Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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3. Die Kureten, Korybanten und idaeischen Daktylen.

Alle diese dämonischen Wesen gehören zu dem Geisterstaate der Rhea oder Kybele, wie die Satyrn und Silene zu dem des Dionysos, die Telchinen zu dem des Poseidon u. s. w. Auch waren sie ursprünglich verschieden, sowohl durch örtliche Tradition als durch wesentliche Eigenthümlichkeiten. Bis eine spätere Zeit, vorzüglich die der alexandrinischen und römischen Bildung, diese und andre Gestalten, namentlich die Kabiren, als gleichartige behandelte und dadurch auch die Untersuchung sehr erschwert hat, nachdem die Unterschiede des örtlichen Gottesdienstes sich verschliffen hatten und die immer mehr um sich greifende Vorliebe für das Orgiastische und Mysteriöse alles Derartige ohne historischen Sinn und genauere Bestimmung verbrauchen lehrteVgl. den Excurs b. Strabo 10, 468–474 und Lobeck Aglaoph. 1111–1202..

Von den Kureten ist bereits oben S. 103 bemerkt worden 515 daß sie wesentlich zur Umgebung des kretischen Zeus gehören, dessen Schutzwache sie bildeten so lange seine Jugend die Nachstellungen des Kronos zu fürchten hatte und dem sie auch später als priesterliche Diener zugethan blieben. Vorzüglich ist es immer der Waffentanz (ἐνόπλιος ὄρχησις), der an ihnen hervorgehoben wird, doch galten sie nach kretischer Ueberlieferung auch für prophetische GeisterZenob. 4, 61, Diogen. 5, 60, Hes. v. Κουρήτων στόμα., ja in verschiedenen urkundlich erhaltenen Eidesformeln aus Kreta bilden die Kureten mit den Nymphen der Insel den dämonischen Hintergrund des einheimischen Götterglaubens überhauptC. I. n. 2554. 2555., wie sonst die Quellen und die Flüsse, die Heroen und die Heroinen. Und so erscheinen sie auch in der ältesten mythologischen Ueberlieferung d. h. in einem Bruchstücke Hesiods als nahe Verwandte der Nymphen des Gebirgs und der Satyrn und als lustige Tänzer, während ein andres altes Gedicht, die Phoronis, sie Phryger und Flötenbläser nannteStrabo 471. Ἡσίοδος μὲν γὰρ Ἑκατέρω καὶ τῆς Φορωνέως ϑυγατρὸς πέντε γενέσϑαι ϑυγατέρας φησίν, ἐξ ὧν οὔρειαι Νύμφαι ϑεαὶ [ἐξ]εγένοντο καὶ γένος οὐτιδανῶν Σατύρων καὶ ἀμηχανοεργῶν, Κουρῆτές τε ϑεοὶ φιλοπαίγμονες ὀρχηστῆρες. Für das verdorbne Ἑκατέρω schlägt Meineke vindic. Strab. 175 vor ἐκ Κατρέως. In der Voraussetzung daß Hermes zu verstehen dachte ich S. 450 Ausg. I an Ἀκακήτεω. Es wäre aber auch möglich daß ein Satyr oder der erste Satyr im Gegensatz zu dem Geschlecht der Satyrn als Vater gedacht wurde, wie Silen und das Geschlecht der Silene, der erste Kentaur und das Geschlecht der Kentauren unterschieden werden; in welchem Falle zu schreiben wäre ἐκ Σατύρου., die erste Spur der später allgemeinen Gewohnheit die Kureten und die Korybanten