgelegt, immer wandelbar und von einer Gestalt in die andere überfließend, wie dieses die Natur aller Götter des feuchten Elements ist. Besonders war die SchlangenbildungHesiod b. Strabo 9, 424 vom Kephissos in Phokis εἰλιγμένος εἶσι δράκων ὥς. Vgl. Str. 10, 458 δράκοντι ἐοικότα τὸν Ἀχελῷον λέγεσϑαί φασι διὰ τὸ μῆκος καὶ τὴν σκολιότητα und den zu Laos in Lucanien verehrten δράκων d. i. vermuthlich der Fluß gl. N. b. Str. 6, 253. Auch sind die Namen Ἑλίσσων Ἑλικών u. a., welche einen gewundenen Lauf ausdrücken, sehr häufig, Meineke Vind. Strab. p. 111. Ein Fl. Σῦς am Olymp Paus. 9, 30, 5, Ταύριος bei Troezen ib. 2, 32, 7, Sophokl. fr. 20, Λεόντιος πόρος vom Alpheios, καϑότι ἐπὶ ταῖς πηγαῖς αὐτοῦ λεόντων εἴδωλα ἀφίδρυται Hesych. und die Stierbildung bei den Flüssen eine gewöhnliche, die letztere so daß sie entweder ganz als Stiere erschienen, wie dieses auch bei Poseidon und Dionysos der Fall warAelian V. H. 2, 33 βουσὶν εἰκάζουσιν οἱ Στυμφάλιοι μὲν τὸν Ἐρασῖνον καὶ τὸν Μετώπην, Λακεδαιμόνιοι δὲ τὸν Εὐρώταν, Σικυώνιοι δὲ καὶ Φλιάσιοι τὸν Ἀσωπόν, Ἀργεῖοι δὲ τὸν Κηφισόν. Vgl. den Fluß Βώκαρος auf Salamis und den Acheloos b. Sophokl. Trach. 11 φοιτῶν ἀναργὴς ταῦρος, ἄλλοτ' αἰόλος δράκων ἑλικτός, ἄλλοτ' ἀνδρείῳ κύτει βούπρωρος. Eur. Ion 1261 ὦ ταυρόμορφον ὄμμα Κηφισοῦ πατρός., oder als Stiere mit einem bärtigen und gehörnten Menschenangesicht, wie namentlich der Acheloos auf aetolischen und akarnanischen, aber auch viele andere Flüsse auf den Münzen der verschiedensten Gegenden von Cypern bis Spanien erscheinen, namentlich auf denen von Sicilien und Großgriechenland. Die Veranlassung zu diesem Bilde bot ohne Zweifel die Natur des Stieres, sein Gebrüll und sein wilder und wühlender Lauf mit den stürmischen Bewegungen, da die Flüsse in Griechenland und den übrigen Gegenden griechischer Bevölkerung meistens Bergströme sind, die namentlich in der Regenzeit ihr Bett leicht verlassen und große Verheerungen anrichtenIl. 5, 88 vom Diomedes: ϑῦνε γὰρ ἂμ πεδίον ποταμῷ πλήϑοντι ἐοικὼς χειμάῤῥῳ, ὅστ' ὦκα ῥέων ἐκέδασσε γεφύρας u. s. w. Il. 21, 237 μεμυκὼς ἠύτε ταῦρος. Fest. v. taurorum specie simulacra fluminum i. e. cum cornibus formantur, quod sunt atrocia ut tauri. Horat. Od. 4, 14, 25 sic tauriformis volvitur Aufidus etc. Virg. Ge. 4, 371 vom Po: gemina auratus taurino cornua vultu, wozu Probus: quod eius sonus ut tauri mugitus et ripae flexuosae ut cornua sunt.. Sonst pflegte man die auch im Cultus immer besonders 428 hervorgehobene Quelle durch ein bärtiges Menschenhaupt anzudeutenO. Jahn in den Berichten der G. d. W. zu Leipzig 1851 S. 143. Τεάρου ποταμοῦ κεφαλαὶ in der Uebersetzung der persischen Inschrift b. Herod. 4, 91, wie lat. caput, neugr. κεφαλάριον. Ueber κέρατα d. i. flexus Strabo 10, 458, Eustath. 309, 29; 917, 53. Vgl. Ὠκεανοῖο κέρας d. i. Arm, Verzweigung b. Hesiod th. 789, Apollon. 4, 282 und Μενδήσιον κέρας b. Thukyd. 1, 110., die Krümmungen und Verzweigungen des Flußbettes aber mit Hörnern zu vergleichen, daher auch bei vollendeter Menschenbildung das Haupt gewöhnlich ein gehörntes bleibt, indem man übrigens eine Bekränzung von Schilf und Wassergewächsen sammt anderen Attributen hinzufügte und sich die einzelnen Flußgötter nach der besondern Beschaffenheit ihres Laufes und Gewässers bald wie behagliche Greise lagernd bald wie rüstige Männer und Jünglinge vorstellte, ihre Wohnung meist in der Tiefe oder an der Quelle der ihnen untergebenen StrömungVirg. Ge. 4, 363 ff., Ovid M. 8, 561 ff. Beispiele der menschlichen Bildung bei Aelian a. a. O. Vgl. den Acis bei Ovid M. 13, 894 incinctus iuvenis