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Müssen gewisse Wasser jährlich einen Todten haben, und darf derselbe vor dem dritten Tag nicht herausgezogen werden?

Auch das ist eine menschliche Thorheit, daß man von manchem Fluß oder Teich glaubt, er müsse jährlich einen Todten haben. Man denkt, so ein Wasser reisse den Menschen mit Gewalt an sich, und lasse ihn nicht wieder fahren; Es werde unruhig und mache ein Geräusch, wenn es lange keinen Todten gehabt habe. Dieser Aberglaube ist vermuthlich daher entstanden, weil man angemerkt hat, daß in einigen Flüssen und Teichen, mehr Leute ertrinken als in andern; oder daß dieß zu einer gewissen Jahrszeit geschieht. Allein dieß läßt sich leicht erklären. Ein Fluß hat bisweilen betrügliche Stellen, ungewöhnliche Tiefen, und kleine Sandbänke, die in einem andern nicht angetroffen werden; und wird daher dem Abergläubischen verdächtig. Oder er ist besonders fischreich, so daß viele sich auf demselben beschäftigen; er hat steile Ufer u.s.w. natürlich, daß dann mehr Menschn in demselben umkommen, als in einem andern, wo das nicht ist. Im Frühjahr, wo die Menschen anfangen, das Wasser zu befahren, aus den Teichen Wasser zum Blaichen u. dgl. zu holen, können allerdings mehr ums Leben kommen, als in einer andern Jahreszeit. Der Mensch kann auch deswegen im Wasser umkommen, weil er durch das frühere Erkalten der Füsse, und daraus entstehende starke Zusammenziehung der Gefässe einen Schlag oder doch den Schwindel bekommen kann. Wer sich vorher durch Gehen erhitzt hat, und plötzlich ins Wasser geht, dem können seine Nerven durch die plötzliche Abwechslung der Hitze und Kälte leicht erstarren; er bekommt alsdenn einen Krampf und muß ertrinken. In einem Fluß, wo viele zu baden pflegen, ertrinken mehr, als in einem andern wo das nicht ist. Mehr Vorsichtigkeit, und es werden in dem Fluß oder Teich nicht mehr ertrinken, als in dem andern. Das ein im Wasser ums Leben gekommener Mensch nach etlichen Tagen in die Höhe kommt, und auf dem Wasser schwimmt, ist eine bekannte Sache. Abergläubische sehen es als ein Wunder an, und schreiben dem Wasser, wer weiß was für eine geheime Kraft zu, einen Menschen nach etlichen Tagen wieder von sich zu stossen. Aber diese Erscheinung ist ganz natürlich, und läßt sich leicht erklären. Der menschliche Körper hat, wie schon gesagt, mit dem Wasser beinahe einerlei Schwere, weil das Wasser, welches er aus der Stelle treibt, nicht viel schwerer ist, als er selbst; daher er auch, wenn er im Wasser liegt, nur sehr wenig wiegt. Wenn nun der menschliche Körper einige Zeit im Wasser gelegen hat, so fängt er an in Fäulnis überzugehen, folglich zu schwellen, so daß er mehr Wasser aus der Stelle treibt als vorher, folglich leichter wird als das Wasser, in die Höhe kommt, und oben schwimmt, wenn er auch bisher auf dem Grund gelegen hatte. Dieß ist der Fall bei den Ertrunkenen; und man sieht daraus schon, wie sehr unrichtig die Meinung ist, da man denkt, der todte Körper dürfe vor dem dritten Tag nicht aus dem Wasser gezogen werden, und wer das thue, der ertrinke bald selbst; denn das Wasser räche sich an ihm. Mancher ist durch dieses Vorurtheil abgehalten worden, seinen in Todesnoth sich befindenden Nächsten zu retten, da er es wohl gekonnt und gethan haben würde, wenn er eben dadurch nicht wär abgehalten worden: Mancher, der es so sehr verdient hätte, gerettet zu werden, hat dadurch das Leben verlohren, das für viele schätzbar war. Kinder und Gatten klagten lange noch um den Geliebten, denn der Abergläubische aus jenem thörigten Vorurtheil dem Tode überließ, und müssen nun ihr Leben in Kummer und Elend verbringen. Ach, das Leben eines Menschen ist selbst in den Augen Gottes theuer geachtet; wie kann der, der es einem seiner Brüder nicht erhielt, ob er wohl gekonnt hätte, ein gutes Gewisssen behalten, und ohne Graus an die Ewigkeit denken, wo der von ihm im Tode verlassene mit ihm vor demselben Richter erscheint.


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