als gleichartige Wesen mit einander zu verwechseln. Andre nennen sie ausdrücklich idaeische Kureten und Erdgeborne und mit ehernen Schilden Bewaffnete (χαλκάσπιδες), welches immer das characteristische Merkmal bleibt, während über die Art ihrer Entstehung verschiedene Erzählungen im Umlauf warenIn dem lyr. Fragm. von den Autochthonen werden auch sie als solche genannt: εἴτε Κουρῆτες ἦσαν Ἰδαῖοι, ϑεῖον γένος. Nach Diod. l. c. galten sie bei Andern für Abkömmlinge der idaeischen Daktylen. Noch Andre lassen sie aus den Thränen des Zeus oder aus seinem Regen entstehn, s. S. 505.. Nach Diod. 5, 65 waren ihrer neun (als orchestischer Chor zu denken) und ihre Wohnung das Gebirge, wo sie in Wäldern und Schluchten seit Urbeginn gehaust haben sollen, ein kluges und friedliches Geschlecht welches zuerst Schafzucht und Bienenzucht getrieben, auch gute Jäger und 516 Schützen, aber vorzugsweise doch auch hier Erfinder des Waffenschmucks (also Metallurgen) und die ersten Pyrrhichisten. Von Kreta ist der Glaube an diese Dämonen mit dem kretischen Zeusdienste oder in Folge ihrer Verwechslung mit den Korybanten weiter verbreitet worden, z. B. nach Messenien und Arkadien, wo eine natürliche Verbindung mit Kreta bestand und wo man sich später die Formen und Legenden des kretischen Zeusdienstes geflissentlich aneignetePaus. 4, 33, 1; 8, 37, 8; 38, 2., und auf der andern Seite nach Kleinasien d. h. nach Knidos, Ephesos, Magnesia und Smyrna, wo die Kureten gleichfalls zunächst die Umgebung der Großen Mutter und des Zeuskindes bildeten, dann aber auch auf eigentümliche Weise in die örtliche Sage eingeschoben wurdenAristid. 1 p. 372. 425. 440, vgl. Diod. 5, 60, Strabo 14, 640.. Dahingegen sie in den phrygischen Legenden erst in Folge ihrer Gleichsetzung mit den Korybanten genannt wurden, namentlich von römischen Dichtern. Noch andre Combinationen verschafften ihnen die Ehre auch in der Sagengeschichte von Euboea und in der Orphischen Theogonie eine Rolle zu spielenLob. 541. 1131..

Die Korybanten verhielten sich zu den Kureten wie die phrygische Kybele zur kretischen Rhea, d. h. sie waren einander sehr nahe verwandt, aber doch auch wieder wesentlich verschieden. Namentlich gehören sie ursprünglich nicht nach Kreta und zu dem dortigen Zeusdienste, auch nicht nach Samothrake, wo sie gleichfalls früh genannt wurden, sondern nach Lydien und PhrygienLukian d. saltat. 8 πρῶτον δέ φασι Ῥέαν ἡσϑεῖσαν τῇ τέχνῃ ἐν Φρυγίᾳ μὲν τοὺς Κορύβαντες, ἐν Κρήτῃ δὲ τοὺς Κουρῆτας ὀρχεῖσϑαι κελεῦσαι., wo sie die rituale Umgebung der Kybele und des Attis bildeten, entweder ὁ Κορύβας d. i. das mythische Haupt der Korybanten und ihr Stifter, welcher hin und wieder auch dem Attis gleichgesetzt wurde, oder der ganze Chor der KorybantenDiod. 