Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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c. Selene.

Die gewöhnlichen Namen für den Mond sind Σελήνη (von σέλας) und Μήνη d. i. der Mond mit Beziehung auf seinen regelmäßigen Wechsel im Laufe eines Monats (μείς). Die Dichter 346 schildern sie als das strahlende Auge der NachtPind. Ol. 3, 19 ἤδη γὰρ αὐτῷ διχόμηνις ὅλον χρυσάρματος ἑσπέρας ὀφϑαλμὸν ἀντέφλεξε Μήνα. Vgl. Aesch. Pers. 428, Sept. 390, Xantr. fr. 164., als die schöne Frau am Himmel, vor welcher alle übrigen Sterne erbleichen wenn sie in dem unverkürzten Silberglanze des Vollmondes auftrittSappho fr. 3 ἄστερες μὲν ἀμφὶ κάλαν Σελάναν ἄψ ἀποκρύπτοισι φάεννον εἶδος, ὅπποτ' ἂν πλήϑοισα μάλιστα λάμπη ἀργυρέα αὔγαν. Petron. 89 iam plena Phoebe candidum extulerat iubar, minora ducens astra radianti face. Andre Dichter nennen sie ἱλάειρα, νιφόεσσα, λευκοπάρηος. Oft werden schöne Frauen und Mädchen mit ihr verglichen., als die fackeltragende Anführerin der Gestirne. Diese strahlende Schönheit, ihr schimmernder Glanz, ihre verworrenen Wege am Himmel, endlich ihre unablässigen Wandlungen hatten sie auch in Griechenland zum Lieblinge der Volksdichtung und aller landschaftlichen Märchen und Sagen gemacht, in denen sie unter verschiedenen Namen und Bildern auftritt. Als Selene galt sie für eine Tochter Hyperions oder des Pallas (H. in Merc. 100), später auch wohl für die des Helios (Eur. Phoen. 175). Man dachte sie sich zu Wagen, wie Helios und Eos, aber gewöhnlich nur auf einem Zweigespann, welches nach späterem Herkommen auch wohl Rinder zogen, nach Homer. H. 32 geflügelt und geschmückt mit einer goldenen Strahlenkrone, aus welcher sich das milde Licht über Himmel und Erde ergießt. Oder man stellte sie sich vor wie eine Jägerin und Schützin, welche an den Mondeshörnern als Selene zu erkennen war, oder wie eine schöne Frau zu Pferde oder auf einem Maulthiere, wie auch Phidias sie gebildet hatte, Helios aufsteigend Selene niedersteigend, eine herkömmliche Art den ewigen Rhythmus der Zeitbewegung zwischen Morgen und Abend auszudrücken. Ihre natürlichen Festtage waren die Tage des Vollmonds, welche den römischen Idus entsprachen und wie diese den Monat in zwei Hälften zerlegten (διχομηνίαι), und die den Kalenden entsprechenden Tage der ersten Erscheinung des neuen Mondes (νουμηνίαι), an denen ihr und andern Göttern des Lichts geopfert wurdeNamentlich werden die νουμηνίαι oft als Feiertage genannt, s. oben S. 187, [Anmerkung 505], Demosth. Aristog. 1, 99, Plut. Qu. Ro. 25, De vit. aer. al. 2, Athen. 9, 56 u. A.. Vor allen übrigen Vollmondstagen aber war der der Frühlingsnachtgleiche heilig, wenn sie frisch gebadet und strahlender als je am Abende aus dem Okeanos hervorstieg, nachdem sie die große Bahn vollendet hatte, wie es in jenem 347 Gedichte heißtHom. H. 32, 11 ἑσπερίη διχόμηνος ὅτε πλήϑῃ μέγας ὄγμος, vgl. Arat 748 τοὺς πάντας ἀμείβεται εἰς ἐνιαυτὸν Ἠέλιος μέγαν ὄγμον ἐλαύνων.. So hatte einst Zeus sie geliebt und sie von ihm die schöne Pandia d. h. die ganz Leuchtende geboren, welche man in Athen um die Zeit der Frühlingsnachtgleiche neben dem Zeus feiertePhot. Πάνδια ἀπὸ Πανδίας τῆς Σελήνης ἢ ἀπὸ Πανδίονις –, ἄγεται δὲ τῷ Διί, vgl. Poll. 1, 37 Διὸς Διάσια καὶ Πάνδια, Bekk. An. 292. Das Fest wurde im Elaphebolion gleich nach den Dionysien, etwa am 16 gefeiert, Demosth. Mid. 9. Es scheint für die Phyle Pandionis