Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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14. Die Giganten, Kyklopen und Phaeaken der Odyssee.

Sie werden in diesem Gedichte alle als Völker des oceanischen Westens geschildert und zwar in so bestimmten Umrissen daß ältere und neuere Forscher der sogenannten mythischen Geographie und Völkerkunde an ihrer Realität nicht gezweifelt haben. Desto größer ist das Verdienst von Welcker und NitzschWelcker über die Homerischen Phaeaken u. die Inseln der Seligen Rh. Mus. f. Philol. 1832, kl. Schr. 2 S. 1–79, Nitzsch Anmerk. z. Odyssee Bd. 3. S. 22–32 und zu den betreffenden Stellen., welche zuerst das Märchenhafte an diesen und ähnlichen Erzählungen nachgewiesen haben. Die Deutung aber von solchen Märchen ist natürlich eine überaus schwierige, da die zu Grunde liegende Naturanschauung eben so alt und eigenthümlich ist als die poetische Anwendung der Odyssee eine überwiegend ethische, so daß es unmöglich ist ganz aufs Reine zu kommen.

Die Odyssee selbst bezeichnet ihre Giganten, Kyklopen und 487 Phaeaken als gleichartige Wesen. Alle drei sind göttlichen Geschlechts und verkehren mit den Göttern wie mit ihres Gleichen, ἐπεί σφισιν ἐγγύϑεν εἰμέν, sagt der Phaeakenkönig Alkinoos, ὥσπερ Κύκλωπές τε καὶ ἄγρια φῦλα Γιγάντων (7, 205). Die Phaeaken und die Giganten sind überdies nahe verwandt, denn der Ahnherr und erste König von jenen, Nausithoos, ist ein Sohn des Poseidon und der Periboea, der jüngsten Tochter des Riesenkönigs Eurymedon. Die Kyklopen waren früher die Nachbarn der Phaeaken, die aber so von ihnen geplagt wurden daß Nausithoos sie von dort nach Scheria übersiedelte.

Der Begriff der Giganten d. h. der Riesen ist seiner Natur nach ein elastischer. Es sind die ungebändigten Naturkräfte der Vorzeit überhaupt, in der Gigantomachie vorzugsweise die des Vulkanismus, dessen Spuren in Griechenland, Kleinasien und Italien so häufig waren; doch finden sich auch unter ihren Riesen einige welche etwas Anderes bedeuten, z. B. Alkyoneus, der Räuber der Sonnenstiere. Andern sind wir in andern Sagenkreisen begegnet, z. B. den Hekatoncheiren, welche die neptunischen Kräfte des Erdbebens bedeuteten und unter denen Aegaeon uns gleich noch einmal beschäftigen wird, in der Titanomachie, Orion unter den siderischen Erscheinungen, obwohl auch dieser vorzugsweise als Meeresriese gedacht wurdeAuch die Riesen der germanischen und skandinavischen Sage sind verschiedener Bedeutung, Wasserriesen Luftriesen Feuerriesen Erdriesen, s. Weinhold die Riesen des German. Mythus, Wien 1858.. So scheinen nun auch die Giganten der Odyssee vorzugsweise dem Gebiete des Neptunismus anzugehören, wie ihre Kyklopen und Phaeaken und die Abenteuer ihres Helden überhaupt; obwohl bei solcher Auffassung, wie sie in diesem Gedichte vorherrscht, die Merkmale der ethischen Characteristik, wodurch diese Völker zu Sinnbildern gewisser Stufen der menschlichen Civilisation oder des irdischen Genusses wurden, durchweg mehr als die der Naturbedeutung hervorgehoben werden. Denn auch diese Giganten sind ein Volk und zwar ein übermüthiges und von ungebändigten Kräften, wodurch sie sich selbst zu Grunde gerichtet haben, sie und ihr König Eurymedon (Od. 7, 58) d. h. der Weitherrschende: bei Pindar ein Beiname des Poseidon, wie εὐρυκρείων und ähnliche, die ihn als den Herrscher über das wilde gewaltige Meer schildern, dessen Wogen mit Riesen und Bergen verglichen werdenS. oben S. 453. Doch war von Andern Perseus und Hermes εὐρυμέδων genannt worden, s. Hesych, Apollon. 4, 1514, Euphorion b. Et. M. πρηνής, Meineke Anal. Al. 50. Bei Prop. 3, 9, 48 caeloque minantem Coeam et Phlegraeis Eurymedonta iugis haben die Mss. Oromedonta. Bei Theokr. 7, 46 ist mit Ahrens zu lesen ἶσον ὄρευς κορυφᾷ δόμον εὐρμέδοντος. Also bleibt nur Schol. Il. 14, 295 Ἥραν τρεφομένην παρὰ τοῖς γονεῦσιν εἶς τῶν Γιγάντων Εὐρυμέδων βιασάμενος ἔγκυον ἐποίησεν, ἡ δὲ Προμηϑέα ἐγέννησεν u. s. w. nach Euphorion, Meineke p. 145, wo wahrscheinlich der Gigantenkönig der Odyssee gemeint ist.. Mit der Tochter dieses Eurymedon, der schönen 488 Periboea, hat Poseidon den Nausithoos, den König der Phaeaken erzeugt, und es ist lediglich um dieses Zusammenhanges willen daß die Odyssee der Giganten gedenkt.