flexis nova cornua cannis u. den Flußgott eines Pompej. Wandgemäldes b. Gerhard D. u. F. 1857 t. 101 S. 46.. Unter den einzelnen Flüssen sind in mythologischer Hinsicht einige griechische und ausländische auszuzeichnen, von den griechischen solche deren Namen ursprünglich eine allgemeinere Bedeutung hatte, so daß auch die sie betreffenden Sagen erst mit der Zeit eine locale Beschränkung angenommen zu haben scheinen. So der Acheloos, der König der Flüsse und der Fluß schlechthin, dessen Name sich in verschiedenen Gegenden wiederholt und welcher der Gegenstand eines Cultus sowohl in Athen, zu Dyme in Achaja, zu Rhodos und in Sicilien als in Dodona und Akarnanien war, wo auf diesen Gottesdienst natürlich am meisten Wichtigkeit gelegt wurdeSchol. Il. 24, 616, Macrob. S. 5, 18, vgl. oben S. 29. Der Kopf auf akarnanischen Münzen.. Ferner der Asopos, welcher Name wohl auch früher einen allgemeineren Sinn hatte, daher dieser Fluß in den Sagen und Genealogieen von Sikyon Aegina und Theben als Stammvater eines weit verbreiteten Geschlechtes genannt wurdeStr. 9, 408, vgl. Paus. 2, 5, 2, Apollod. 3, 12, 6, Diod. 4, 72, Pott. Ibb. f. class. Philol. S. B. 3 (1859) S. 311 ff.. Endlich der Alpheios d. i. der Nährende, der große Hauptstrom des Peloponnes, dessen Name mit dem Artemisdienste nach Sicilien übertragen wurde (S. 235). Sonst werden in der Sagengeschichte vorzüglich die großen Grenzströme der bekannten Welt hervorgehoben, bei denen man 429 eine unmittelbare Verbindung mit dem Okeanos vorauszusetzen und mit denen man die Grenzen des mythologischen Horizonts, später die der Erdtheile zu bezeichnen pflegte. Der Nil, bei Homer und in der älteren Sage Αἴγυπτος, der bisweilen für den äußersten Osten und Süden genannt wird und dessen Quellen und befruchtende Ueberschwemmungen, das Wunder des Alterthums, die Einbildungskraft der Alten viel beschäftigtenDer Name Νεῖλος zuerst b. Hesiod und Solon. Die Späteren nannten ihn auch Τρίτων, Lykophr. 119. 576 Tzetz., Plin. 5, 54, vgl. oben S. 28. Die Aegypter verehrten ihn unter dem Namen Hapimon oder Hapime. Er wird abgebildet als ein fetter Mann von blauer oder rother Farbe, Wasserpflanzen auf dem Haupte oder in den Händen.. Ferner der durch die Argonautensage berühmt gewordene Phasis, dessen Strömung man bei ungenauer Erdkunde mit der der großen Flüsse des innern Asiens vereinigt glaubte, der Istros im hohen Norden, von dem man sich einen Arm in das schwarze, einen andern in das adriatische Meer einmündend dachte, endlich der hyperboreische Eridanos, der große Strom des nördlichen Westens, dessen Mündung man bald beim Rhodanos bald beim Po suchte (S. 342). Eine andre berühmte Gruppe von Flüssen ist die des troischen Idagebirges, welche Hesiod th. 340 wegen ihres epischen Ruhmes nennt, auch die jener Ströme des vordem Kleinasiens, welche den Griechen seit ihren asiatischen Niederlassungen vertraut wurden und ihnen einen großen Reichthum von Sagen aus den mysischen, lydischen und karischen Landschaften zuführten: der mysische Kaikos mit der Telephossage, der lydische Hermos mit dem Gygaeischen See und alten Erinnerungen der lydischen Sage (Il. 2, 865; 20, 390), der Kaystros mit der Asischen Wiese und den schwärmenden Schwänen, endlich der karische Maeander, in welchen sich der Marsyas ergoß. Denn es ist eine Eigentümlichkeit der kleinasiatischen Religionen daß sie vorzüglich dem Naturleben in Bergen Wäldern Bäumen Flüssen und Quellen zugethan und deswegen an idyllischen und märchenhaften Dichtungen reich waren.


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