Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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7. Ino-Leukothea und Melikertes-Palaemon.

Die Odyssee nennt die Mutter ohne den Sohn. Dieselbe erbarmt sich ihres abenteuernden Helden als er in der größten Gefahr schwebt im Meere zu versinken, die schöne Tochter des Kadmos Ino Leukothea, welche früher eine Sterbliche gewesen, aber jetzt in den Fluthen des Meeres göttlicher Ehren theilhaftig geworden ist (5, 333). In späteren Erzählungen ist Ino speciell der Name der Kadmostochter und Pflegerin des BacchuskindesἸνὼ erinnert an Ἴναχος und Ἰνωπός, die Pflege des Bacchus an Thetis und Eurynome (Il. 6, 136; 18, 399). Doch könnte der Name auch die Bedeutung einer klagenden haben, denn Ἰνοῦς ἄχη sagte man sprichwörtlich Zenob. 4, 38, vgl. Hesych ἰνύεται, κλαίει, ὀδύρεται und Ἰνύνια ἑορτὴ ἐν Λήμνω., Leukothea d. h. die Weißschimmernde der der Seegöttin und von den Nereiden in ihre Mitte aufgenommenen Meeresfrau, denn weiß sind die Meeresfrauen überhaupt und auch die Nereiden im Allgemeinen hießen ΛευκοϑέαιHes. Et. M., vgl. oben S. 434, [Anmerkung 1336] und die weißen Sirenen b. Steph. B. Ἄπτερα. Die Alten dachten an den Meeresschaum, Tzetz. Lyk. 107. Eine Quelle Λευκοϑέα auf Samos, Plin. 5, 135, vgl. die latinische Albunea, deren Namen man durch Λευκοϑέα übersetzte, Röm. Mythol. 578, 1. Eine Insel Λευκοϑέα Plin. 3, 82. Bei Lykophr. 107 heißt die Meeresgöttin Leukothea Βύνη, wie bei Euphorion das Meer, Meineke Anal. Al. p. 123. Vgl. Schol. Veron. V. A. 10, 76 Deam Veniliam alii Venerem – alii Nympham quam Graeci Βύνην vocant.. Eben so ist Melikertes, ein 471 Name phoenikischen Ursprungs, welcher etwa Prinz bedeutet, der ihres Kindes vor der Verwandlung, Palaemon der des schützenden HafengottesEurip. Iph. T. 271 ὦ ποντίας παῖ Λευκοϑέας, νεῶν φύλαξ, δέσποτα Παλαῖμον. Vgl. das Παλαιμόνιον auf dem Isthmos C. I. n. 1104. welchen man in Italien durch Portunus übersetzte. Beide wurden weit und breit im Mittelmeere verehrt, vorzüglich auf dem Isthmos von Korinth neben Poseidon und den übrigen Meeresgöttern, wodurch auch die gewöhnliche Fabel bestimmt worden. Hesiod th. 976 und Pindar deuten diese an, die attischen Tragiker, namentlich Euripides, hatten sie durch andere Züge erweitertEurip. Med. 1284 ff. Schol., Argum. Pind. Isthm., Apollod. 3, 4, 3, Tzetz. Lykophr. 107 u. 229 ff.. Ino sei, heißt es, als Gattin des Athamas die Mutter von zwei Knaben, des Learchos und Melikertes gewesen, als sie sich durch Mitleid bewegen ließ auch das durch den Tod ihrer Schwester Semele verwaiste Bacchuskind in ihre Pflege zu nehmen. Dafür werden beide Eltern von der Hera mit Wahnsinn gestraft, in welchem Athamas den Learchos tödtet und auch an Melikertes Hand legen will; da eilt die Mutter in rasender Hast mit dem geretteten Kinde über das Gebirge bis an die Molurische Klippe, einem jähen Vorsprunge des Felsenwalles zwischen Megara und Korinth, und stürzt sich von demselben in das darunter befindliche Meer. Dieses aber und seine Geschöpfe nehmen Mutter und Kind freundlich auf und führen sie beim Isthmos an das Land, wo Palaemon fortan neben Poseidon göttlicher Ehren genoß, während Ino unter den Nereiden ein unsterbliches Leben führtPind. Ol. 2, 28 λέγοντι δ' ἐν καὶ ϑαλάσσᾳ μετὰ κόραισι Νηρῆος ἁλίαις βίοτον ἄφϑιτον Ἰνοῖ τετάχϑαι τὸν ὅλον ἀμφὶ χρόνον. P. 11, 3 Ἰνὼ Λευκοϑέα ποντιᾶν ὁμοϑάλαμε Νηρηίδων. Alkman fr. 80 nennt sie σαλασσομέδοισαν.. Beide sind eine willige Hülfe aller bedrängten Seefahrer. Ihre Verehrung beschäftigte nicht allein die bei jener Legende zunächst betheiligten GegendenAuch in Megara Paus. 1, 42, 8 und in Boeotien Plut. Qu. Ro. 16, Keil Inscr. Boeot. 84. 85., sondern auch viele andre Inseln und Seestädte, obwohl es bei der allgemeineren Bedeutung des Namens Leukothea unsicher bleibt ob 472 immer dieselbe Göttin zu verstehen ist. Auf die Verehrung einer Seegöttin Halia-Leukothea in Rhodos werden wir gleich zurückkommen. In Milet, Teos, Lampsakos sind gleichfalls Spuren eines derartigen Cultus gegebenIn Milet ein Wettkampf von Knaben Konon 33. Zu Teos gab es ein Fest Λευκάϑεα, in Lampsakos einen Mt. Λευκαϑιών, C. I. n. 3066.. In Tenedos galten Tennes und Leukothea für Geschwister und Kinder des Kyknos, eines Sohnes des Poseidon; auch wurde hier Palaemon neben ihr mit großem Eifer, sogar mit Opfern von Kindern verehrtDaher Lykophr. 