Dahingegen die Kyklopen der Odyssee, namentlich Polyphemos, der unbändige Sohn des Poseidon, schon in ganz andrer Weise an der Handlung des Gedichtes betheiligt worden. Auch sie scheinen wie gesagt neptunische Kräfte zu bedeuten, so daß von den Hesiodischen Kyklopen, den feurigen Rundaugen des Himmels (S. 42) eben nur das Bild von einäugigen Riesen geblieben wäre. Beide haben den riesigen Wuchs, die ungeheure Kraft und das eine große runde Auge auf der Stirn mit einander gemein, sonst sind sie sehr verschieden. Auch sind die Kyklopen der Odyssee zugleich Characterbilder eines wilden und wüsten Lebens vor aller Cultur, in welcher Hinsicht schon Plato und Aristoteles auf diese Schilderung verwiesen habenPlato Leg. 3, 680 B, Aristot. Polit. 1, 1, 7.. Indessen schimmert die ältere Naturbedeutung in manchen Zügen durch und die Ueberlieferungen der Volkssage und einzelner Culte führen weiter. Nach Od. 9, 106 ff. sind die Kyklopen übermüthig, gewaltsam, riesig, wissen nichts von Rath und Recht und Gastfreundschaft, fürchten nichts, selbst den Zeus und die Götter nicht, denn wir sind viel stärker, sagt Polyphem. Ihr Land ist wie ein Urwald wo sie einzeln im Gebirge wohnen, hoch auf den Gipfeln der Berge in Höhlen, jeder für sich mit den Seinigen. Sie säen nicht und sie erndten nicht, sondern sie verlassen sich auf die Mutter Natur die ihnen Alles in den Mund wachsen läßt. Blos unendliche Schaaren von Ziegen beleben außer den einäugigen Riesen diese großartige Natureinsamkeitv. 118 ἐν δ' αἶγες ἀπειρέσιαι γεγάασιν ἄγριαι. v. 123 ἀλλ' ἥ γ' ἄσπαρτος καὶ ἀνήροτος ἤματα πάντα ἀνδρῶν χηρεύει, βόσκει δέ τε μήκαδας αἶγας.. Die Ziegen aber sind das bekannte Bild der zwischen den Klippen und Felsen anprallenden und aufschießenden Wogen und Fluthen des Meeres (S. 444), so daß die ganze Schilderung für die 489 der wüsten Meereseinsamkeit genommen werden kann, wo nicht gesäet und nicht geerndtet wird, einsame Felsen aus der schäumenden Masse emporragen, wilde Ziegen auf den Gipfeln der Wogen hin- und herklettern, und diese Wogen selbst wie Riesen und Ungethüme sindOd. 3, 290 κύματά τε τροφόεντα, πελώρια, ἶσα ὄρεσσιν., gleich jenen Giganten des Eurymedon. Polyphemos selbst, das nach mythologischer Weise ausgeführte Beispiel der ganzen Gattung, nach seinem Namen der Weitbrüllende, ist ein Sohn der Phorkystochter Θόωσα d. h. der schnell dahinschießenden und des Poseidon, riesig wie ein hohes Waldgebirge und von fürchterlicher Stimme (φϑόγγος βαρύς). Er frißt die Griechen wie ein Löwe des wilden Gebirges seine Beute, hebt einen Stein mit leichter Mühe, der so groß und schwer ist daß ihn zweiundzwanzig Wagen nicht fortbringen könnten und schleudert ähnliche Felsblöcke weit hinaus ins Meer. Schafe und Ziegen, Felsen und Bäume sind seine ganze Umgebung, das tägliche Aus- und Eintreiben seiner Heerde ist seine ganze Beschäftigung. Die Blendung erinnert sehr an den