Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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d. Der gute Dämon und die gute Tyche.

Neben den mit bestimmten Namen und Eigenschaften bezeichneten Göttern gab es nach griechischem Glauben viele unbenannte Geister und göttliche Mächte, wie man sie für alle mehr im Allgemeinen empfindbaren als im Einzelnen nachweisbaren Wirkungen anzunehmen pflegte. Schon bei Homer wird der allgemeine, sonst dem Worte ϑεὸς gleichbedeutende Gattungsname δαίμων oft für diese geheimnißvollere Weise der göttlichen Weltregierung gebraucht. Bei Hesiod wird dann der Glaube an große Schaaren und verschiedene Klassen von Dämonen bestimmt ausgesprochen, und zwar umschweben sie die Menschen im Auftrage des Zeus als unsichtbare Wächter über Recht und Unrecht und als Reichthumsspender, oder sie wirken und schaffen in der irdischen Sphäre als Natur- und Elementargeister (S. 70). Nachmals haben die Philosophen und Theologen diesen Glauben mit vielen einzelnen Beziehungen auf das Natur 422 und das menschliche Seelenleben, auch mit Uebertragung auf die Heroenwelt und die geheimnißvolle Geisterwelt der Verstorbenen überhaupt immer weiter ausgebildetUkert über Dämonen, Heroen und Genien, Abh. der K. Sächs. Ges. d. W. 2, 139–219, Gerhard üb. Wesen, Verwandtschaft u. Ursprung d. Dämonen und Genien, Berl. 1852.. In der wirklichen Religion und dadurch bestimmten Bilderwelt tritt derselbe besonders in zwei Richtungen hervor, sofern diese Dämonen nehmlich als dienende Kräfte und begleitende Umgebung der einzelnen Cultusgötter gedacht wurden (δαίμονες πρόπολοι), in welcher Anwendung sie häufig je nach der besonderen Natur und Thätigkeit dieser Götter gleichfalls individuellere Gestalt und Namen annahmen. Oder die Dämonen sind Schutzgeister der einzelnen endlichen Wesen, sowohl der MenschenSchon Pindar kennt diesen Glauben an einen individuellen Genius des einzelnen Menschen, der zugleich sein persönliches Schicksal ist, Ol. 9, 28 ἀγαϑοὶ δὲ καὶ σοφοὶ κατὰ δαίμον' ἄνδρες ἐγένοντο. P. 5, 122 Διός τοι νόος μέγας κυβερνᾷ δαίμον' ἀνδρῶν φίλων. Noch bestimmter Menander b. Clem. Al. Str. 5 p. 260 ἅπαντι δαίμων ἀνδρὶ συμπαρίσταται εὐϑὺς γενομένῳ μυσταγωγὸς τοῦ βίου ἀγαϑός. als der Länder Völker und Städte, und zwar in der doppelten Bedeutung daß sie deren Natur wie in einer höheren Idealität und göttlichen Begründung darstellen und daß sie das endliche Leben und Geschick der ihnen anvertrauten Individuen als gute Geister vertreten und für deren leibliches und sittliches Gedeihen Sorge tragen. Man ging dabei in der Individualisirung solcher Dämonen so weit, daß man je nach dem Geschlechte der ihnen entsprechenden Wesen auch Dämonen männlichen und weiblichen Geschlechtes unterschied, so daß man jene gute Dämonen diese gute Tychen nannte, gute in dem Sinne von günstigen und gnädigenEin allgemeiner Sprachgebrauch bei Griechen und Römern, Cic. N. D. 3, 34, 84 Idem (Dionysius) mensas argenteas de omnibus delubris iussit auferri, in quibus quod more veteris Graeciae inscriptum esset Bonorum Deorum uti se eorum bonitate velle dicebat., die weiblichen Tychen, weil der Begriff des Dämons und der Tyche in der That nur