zugleich die Bedeutung eines Stammfestes gehabt zu haben, Poll. 6, 163. Πανδῖα ist sonst Beiname der Selene.. In Arkadien galt Pan für ihren Liebhaber, denn Selene liebt wie er die Höhlen und die Gipfel und Warten des Gebirgs; man behauptete daß der Gott ihre Liebe durch eine Heerde weißer Lämmer gewonnen habeVirg. Ge. 3, 391, vgl. Prob. z. ds. St. u. Macrob. S. 5, 22, 9. Im lykaeischen Gebirge wurden Selene und Pan in einer gemeinschaftlichen Höhle verehrt, Porphyr d. antr. N. 20., welche an die Lämmer des Helios auf der Insel Dreispitz erinnern (S. 335). Am häufigsten aber erzählte man seit Hesiod von ihrer Liebe zu dem schönen Endymion, welcher eigentlich in Karien und zwar in dem waldigen Gebirge Latmos zu Hause war, wo man in einer Höhle sein Grab zeigteStrabo 14, 636, Paus. 5, 1, 4, Hes. v. Ἐνδυμίωνα. Man muß dabei an eine in der Wand eines Felsens ausgehauene Grabkammer denken, wie sie in Kleinasien gewöhnlich sind. Auch der Sohn des Endymion Φϑείρ oder Φϑίρ d. i. Fichte oder die Frucht der Fichte, Schol. Il. 2, 868, Bekk. An. 1200, deutet auf Trauer. Der Name Ἐνδυμίων von ἐνδύω scheint den in die Höhle Eingegangenen zu bedeuten.. Es scheint daß Endymion dieser Bevölkerung einen Genius der Nacht und des tiefen Schlafes der Nacht, aber auch nach einer dem Alterthum sehr gewöhnlichen Uebertragung den des Todes bedeutete, in der Gestalt eines schönen schlafenden Jünglings, den die Sage und die Bildwerke wie Adonis und andre Figuren der Art bald als Hirt bald als Jäger schildern. Man erzählte daß Zeus ihm die freie Wahl seines Todes gelassen oder daß er ihm ewige Jugend und ewiges Leben in Gestalt eines ununterbrochenen Schlummers verliehen habeVerschiedene Erzählungen b. Schol. Apollon. 4, 57, immer mit den characteristischen Merkmalen des Schlafes oder des Todes, vgl. Apollod. 1, 7, 5, Zenob. 3, 76, Theokr. 3, 48, Cic. Tusc. 1, 38, 92 habes somnum imaginem mortis. Bildliche Darstellungen b. O. Jahn archäol. Beitr. S. 51–73., und dachte ihn so daliegend in seiner Höhle allnächtlich besucht von der liebenden Mondesgöttin: ein schönes Bild des 348 Todesschlummers in der einsamen Felsenkammer des Gebirgs, deren Nacht vom schimmernden Lichte der Liebe durchleuchtet wird. Oder man nannte ihn einen Liebling des Schlafes, der ihn mit offenen Augen schlafen lasse um sich seiner ganzen Schönheit erfreuen zu könnenAthen. 13, 17, Diogen. 4, 40. Ὕπνος ὁμόζυγος Σελήνης Nonn. 48, 637.. Immer blieb der Schlaf des Endymion sprichwörtlich für die lange Ruhe, wodurch man von selbst an die bekannte Erzählung Herodots von den argivischen Jünglingen Kleobis und Biton erinnert wirdHerod. 1, 31 κατακοιμηϑέντες οὐκέτι ἀνέστησαν. Auch ἀναπαύεσϑαι wird vom Tode gebraucht, wie im Lateinischen quiescere und quies.. Dahingegen derselbe Endymion in Elis, dessen älteste Bevölkerung der karischen stammverwandt war, für einen Sohn des mythischen Königs Aethlios und für den beglückten Liebhaber der Selene galt, welche fünfzig Töchter von ihm geboren habe, in denen man die fünfzig Monde des Olympischen Festcyclus erkannt hatPaus. 5, 1, 2, vgl. Artemid. 4, 47 und Böckh expl. Pind. p. 138.. Endlich nannten einige attische Sagen die Selene auch als Mutter des weissagenden Dichters Musaeos, weil ekstatische Gemüthsbewegungen immer gern von den Einflüssen des Mondes abgeleitet wurdenSchol. Arist. Ran. 1033..


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