5, 49, Paus. 7, 17, 5 vgl. 6, 25, 5, Julian or. 5, 167 b. Lob. 1151.. Auch sind sie keine Pyrrhichisten wie die Kureten, sondern fanatische Tänzer nach Art der türkischen und persischen Derwische, mit wirbelnden Bewegungen des Hauptes und der Glieder, von denen Betäubung und ekstatische Aufregung die Folge war, welchen Zustand man κορυβαντιᾶν nannte. Auch scheint damit der Name der Korybanten zusammenzuhängen, welcher etymologisch eben diese wirbelnden und taumelnden 517 Bewegungen ihrer Tänze ausdrücktPott Z. f. vgl. Spr. 7, 4, 241 ff., die sie mit grellen Blasinstrumenten und dem Lärm der dumpftönenden Handpauke (τύμπανον) begleiteten, deren Erfindung deshalb den Korybanten zugeschrieben wurdeEurip. Bacch. 123 ἔνϑα τρικόρυϑες ἄντροις βυρσότονον κύκλωμα τόδε μοι Κορύβαντες εὗρον, wo τρικόρυϑες von der Kopfbedeckung einer hoben Mütze zu verstehen ist, Lob. z. Soph. Ai. 847, Agl. 1144 c. Vgl. Horat. Od. 1, 16, 7 non acuta sic geminant Corybantes aera, und über das Tympanum Schoene pers. in Eur. Bacch. 126. Auch die fliegenden Haare und die Selbstverwundung fehlten nicht bei dein Korybantentanze, Lukian D. D. 12.. Ohne Zweifel hatten diese Tänze eine gottesdienstliche Bedeutung wie die der Derwische, doch ist darüber nicht mehr aufs Klare zu kommen. Wohl aber wissen wir daß man ihnen eine heiligende und reinigende Kraft zuschrieb, wie die Weihe der Korybanten denn auch immer wesentlich zu der der Großen Mutter gehörte und namentlich gewisse Acte derselben mit ihren orgiastischen Tänzen und Aufregungen begleitetePlato Euthyd. 277 D, Dionys. H. de v. d. in Demosth. 22 und die Stellen b. Lob. 641. 1153. Es ist ein Orgiasmus wie der des Pan, der Hekate u. s. w., Eur. Hippol. 141 σὺ γὰρ ἔνϑεος ὦ κούρα, εἴτ' ἐκ Πανὸς εἴϑ' Ἑκάτας ἢ σεμνῶν Κορυβάντων ἢ Μητρὸς ὀρείας φοιτᾷς. Aristid. 2 p. 527 τῶν ἐκ Κορυβάντων ἢ τινος ἄλλου δαίμονος ϑερμοῦ κατεχομένων.. Auch ist von Weissagungen der Korybanten und von ihren Heilmitteln die Rede, da in solchen mystischen und ekstatischen Gottesdiensten immer ein Aberglaube den andern hervorzurufen pflegte. In der Mythologie folgen die Korybanten demselben Strome der Vermischung des Gleichartigen wie die übrigen Dämonen, d. h. sie werden mit den Kureten, den Kabiren u. s. w. identificirt und darüber auch in die diesen eigenthümlich zukommenden Gottesdienste und Sagen mit hineingezogen, in die von Kreta schon bei Euripides. Und so scheint auch die Verwechslung mit den Kabiren auf Samothrake, in Kleinasien und Makedonien eine alte zu sein, namentlich auf jener geheimnißvollen Insel wo sich die Orgien der chthonischen Götter auf eigenthümliche Weise mit denen der Rhea und der Hekate vermischt hatten. Endlich haben natürlich die Orphiker auch von diesen mysteriösen Wesen zu ihrem Zwecke einer systematisch betriebenen Religionsmengerei Gebrauch gemacht.

