Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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B. Die Gewässer und das Meer.

Das Wasser und das Meer bildete nach der Anschauung der Alten ein und dasselbe Naturgebiet, wie man dieses sowohl daraus sieht daß Okeanos bei Homer der Stammvater des ganzen Geschlechtes ist, der Götter des Meeres und der Flüsse und Quellen (Il. 21, 196), als aus dem Culte Poseidons welcher gleichfalls nicht allein die Fluthen des Meeres, sondern auch das über die Erde zerstreute Gewässer beherrscht. Doch hat die Mythologie frühzeitig zwischen der See und dem continentalen Gewässer unterschieden, namentlich nach dem theogonischen Systeme welches Hesiod vertritt. Und so pflegen die Meeresgötter auch als ϑαλάσσιοι oder πόντιοι von den übrigen Göttern des feuchten Elements abgesondert zu werden.

Die kosmische Bildungskraft des Meeres, seine tragende Allgewalt, seine welterschütternde Macht des Erdbebens hat sich schon in den Dichtungen vom Okeanos und vom Aegaeon und den Hekatoncheiren ausgesprochen. Einen großen Reichthum von andern Bildern und Beobachtungen werden die übrigen Götter und Mythen dieses Kreises aufdecken. Die wechselnden Zustände des Meeres, je nachdem es bald in ruhiger Anmuth lockt bald in wilder Wuth erschreckt, die beängstigenden Wunder seiner Tiefen und Untiefen, das Wandelbare und Wechselvolle seiner Gestalt, der weite Prospect seiner unendlichen Ausdehnung, der Abgrund seiner Vertiefungen und das Allgegenwärtige seiner schlüpfrigen Pfade, was zu der Vorstellung von kluger List und verborgener Weisheit führte: das Alles hat die Einbildungskraft der Griechen mit vielen schönen Dichtungen, Bildern und Märchen befruchtet.

Griechenland ist in seinem Innern von so eigenthümlicher Wasserbildung und so ringsum vom Meere umgeben, daß eine vielseitige und eigenthümliche Auffassung dieses Naturgebiets gleich bei seiner ältesten Bevölkerung vorauszusetzen ist. Nicht zu verkennen ist aber auch hier der Einfluß mancher ausländischen Elemente, wie sie durch den Verkehr der Griechen mit andern Völkerschaften, welche auf diesen Meeren und auf diesen Küsten und Inseln vor und neben ihnen heimisch waren, von selbst herbeigeführt werden mußten. Mit welchem Rechte 425 Herodot hinsichtlich des Poseidonsdienstes, so weit er nehmlich als Meeresgott und an seiner Seite Amphitrite und Triton verehrt wurden, einen Ursprung aus Libyen annimmt (2, 50; 4, 188), läßt sich nicht mehr entscheiden.

Die Hesiodische Theogonie eröffnet uns zunächst einen Blick in die allgemeine Natur und Gestaltung der Gewässer und des Meeres in den Dichtungen von den Geschlechtern des Okeanos, des Pontos, des Nereus, Thaumas, Phorkys, denen sich auch die vom Atlas anschließen mag, da ihre Bilder sich nur unter der Voraussetzung daß sie der Anschauung des Meeres entlehnt sind befriedigend erklären lassen. Weiter werden die Cultusgötter, namentlich Poseidon zu besprechen sein, und endlich wird eine Uebersicht der bekanntesten Seemärchen, wie sie sich vorzüglich in dem Kreise der Argonautensage und in dem der Odyssee entwickelt haben, den Bilderkreis dieses Naturgebietes auch von dieser Seite vervollständigen.


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