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i. Winde und Wolken.
Das luftige Geschlecht der Winde hat sich weder in eine Genealogie fügen noch an einen und denselben Ort binden wollen. Genealogisch werden die vier Hauptwinde, Boreas Notos Zephyros und Euros (seltner Argestes), und Homer weiß blos von diesen, vom Astraeos und der Eos abgeleitet, s. oben S. 343. Die heftigen Stoßwinde dagegen, deren Einfluß man vorzüglich auf der See empfand und als Harpyien personificirte, gehören zum Geschlechte des Thaumas und der Elektra (Hesiod th. 265), endlich die bösen Wirbelwinde zu dem des Typhon. Sie toben, sagt Hesiod th. 869 ff. entweder über das Meer hin und wehe den Schiffern die in ihre Sturmlinie gerathen! Oder sie blasen über die weite Erde und verwüsten die grünenden Fluren, indem sie Alles mit Staub und aufgewühltem Unrath überschüttenVgl. Soph. Antig. 418 ff., wo solch ein Wirbelwind (τυφὼς) beschrieben wird, und die Schilderung des ἐκνεφίας b. Plin. 2, 131.. Oertlich aber wurde die Heimath der Winde je nach dem Horizont der Sage oder der Richtung in welcher sie blasen im Norden oder im Süden, auf Bergen oder auf Inseln oder in den Höhlungen der Erde gedacht. Ganz vorzugsweise ist aber Thrakien das Land der Winde, zumal der heftigeren, das rauhe Land der nördlichen Gebirgszüge, wo deshalb auch Ares heimisch ist (S. 251). Bei Homer hat selbst Zephyros seine Höhle in Thrakien, in welcher Iris ihn aufsucht als Achill der Winde bei der Bestattung des Patroklus bedarf. Die übrigen Winde schmausen gerade bei ihm, denn das ist eine stehende Eigentümlichkeit dieses Geschlechtes daß es immer wie in Saus und Braus lebt. Da eilen Nordwind und Südwind mit lautem Toben und dichtem Gewölk über das Meer an den Hellespont, blasen die ganze Nacht in die Gluth des Scheiterhaufens und kehren mit der Morgenröthe zurück nach Thrakien, (Il. 23, 192–230). Sonst wird gewöhnlich das mythische Gebirge der Rhipaeen in der nächtlichen Gegend des hohen Nordens als die Heimath der stärksten Winde genannt, die dort in Klüften und Schluchten hausen, so genannt von den ῥιπαῖς ἀνέμων, namentlich von der ῥιπὴ αἰϑρηγενέος Βορέαο, des Königs der Winde weil er der stärkste von allen istῥιπὴ ist ὁρμή, φορά, βολή, daher es von geworfenen Steinen, vom Feuer, von den Strahlen der Gestirne gebraucht wird, insbesondere aber von Winden Il. 15, 171, Pind. 9, 48 u. A. Daher die ῥιπαῖα ὄρη, das Gebiet der Nacht und des Nordsturms, hinter welchem die Hyperboreer wohnen, s. Plin. 4, 88 u. 7, 10, Schol. Soph. O. C. 1248. Namentlich ist dort die Höhle des Boreas, ἑπτάμυχον Βορέαο σπέος, Kallim. Del. 65. Βορέας ist vermuthlich Ὀρέας mit dem Digamma, also Bergwind.. Dort hat Boreas seine Königsburg, wohin er die attische 370 Oreithyia entführt. Auf den schönen Vasenbildern attischen Ursprungs, die diesen Raub darstellen, erscheint er mit großen Flügeln, langem struppigem Haar, wildem Blicke und einem Strahlenkranze auf dem HaupteWeil er αἰϑρηγενὴς ist oder αἰϑρηγενέτὴς, Od. 5, 296. Vgl. Hesiod th. 379 αἰψηροκέλευϑος, Ibyk. fr. 1 ὑπὸ στεροπᾶς φλέγων Θρηίκιος Βορέας.; auf einem Bilde am Kasten des Kypselos liefen seine Beine in Schlangenschwänze aus, was an die Giganten und an Typhoeus erinnert. Furchtbar ist sein Toben, wenn er aus seinen thrakischen Schluchten hervorstürzt und sich heulend über das Meer oder in die Berge und Wälder wirft, Alles umdüsternd und aufwühlend, wie die Dichter dieses in prächtigen Schilderungen ausführenOd. 9, 67, Hes. O. D. 505 ff. 552 ff., Soph. Antig. 