Auch die idaeischen Daktylen gehörten zur Umgebung der Großen Mutter, und zwar muß für ihre Heimath das asiatische Idagebirge gelten, obgleich sie mit der Zeit gleichfalls von 518 dort nach Kreta und in den dortigen Ida versetzt worden sindStr. 473, Diod. 5, 64; 17, 7.. Der Name Daktylen d. h. Finger wird verschieden erklärt, am wahrscheinlichsten von der Kunstfertigkeit dieser metallurgischen Geister des WaldgebirgsPoll. 2, 156 τοὺς Ἰδαίους Δακτύλους κεκλῆσϑαι λέγουσιν οἱ μὲν κατὰ τὸν ἀριϑμὸν ὅτι πέντε, οἱ δὲ κατὰ τὸ τῇ Ῥέᾳ πάνϑ' ὑπουργεῖν, ὅτι καὶ οἱ τῆς χειρὸς δάκτυλοι τεχνῖταί τε καὶ πάντων ἐργάται., denn das ist ihre wahre Natur, obwohl sie deshalb keineswegs für Zwerge im Sinne unserer deutschen Mythologie gehalten werden dürfenIn den Versen der Phoronis b. Schol. Apollon. 1, 1129 heißt der eine Daktyl μέγας, der andre ὑπέρβιος.. Man zählte fünf oder zehn oder noch mehr, immer nach Anleitung der Finger an einer oder an beiden Händen, auch rechte und linke, die man als männliche und weibliche Daktylen unterschiedStr. 473 Σοφοκλῆς δὲ οἴεται πέντε τοὺς πρώτους ἄρσενας γενέσϑαι, οἳ σίδηρόν τε ἐξεῦρον καὶ εἰργάσαντο πρῶτοι καὶ ἄλλα πολλὰ τῶν πρὸς τὸν βίον χρησίμων, πέντε δὲ καὶ τὰς ἀδελφὰς τούτων. Vgl. Soph. fr. 336.; oder man fabelte zur Erklärung des Namens weiter daß sie durch den Eindruck der Hände der sie gebärenden Mutter, entweder der Rhea oder einer Nymphe des Idagebirges, als sie während der Wehen krampfhaft in die Erde griff, oder daß sie aus dem Staube entstanden wären, den die Ammen des idaeischen Zeus hinter sich durch die Finger geworfen hättenApollon. 1, 1129 Schol., Et. M. v. Ἰδαῖοι.. Doch blieb ihre metallurgische Kunstfertigkeit immer die Hauptsache; auch scheinen dahin die drei Namen zu deuten, mit welchen die Phoronis die idaeischen Daktylen Kleinasiens benennt, Kelmis Damnameneus und AkmonΚέλμις vgl. κελμὰς ϑέρμη Hes., Δαμναμενεὺς von δαμνάω d. i. δαμάζω. Eur. Alk. 980 τὸν ἐν Χαλύβροις δαμάζεις σὺ βία σίδαρον. Cornut. 19 τῆ τοῦ πυρὸς δυνάμει ὁ σίδηρος καὶ ὁ χαλκὸς δαμάζεται, Ἄκμων d. i. Ambos. Sie sind nach jenem Gedichte b. Schol. Apollon. l. c. εὐπάλαμοι ϑεράποντες ὀρείης Ἀδραστείης, οἳ πρῶτοι τέχνην πολυμήτιος Ἡφαίστοιο εὗρον ἐν οὐρείησι νάπαις, ἰόεντα σίδηρον ἐς πῦρ τ' ἤνεγκαν καὶ ἀριπρεπὲς ἔργον ἔδειξαν., d. i. wahrscheinlich der Heizer, der Schmied und der Ambos. Also ein dämonisches Geschlecht wie die Kyklopen und die Telchinen, nur daß sie im Dienste der idaeischen Mutter standen, welche als Große Göttin des Gebirgs natürlich auch über die metallischen Kräfte und Geister ihres Reiches gebot. Es versteht sich von selbst daß die Daktylen zugleich für Zauberer und geheimer Naturkraft Kundige galtenStr. 473, Plut. Num. 15, Pherekydes u. Hellanikos b. Schol. Apollon. l. c, Plut. d. prof. in virt. 15., doch hielt 519 man sie auch für Erfinder von allerlei nützlichen Künsten, unter anderen für die des musikalischen Klangs und des Taktes, wozu die Kunst der Schmiede von selbst Anleitung gab, daher die Daktylen für die Lehrer des Paris in der Musik galten, wie Chiron für den des AchillPlut. d. mus. 5, Schol. Il. 22, 391, Lob. Agl. 1162.. Obwohl der Aberglaube auch in diesem Kreise je länger je mehr überwog, vollends seitdem auch sie in die allgemeine Confusion der Mysterien und Sagen von Kreta und Samothrake und in die der Orphischen Theologie verstrickt worden warenDiod. 5, 64, Clem. Strom. 1 p. 362 P.. Nur auf Kypern, wo man gleichfalls von ihnen erzählte, meinte man wohl noch die dämonischen Metallurgen.


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