Meeresriesen Orion in der Sage von Chios (oben S. 352), die dem Dichter von Chios wohl bekannt sein mochte; die Anwendung desselben Märchens und Bildes in den verschiedensten VolkssagenW. Grimm die Sage von Polyphem, Berl. 1857, Abh. d. Akad. Doch möchte ich die Unabhängigkeit der Sage am Kaukasos, bei den Persern, im Norden u. s. w. von der griechischen nicht vertreten. ist einer der merkwürdigsten Beweise für die außerordentliche Popularität, deren sich die griechische Mythologie von jeher erfreute. Uebrigens erinnert Polyphemos nicht allein an Orion, sondern auch an den Riesen Briareos-Aegaeon, welcher sogar diesen seinen zweiten Namen von den αἶγες der brandenden Meeresfluth bekommen hatte, wie denn auch von ihm außer den Sagen der Titanomachie (S. 42) noch manche andere volksthümliche Traditionen umgingen. Einige nannten ihn nicht einen Bundesgenossen der Olympischen Götter, sondern der Titanen, Andere einen Feind des Poseidon der ihn im Meere erwürgt habe. Wieder Andere erklärten ihn für ein wildes Meeresungethüm (ϑαλάσσιον ϑηρίον), noch Andere für einen Riesen der aus Euboea, wo das mythische Aegae und die Ursache der Benennung des Aegaeischen Meeres gesucht wurde (S. 444, [Anmerkung 1367]), nach Phrygien geflüchtet und hier am Flusse Rhyndakos nicht weit vom Meere unter einem Hügel begraben liege, aus welchem wohl an hundert Quellen hervorsprudelten. Endlich noch Andere nannten ihn 490 einen mächtigen Herrscher zur See und den Erfinder der Kriegsschiffe, der von Euboea aus alle Inseln unterworfen habeSchol. Apollon. 1, 1165, Eustath. Il. p. 123, 33, Plin. 7, 207. Nach Hesych v. Τιτανίδα galt die Insel Euboea hin und wieder für eine Tochter des Briareos, nach Paus. 2, 1, 6; 4, 7 war Briareos der Schiedsrichter zwischen Helios und Poseidon, der diesem den Isthmos, jenem die Burg von Korinth zuerkannte, nach Eustath. z. Dionys. P. 64 hießen die Säulen des Herakles auch Säulen des Briareos. Aegaeon auf Wallfischen Ovid M. 2, 10, für das Aegaeische Meer Stat. Theb. 5, 288. Vgl. E. Vinet expl. d'une pierre grav. représ. le dieu marin Aegaeon, Rev. Archeol. 10.. Lauter Nachklänge von örtlichen Sagen die wie gewöhnlich in mythologischer Hinsicht ausgiebiger sind als das Epos, welches sich aus ihnen nur das allgemeine Bild des gewaltigen Meeresriesen angeeignet hatte. Und so hatte sich auch von den Poseidonischen Kyklopen und von ihrer dämonischen Naturbedeutung an mehr als einer Stelle ein Nachklang alter Sage behauptet. Am Isthmos wurden die Kyklopen neben dem Poseidon, dem Palaemon und den übrigen Göttern des Meeres als gleichgeartete Dämonen mit alterthümlichen Gebräuchen verehrt (Paus. 2, 2, 2) und die attische Sage erzählte von dem Grabe eines Kyklopen Geraestos, an welchem im Minoischen Kriege die Hyakinthiden geopfert wurden (Apollod. 3, 15, 8), offenbar mit Beziehung auf den Cult des Poseidon zu Geraestos auf Euboea (S. 451).