583 ff., Ovid M. 6, 691 ff., Lucan 1, 389 ff., Sil. Ital. 4, 244.. Aber auch der Südwind, Νότος, galt für einen sehr mächtigen und gefährlichen Wind, wenn er im Winter mit sehr heftigen Stürmen und Regengüssen das Meer unschiffbar machte und in dichte Finsterniß gehüllt einherrauschteOd. 3, 295; 12, 287, Hes. O. D. 675, Horat. Od. 1, 3, 14; 28, 21, Ovid M. 1, 264, Lucan 1, 498.. Am fürchterlichsten sind sie aber wenn sie bei entgegengesetzter Bahn auf einander treffen, besonders Nordwind und Südwind, die dann wie zwei wilde Kämpfer ihren Strauß ausfechten, mit furchtbarer Empörung der Wogen und Wälder und mit entsetzlicher Beschädigung aller menschlichen WerkeOd. 5, 295, Stat. Theb. 11, 114, Sil. Ital. 7, 569 ff.. Der mildeste von allen ist Zephyros, der Bote des Frühlings, der bevorzugte Geliebte der Chloris, der Reifer der Saaten, den man deshalb wie einen befruchtenden Gott verehrte, der Wind welcher im elysischen Gefilde und in den Gärten des Phaeakenkönigs Alkinoos ewige Kühlung und ewige Reife spendetOd. 4, 567; 7, 114, Bacchylides Anthol. Pal. 6, 53 als Inschrift für eine Capelle τῷ πάντων ἀνέμων πιοτάτῳ Ζεφύρῳ.. Die übrigen Winde und wie man sie sich bildlich dachte lernt man am besten durch den Thurm der Winde in Athen kennen, an welchem acht Windgötter mit einer ihrer Natur entsprechenden Characteristik abgebildet sindΒορέας, Καικίας, Ἀπηλιώτης, Εὔρος d. i. der ausdörrende S. O von εὔω αὔω, Νότος d. i. der feuchte S, Αἲψ der feuchte, netzende S. W von λιβ, daher Λιβύη das Land woher er weht, Ζέφυρος, Σκίρων. Vgl. Müller Handb. § 501 u. Millin G. M. t. 75–77.. Neben den 371 männlichen gab es aber auch weibliche Winde, wie Aeolos sechs Söhne und sechs Töchter hat, Personificationen der zarteren Luftzüge, ἀῆται, ϑυῖαι, aurae, wie sie bei den Dichtern und auf den Bildwerken nicht selten vorkommen, auf den letzteren in der Gestalt von weiblichen Figuren mit segelartig über dem Haupte gebauschten Tüchern und GewändernAurae velificantes sua veste, Plin. 36, 29. Aehnliche Gestalten sieht man auf Schwänen in die Luft gehoben, s. Gerhard D. u. Forsch. 1858 t. 119, 2; 120, 3, O. Jahn S. 241–44. Θυῖα T. des Kephissos bei Delphi Herod. 7, 178.. Obwohl neben der menschlichen Gestalt als altes Bild für die Art der Winde auch das der galoppirenden Rosse herkömmlich war, wie nach Il. 16, 150 Zephyr mit der Harpyie Podarge (Weißfuß) auf der Okeanoswiese die beiden windesschnellen Rosse des Achill Xanthos und Balios (den Fuchs und den Bunten) zeugte und nach Il. 20, 224 Boreas in der Gestalt eines Rosses mit dunkler Mähne mit den Stuten des Erichthonios zwölf Füllen zeugte, welche über die Kornfelder ohne ihre Halme zu knicken und über die Spitzen der schäumenden Meereswogen dahinliefenMan glaubte auf Kreta und in Lusitanien daß die Stuten zur Brunstzeit vom Winde geschwängert werden könnten, Aristot. H. A. 6, 18, Varro r. r. 2, 1, 9, Colum. 6, 27, 3, Iustin 44, 3, Plin. 8, 166, Sil. Ital. 3, 379. Vgl. Liebrecht z. Gervas. otia imper. 69.. Ja die Winde galten hin und wieder für das Beseelende überhaupt, denn das Wehende, der Hauch der Luft ist nicht selten ein Bild des Geistigen, eine Ideenverbindung welche auch die alten Sprachen andeuten; daher Sophokles Antig. 354 von einem ἠνεμόεν φρόνημα der Menschen sprichtἄνεμος ist = animus, goth. anan i. e. spirare, ventus der Wehende skr. vâju von va, goth. vaian. Ennius gebrauchte anima für Luft.. So erklärt sich der Cultus der Tritopatoren in Athen, kosmogonischer Windgötter von denen man die ersten Menschen und allen Kindersegen ableiteteSuidas v. Τριτοπάτορες, Lobeck Agl. p. 754 sq., sammt der phrygischen Sage (Et. M. Ἰκόνιον), wo nach der Deukalionischen Fluth Prometheus und Athena aus Erde neue Menschen bilden, denen die Winde dann den Geist einblasen. Bei solchem Glauben und dem vielseitigen Einfluß der Winde auf das Klima, den Ackerbau, die Schifffahrt ist es sehr natürlich daß sie an vielen Orten Gegenstand eines förmlichen Gottesdienstes wurden, vorzüglich Boreas, welchem zu Athen Megalopolis und Thurii Altäre gestiftet und Opfer dargebracht wurdenPaus. 