durch das Geschlecht ein verschiedener war. Beide nahm man nicht blos für einzelne Menschen, sondern auch für Länder und Städte an, in welchen letzteren der göttlich verehrte Demos oft dem guten Dämon entsprochen zu haben scheint. Dahingegen dieser als guter Geist des ländlichen Segens und der Weinberge einfach ἀγαϑὸς δαίμων hieß, mit welchem Namen man z. B. in einigen Gegenden den Tag der attischen Pithoigien benannte d. h. den Tag wo man zuerst vom jungen Weine des neuen 423 Jahres genoß. Aber auch beim gewöhnlichen Mahle pflegte man des guten Dämons zu gedenken und zwar mit einem Trunke ungemischten Weines, während ein mit Wasser gemischter Trunk der des Zeus Soter genannt wurdeDiod. 4, 3, Athen. 15, 17, Hesych ἀγαϑοῦ δαίμονος, vgl. Plut. Symp. 8, 10, 3. Auch die gute Tyche wurde auf ähnliche Weise angerufen, Athen. 11, 44; 15, 47. Inschriften erwähnen Vereine unter dem Namen Ἀγαϑοδαιμονιασταί.. Bei andern Gelegenheiten wurde er aber auch als Schutzgeist der Stadt verehrt und ihm entsprechend eine gute Tyche z. B. in AthenAelian V. H. 9, 39. Ueber die Lage dieses Heiligthums s. Gerhard im Philol. 4, 380. Eines Opfers an die gute Tyche in Athen gedenkt die Inschrift b. Rangabé Antiq. Hellen. 2, 842., wie dieser auch in der Eingangsformel jedes Volksbeschlusses und sonst auf Denkmälern und Urkunden, Widmungen und Weihungen gedacht zu werden pflegte und auch im gemeinen Leben jede wichtigere Handlung gewöhnlich mit der guten Tyche begonnen wurde, in demselben Sinne wie wir mit Gott! oder Glück auf! sagen und der Römer sein Quod bonum faustumque sit u. s. w. gebrauchte. Zur sinnbildlichen Vergegenwärtigung solcher Schutzgeister diente oft das bloße Symbol der Schlange, bei manchen Gelegenheiten auch das des Phallos, der hier wie gewöhnlich den Segen der Fruchtbarkeit ausdrückteNamentlich gehört dahin der Dämon Τύχων, eine Nebenfigur der Aphrodite, ein männlicher Pendant zur weiblichen Tyche, Hes. Etym. M. s. v., Diod. 4, 6, Strabo 13, 588. Ein Bild von ihm nach einem Marmorrelief aus Aquileja b. Wieseler D. A. K. 2, 936. Vgl. Gerhard üb. Agathodämon u. Bona Dea, Abh. der Berl. Ak. v. J. 1847.. In der gebildeten Kunst aber wurde der gute Dämon so dargestellt wie jener Sosipolis in Elis beschrieben wird, als Jüngling mit dem Füllhorn und der Schale in der einen und mit Mohn und Aehren in der andern Hand, die gute Tyche in Gestalt einer schönen Frau mit Füllhorn und Polos; wie z. B. Praxiteles eine bona fortuna und einen bonus eventus gebildet hatte, welche der ἀγαϑὴ τύχη und dem ἀγαϑὸς δαίμω entsprachenPlin. H. N. 36, 23. Wahrscheinlich stammten diese Bilder aus Athen.. Sehr verbreitet war die Verehrung der Tyche in dieser Bedeutung in den Städten und Provinzen des hellenistischen und römischen Zeitalters, wo jede Stadt gleichsam ihr ideales Selbst in Gestalt einer solchen τύχη πόλεως aufzustellen pflegte, in dem Bilde einer schönen und reichbekleideten Frau mit den Attributen der Mauerkrone und des ländlichen Segens und mit localer oder landschaftlicher 424 Characteristik: was für die Künstler wieder ein Anlaß zu vielen sinnigen und kostbaren Bildwerken geworden ist.


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