Aber auch die andern Kyklopen der Volkssage, nehmlich die Baumeister der sogenannten kyklopischen Mauern lassen sich auf ungezwungene Weise deuten, sobald man sich dieses Geschlecht als Meeresriesen denkt. Am bekanntesten sind diese bauenden Kyklopen aus der argivischen Sage, nach welcher sie aus Lykien zum Proetos nach Tirynth kamen, sieben an der Zahl, γαστερόχειρες genannt d. h. auch am Bauche waren ihnen Hände angewachsen, was an die Hekatoncheiren der Theogonie erinnertEurip. Iph. A. 1500 πόλισμα Περσέως, Κυκλωπίων πόνον χερῶν, vgl. Hesych v. Κυκλώπων ἕδος und Τιρύνϑιον πλίνϑευμα. Strabo 8, 372 erklärt das Wort γαστερόχειρες pragmatisirend, als ob sie von ihrer Kunst gelebt hätten.. Wie die Riesen und die Giganten denn auch sonst in Volkssagen oft in gleicher Bedeutung vorkommen, als Riesenbaumeister, die gewaltige Felsenmassen zusammenschleppen und daraus Hafendämme, Mauern u. s. w. zusammenfügen. Es sind die bewegenden Kräfte der Natur, sowohl die vulkanischen als die neptunischen, und sie sind Baumeister in demselben Sinne wie Poseidon zugleich der Erderschütterer ist 491 und der Erdbaumeister, neben Apollo speciell der Baumeister welcher wie die Kyklopen gewaltige Blöcke aus dem Meeresgrunde herbeischafft, während Apollo, der musische Gott, für ihre zierliche Fügung sorgtὁ μὲν τὴν πέτραν παρασχὼν ἐκ τοῦ βυϑου τῆς ϑαλάττης καὶ ἅμα ποιήσας δυνατὴν εἶναι κομισϑῆναι, ὁ δ' ὥσπερ εἰκὸς οἰκιστὴν βουληϑεὶς τὴν ἑαυτοῦ πόλιν κοσμῆσαι προσϑήκῃ τηλικαύτῃ, Aristid. 1 p. 390 ed. Ddf. vom troischen Mauerbau. Vgl. oben S. 455..

Endlich die späteren Vorstellungen von den Kyklopen sind auf eigenthümliche Weise zugleich von der Dichtung der Odyssee und von dem alten Bilde der Hesiodischen Feuerdämonen bestimmt worden, nur daß diese jetzt auf vulkanische Gegenden der Erde übertragen werden, wo sie fortan als Schmiede des Hephaestos arbeiten. So besonders in der Gegend am Aetna in Sicilien, welche die auffallendsten Merkmale sowohl von Poseidonischen als von vulkanischen Naturrevolutionen aufzuweisen hatte und wo die Schmiede des Hephaestos und der Kyklopen gewöhnlich auf eine der Liparaeischen Inseln verlegt wurdeS. oben S. 143. Bei Kallim. Dian. 66 ff. spielen die Kyklopen zugleich die Rolle von Kobolden, mit denen die Götterkinder geschreckt werden., aber auch auf der alten Hephaestosinsel LemnosServ. V. A. 10, 763. Bei römischen Dichtern sind die Telchinen und die Kyklopen gleichartige Wesen, Stat. Silv. 4, 6, 47, Theb. 2, 274.. Dahingegen Polyphemos der Odyssee zu Liebe auch fernerhin in der Dichtung und Volkssage seine besondre Rolle spielte, der ungeschlachte Riese und garstige Waldmensch die eines sentimentalen Liebhabers der reizenden und schalkhaften Nereide Galatea: eine Sage welche der Dithyrambiker Philoxenos und nach seinem Vorgange Kallimachos, Theokrit und Ovid durch anmuthige Gedichte verherrlicht habenDie Bruchstücke des Philoxenos b. Bergk poet. lyr. p. 993 sqq. Vgl. Theokr. id. 6 und 11, Ovid M. 13, 738–897, wo Galatea die Geliebte des Flußgottes Akis ist, Philostr. imag. 2, 18, O. Jahn Archäol. Beitr. 411 ff..