8, 36, 4, Aelian V. H. 12, 61, Hesych v. βορεασμοί. Vgl. Xenoph. Anab. 4, 5, 4.. Namentlich gab die 372 Schifffahrt häufige Veranlassung zu religiösen Gebräuchen, durch welche sie erregt oder beschwichtigt werden sollten, in älterer Zeit wohl gar durch Menschenopfer, später durch die von Pferden oder Eselnἀνεμώτης ὄνος in Tarent, Hesych. Ein Pferd wurde auf dem Taygetos geopfert, Fest. p. 181. Vgl. Herod. 7, 178, Virg. A. 2, 116, Serv. A. 3, 131. Simonides dichtete nach einer stürmischen Fahrt einen H. auf den Wind, p. 48 ed. Schneidew.. Auch hatte man sowohl in Griechenland als in Italien und bei andern Völkern eigene Beschwörungsformeln (ἐπωδαί) die man von der Medea, in Sicilien von dem bekannten Philosophen Empedokles ableiteteHes. ἀνεμοκοῖται, vgl. P. 2, 12, 1; 34, 3 und über Empedokles κωλυσανέμας Diog. L. 8, 59. 60. Auch der Hagel und schädliche Nebel wurden durch allerlei abergläubische Gebräuche beschworen. Es gab für diesen Zweck eigne χαλαζοφύλακες, Plut. Symp. Qu. 7, 2, 2, Seneca Qu. nat. 4, 6. Vgl. Welcker kl. Schr. 3, 57–63..
Endlich die Wolken, die mit den Winden aufs Engste verbunden sind und in der griechischen Mythologie unter sehr verschiedenen Bildern vorkommen wie man sie im Culte der himmlischen Götter häufig antrifft, vorzüglich in dem des Zeus und der Athena, auch in vielen landschaftlichen Sagen, wie in der vom Ixion, vom Athamas, vom Perseus, vom Bellerophon. Bald wird das dunkle Gewölk der ursprünglichen Finsterniß geschildert die auf dem Wasser ruht (Graeen und Gorgonen) und aus welchem sich die Ströme des Anfangs ergießen (Styx), bald das Sturm- und Donnergewölk welches Zeus und Athena wie ein Schild tragen oder welches wie ein geflügeltes Quellenpferd vor dem Donnerwagen des Zeus geht oder den Eindruck von Giganten und Typhonen der Luft machtLucret. 4, 136, Gell. N. A. 19, 1, 3, Paus. 8, 29, 2. In der Gegend von Antiochien erschien der Boreas, hier Παγράς, wie ein Gigant, Histor. Gr. fr. 4 p. 469, Aristot. op. p. 973 ed. Bekk. Aeschylos sagt sogar vom Zephyr Ζεφύρου γίγαντος αὔρα Agam. 692.. Oder die Wolke gebiert auf der Höhe des Gebirgs den befruchtenden Gott des Gewölks und viele Geschlechter (Maia, die Plejaden), oder gewaltsam dahinstürmende Berg- und Waldströme (die Kentauren), oder sie erscheinen als milchspendende Kühe, stoßige Widder, hüpfende Ziegen, weidende Lämmer. Solche Bilder und Dichtungen muß man auch bei den Wolken des Aristophanes vor Augen haben, wo sie wie ein ganzer Chor von himmlischen Göttinnen auftreten. Gebirge und Gewässer sind ihre Wiege, der Olymp mit seinen heiligen schneebedeckten Gipfeln, die Gärten des Vaters Okeanos wo die Wolken mit den Nymphen zu tanzen pflegen, die Strömungen 373 des Nil wo sie mit goldenen Kannen Wasser schöpfen, der Maeotische See oder die schneebedeckte Felskuppe des Mimas. Und nun kommen sie selbst herangezogen, die träufelnden Göttinnen, indem sie den feuchten Leib am Himmel schwebend bewegen zu den dichtbewaldeten Gipfeln der Berge, von denen sie auf die frischbenetzten Thalgründe und die blühenden Aecker der Menschen hinabschauen und auf die rauschenden Strömungen göttlicher Flüsse und das tief brausende, das tosende Meer. Ueber ihnen leuchtet das Auge des Aethers in ewig strahlendem Glanze.