229 Παλαίμων βρεφοκτόνος, vgl. Tzetz. u. Schol. Il. 1, 38.. Kolchis rühmte sich eines von Phrixos gestifteten Heiligthums der Leukothea mit einem Orakel des PhrixosStrab. 11, 498, Hesych Ἰνάχια ἑορτὴ Λευκοϑέας ἐν Κρήτῃ ἀπὸ Ἰνάχου. Das letzte Wort ist wohl verdorben.. Auf Kreta wurde ein Fest Ἰνάχια gefeiert, welcher Name vermuthlich Inoklage bedeutete. Weiter gab es an der lakonischen Küste bei Epidauros Limera einen kleinen See der Ino, in welchen man an ihrem Feste Opferkuchen hineinwarf welche, je nachdem sie untersanken oder nicht, Glück oder Unglück bedeuteten; desgleichen zwischen Oetylos und Thalamae ein Traumorakel der InoPaus. 3, 23, 5; 26, 1. Bei diesem H. befanden sich Bilder des Helios und der Pasiphae d. h. der allleuchtenden Mondgöttin, daher man auch Ino für eine Mondgöttin erklärt hat. G. Wolf d. noviss. orac. aet. p. 31 liest für Ἰνοῦς Ἰοῦς und bezieht dieses auf Isis, welche doch wohl nicht ohne ihre gewöhnliche aegyptische Umgebung verehrt worden wäre., da alle Meeresgötter weissagerischer Natur sind. In Italien feierte Elea ein Trauerfest der LeukotheaAristot. rhet. 2, 23, C. I. n. 6771.; auch finden wir denselben Gottesdienst in Massalia und in Pyrgi, der Hafenstadt von Caere, wo diese Göttin bald Leukothea bald Eileithyia genannt wirdAristot. oecon. 2, 20 p. 1349, 34, Polyaen. 5, 2, 21, Str. 5, 226, Diod. 15, 14, Müller Etrusk. 1, 198; 2, 55., endlich in Ostia und Rom, wo in den hellenisirenden Zeiten die einheimische Mater Matuta durch Leucothea, der Hafengott Portunus durch Palaemon übersetzt und die Fabel ganz nach griechischem Herkommen erzählt wurdeOvid F. 6, 479 ff., Röm. Myth. 285.. Also ein Cultus von großer Verbreitung, da das Mittelmeer mit seinem lebhaften Völkerverkehre und den zahlreichen griechischen Pflanzstädten seine Götter und Sagen überhaupt in die verschiedensten Richtungen zu verbreiten pflegte. Immer ist Leukothea vorzugsweise die hülfreiche Göttin zur See geblieben, obwohl ihre Pflege des Bacchuskindes und die 473 Gleichstellung mit der Eileithyia und Mater Matuta vermuthen lassen daß sie zugleich für Frauen die Bedeutung einer Entbindungsgöttin und der Kinderpflege hatte. Im Cultus scheinen die Leiden und die Verwandlungen, von welchen die Fabel erzählt, der Tod des Kindes, die Verzweiflung der Mutter, die Errettung und Erhöhung von beiden nach herkömmlicher Weise zu theils düstern theils heiteren Gebräuchen Anlaß gegeben zu habenDaher die Inoklage in Elea und flebilis Ino b. Horat. A. P. 123, da sie namentlich durch Euripides zu einer wahren Jammergestalt geworden war. Vgl. die Schilderungen b. Stat. Silv. 1, 2, 179, Theb. 9, 330. 401 und die Andeutungen b. Paus. 2, 2, 1, Philostr. Her. 19 p. 325, Imag. 2, 16, Plut. Thes. 25.; vielleicht weil der Volksglaube von jeher dem Wasser und seinen Göttern eine finstere und tückische Natur, welche Kinder und Menschenleben als Opfer fordert, aber auch die Kraft der Heiligung und Vergeistigung zugeschrieben hat. Die Aufnahme des Kindes und der Mutter in die Mitte der übrigen Seegötter war in der bildlichen Ausstattung des isthmischen Gottesdienstes sogar zur Hauptsache gewordenDas characteristische Attribut der Ino war nach Clem. Protr. p. 50 jene Kopfbinde (κρήδεμνον) durch welche sie den Odysseus rettet. Die s. g. Ino Leukothea in München ist neuerdings richtiger für eine Ge Kurotrophos erklärt worden.. Namentlich erschien Palaemon gewöhnlich als wunderschöner Knabe, welcher von einem Delphin oder auf dem Bücken des Meeres oder auf den Armen der Mutter zu dem Meeresherrscher Poseidon getragen wurde, dem er lieblich entgegenlächelte, wie Poseidon ihn mit väterlicher Milde an seinem Busen aufnahm, in seiner Umgebung Amphitrite und Thalassa mit der jüngst gebornen Aphrodite und Galene und der Chor der Nereiden und der Tritonen.


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