Endlich die Phaeaken, bei denen von Welcker das Märchenhafte der Homerischen Schilderung schon dergestalt hervorgehoben, die geographische Beziehung auf die Insel Kerkyra so bündig widerlegt ist, daß wir uns um so mehr auf das Wesentliche beschränken können. Auch sie sind göttlichen Geschlechtes und auch sie wohnen einsam, fern von allen Sterblichen, weit im Westen, nahe beim Okeanos: ganz und gar ein See- und Schiffervolk, das vom Poseidon stammt und in allen seinen Sitten, 492 seinen Namen, mit seinem ganzen Treiben der See angehört. Außer diesem Grundzuge der Schilderung wird besonders das Genußreiche und Wohllebige ihrer Einrichtungen hervorgehoben, wie das Leben der Phaeaken, die Pracht des Hauses und der Gärten des Alkinoos denn in dieser Hinsicht sprichwörtlich geworden warOd. 8, 246 ff., vgl. Horat. Ep. 1, 2. 28. Alcinoique in cute curanda plus aequo operata iuventus, cui pulchrum fuit in medios dormire dies et ad strepitum citharae cessatum ducere curam. Ib. 15, 24.. Anfangs wohnten sie in der Nachbarschaft der Kyklopen im geräumigen Oberlande (ἐν εὐρυχόρω Ὑπερείη), von wo sie Nausithoos nach Scheria geführt (Σχερία), welcher Name einfach das feste Land bedeutet. Auch hier sind sie entfernt von allen Menschen und nur einzelne auf der See Verschlagene gelangen zu ihnen. Nur mit einer Sorge sind sie beschäftigt welche die Folge ihres schönen und göttlichen Berufes ist, zu sein die πομποὶ ἀπήμονες ἁπάντων d. h. die gefahrlosen Geleiter und Heimführer von Allen. Das bewirken sie auf geisterhaft schnelle Art mit ihren wunderbar ausgerüsteten Schiffen, die ohne Steuer und Steuerruder von selbst die Wünsche und Gedanken aller Menschen und ihre Heimath kennen und das Meer schneller als der schnellste Vogel durchschneiden, gehüllt in Wolken und Nebel, ohne daß sie jemals Untergang oder Beschädigung zu fürchten brauchen (Od. 8, 557). Deshalb zürnt ihnen Poseidon, dessen Meeresherrschaft dadurch beeinträchtigt wird, daher er ihnen längst gerne etwas anhaben möchte, wovon die Phaeaken durch eine alte Weissagung unterrichtet sind. Einmal haben sie den Rhadamanthys nach Euboea gebracht, dem entlegensten Lande des Ostens das ihre Leute besucht haben, die dennoch ohne Mühe an demselben Tage hin- und zurückfuhren. Und so bringen sie nun auch den Odysseus in der Nacht und auf übernatürlich schnelle und geisterhafte Weise nach seinem lange entbehrten Ithaka, während welcher Fahrt der Held in einem tiefen Schlafe liegt (13, 79), der schon den Alten aufgefallen ist. Eben dieser Umstand und jene Nebelhülle der Schiffe hat Welcker zu seiner Erklärung angeleitet daß bei dieser Dichtung eine nordische Sage zu Grunde liege, der Glaube an Fährmänner des Todes, welche die Geister der Verstorbenen übers Meer auf die nordische Todteninsel bringen. Aber abgesehen davon daß den Griechen jene Sage in so alter Zeit schwerlich bekannt sein konnteErst ganz späte Schriftsteller berichten davon, Tzetzes z. Hesiod von den Inseln der Seligen u. z. Lykophr. 1204, Procop. bell. Goth. 4, 20. Vgl. die nordischen Sagen und Gebräuche von der Todtenfahrt auf Schiffen und den Schiffsbegräbnissen b. Grimm D. M. 790–795 u. Liebrecht z. Gervas. otia imp. 149, wo die Sage vom fliegenden Holländer sinnreich durch dieselben Gebräuche erklärt wird., wie reimt sich das Wohlleben der Phaeaken, der 493 heitere Glanz und alle die lustigen und fröhlichen Gewöhnungen ihres Daseins mit solchen Geschäften des Todes, da die Alten doch allen Tod und allen Verkehr mit dem Tode nie anders als mit den düstersten Farben zu malen pflegen? Dazu kommt daß die Phaeaken der Odyssee durchaus nicht mit Verstorbenen, sondern nur mit Lebendigen und mit den wirklichen Menschen verkehren, die sie nicht kennen, welche aber von den Phaeaken auf ihren wunderbaren Schiffen wie von unsichtbar wohlwollenden Schutzgeistern des Meeres umschwebt werden. Auch ist die Nebelhülle doch nur der gewöhnliche Schleier, unter welchem das Dämonische und Göttliche in dem realen Leben des Epos immer wirkt und auftrittNitzsch z. Odyss. 7, 14–20, vgl. Grimm D. M. 431., und selbst der Schlaf des Odysseus scheint nur die wunderbare Wirkung der dämonischen Schiffe der Phaeaken zu sein, wodurch sich das Wunder von selbst der Beobachtung entziehtAehnlich erklären die Scholien z. Od. 7, 318 u. 13, 79. Ueberdies ist es ein tief dichterischer Gedanke daß Odysseus, nachdem er so lange allen Witz und Muth aufgeboten und so oft nächtens mit wachen Augen nach den Sternbildern gesehen und gesteuert hat, jetzt wie ein Kind und in Schlafesarm in die Heimath gelangt.. Die Phaeaken erinnern bei solcher Auffassung zunächst an die Dämonen des goldnen Geschlechtes bei Hesiod W. T. 109–126, welche das menschliche Geschlecht auch wie gute Geister umschweben und zwar gleichfalls in derselben Nebelhülle (ἠέρα ἐσσάμενοι πάντῃ φοιτῶντες ἐπ' αἶαν, vgl. v. 255), nur daß diese Geister der Erde und nicht dem Meere angehören. Auf dem Meere aber könnte am ersten das Bild der hülfreichen Winde (οὖροι), wie sie von den Alten so oft gepriesen und als gute Freunde und Retter in der Noth geschildert werden, zu einer Schilderung wie der von den Phaeaken geführt haben, wobei freilich vorauszusetzen ist, daß die Griechen dieses Märchen wie viele andere von der früheren Bevölkerung des mittelländischen Meeres überkommen und dann in ihrem Sinne, das Epos in dem der epischen Mythologie, weiter ausgebildet haben. Es ist die größte Gunst die dem Schiffer von den Göttern widerfahren kann, wenn solch ein günstiger Fahrwind ihn sanft und leicht in die Heimath geleitet, daher die Dichter ihrer mit 494 vielen bildlichen Uebertragungen und unter verschiedenen Personificationen gedenken. Vorzüglich werden sie von Zeus gesendet, der deshalb an den Küsten als οὔριος verehrt wurdeS. oben S. 93, [Anmerkung 192]. 122. Doch sendet sie auch Athena und andere Götter. So ist auch die Richtung der οὖροι natürlich verschieden, doch wird besonders oft der Zephyr genannt, Od. 2, 420; 10, 25, H. in Ap. P. 255, Apollon. 2, 900; 4, 768., und nicht selten heißen sie gute Kameraden und Geleitsmänner der segelnden SchiffeOd. 12, 149 οὖρον πλησίστιον ἐσϑλὸν ἑταῖρον. Pind. P. 1, 33 ναυσιφορήτοις δ' ἀνδράσι πρώτα χάρις ἐς πλόον ἀρχομένοις πομπαῖον ἐλϑεῖν οὖρον. Hesych σωτήριος, ὁ οὔριος ἄνεμος. Die Redensarten οὐριοδρομεῖν, ἐξ οὐρίας πλεῖν zunächst von Schiffen die mit günstigen Winden segeln, dann übertragen., ja die Odyssee nennt sie gelegentlich (4, 36) geradezu νηῶν πομπῆες, und erinnert dadurch selbst an den göttlichen Beruf der Phaeaken die πομποὶ ἀπήμονες ἁπάντων zu sein. Auch besitzen wir in der Sage vom Palinuros, dem aus Virgils Aeneide wohlbekannten Steuermann, welcher an der Küste von Italien in der Gegend von Elea und an der Küste von Libyen und der von Kyrene ein Denkmal hatteVirg. A. 337 ff. 378 Serv., Lucan 9, 42. Auch in der Gegend von Ephesos gab es einen Hafen oder ein Vorgeb. Palinuros, Liv. 37, 11., das beste Beispiel eines zum Schiffer gewordenen Fahrwinds, denn sein Name bedeutet eigentlich den günstigen Rückwind, zunächst wie es scheint für die Fahrt zwischen Libyen und Italien. So wird das Wort οὖρος oft von einem treuen zuverlässigen Freunde und Aufseher gebrauchtNestor οὖρος Ἀχαιῶν Il. 8, 80; 11, 840, Minos Κρήτης ἐπίουρος Il. 13, 450, Achill οὖρος Αἰακιδᾶν Pind. I. 7, 55. Vgl. Od. 15, 88 wo Telemach sagt er müsse zurück, οὐ γὰρ ὄπισϑεν οὖρον ἰὼν κατέλειπον ἐπὶ κτεάτεσσιν ἐμοῖσιν. Das Wort in dieser Bedeutung wird gewöhnlich von ὁράω abgeleitet., aber auch von jeder reichen Strömung des Glücks, der Fülle und des GelingensPind. Ol. 13, 27 Ζεῦ πάτερ – Ξενοφῶντος εὔϑυνε δαίμονος οὖρον. P. 4, 3 οὖρον ὕμνων. N. 6, 32 ἐπέων οὖρον. Theog. 826 γῆς δ' οὖρος (die Blüthe des Landes) φαίνεται ἐξ ἀγορῆς.. Natürlich müssen diese freundlichen Geister und Segler des Meeres da zu Hause sein wo sonst Seligkeit Fülle und Genuß zu Hause ist, im fernen Westen wo das Elysion und die Inseln der Seligen liegenDeshalb haben einige ältere Ausleger das Land der Phaeaken und das Elysion in derselben Gegend gesucht, besonders da die Phaeaken mit Rhadamanth zu verkehren scheinen, s. Schol. u. Eustath. z. Od. 7, 322 u. 324, Schol. Eur. Hippol. 745. Auch stimmt die Beschreibung vom Elysion und die von den Gärten des Alkinoos in manchen Punkten überein, vgl. Od. 4, 565 mit 7, 114., und eben so natürlich ist es daß die so viel Glück und 495 Freude Spendenden selbst immer fröhlich und guter Dinge sind und im Schooße des Glücks und eines genußreichen Daseins leben. Daß sie bei Nacht fahren und den Odysseus gerade in der Zeit heimführen wo der Morgenstern am schönsten glänzt, erklärt sich daraus daß die Winde sich in der Nacht und um die Zeit des Zwielichtes zu erheben pflegenOd. 12, 286 ἐν νυκτῶν δ' ἄνεμοι χαλεποί, δηλήματα νηῶν, γίγνονται, wo nur zufällig von bösen und verderblichen Winden die Rede ist, nehmlich weil eben böse Jahreszeit ist. Od. 13, 93 wo das Schiff der Phaeaken in Ithaka landet εὖτ' ἀστὴρ ὑπέρεσχε φαάντατος, ὅστε μάλιστα ἔρχεται ἀγγέλλων φάος Ἠοῦς ἠριγενείης. Das ist eben die Geburtsstunde der Winde, s. oben S. 343. Der Name Φαίαξ wurde dann zum mythischen Schiffer- und Steuermannsnamen, daher die Heroen der attischen Schifffahrt im Phalerischen Hafen, Ναυσίϑοος und Φαίαξ, Plut. Thes. 17.. Ja selbst der Name der Phaeaken (von (φαιός d. i. schummrig) scheint auf diese Thätigkeit im Zwielichte des ersten Morgens zurückzuweisen.

Die Uebertragung Scherias auf Kerkyra ist eine alte und zwar hängt sie wahrscheinlich mit der Argonautensage zusammen, wie diese seit den Hesiodischen Eoeen und dem Naupaktischen Gedichte gewöhnlich erzählt wurde. Natürlich hatte diese Uebertragung manche neue Erdichtungen und Genealogieen zur Folge, z. B. die nach welcher die Phaeaken wie die Giganten aus dem Blute des entmannten Uranos entsprungen sein sollen, weil man nehmlich die Gestalt der Insel mit einer Sichel verglich und dadurch auf die des Kronos geführt wurdeSchol. Apollon. 4, 983. 992. Schon der Dichter Alkaeos und der Mythograph Akusilaos kannten diese Genealogie. Andere nannten die Phaeaken Autochthonen von Kerkyra.. Noch jetzt zeigt man auf Corfu sowohl die Bucht der Nausikaa als das auf der Rückkehr vor dem Hafen versteinerte Schiff, und kein Patriot wird sich die Ueberzeugung rauben lassen daß Homer mit seinem Scheria diese schöne und blühende Insel gemeint habe.


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