Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Tagsgeschichte eines Abergläubischen.

Deuchter war nach G. zum hochzeitlichen Mahl geladen. Er liebte Mahlzeiten und Lust. Kaum warf die Sonne ihre ersten Strahlen durch sein Fenster; so rafte er sich auf, stattlich sich zu kleiden. Heiter war der Himmel, und der Vögel Gesang erfüllte die Luft. Alles verkündigte einen Freudenvollen Tag. Noch ehe er das Haus verließ, sagte die alte Mutter, die schon vom Spinnrad aufgestanden war, ihm einen guten Morgen. Wen des Morgens eine alte, spinnende alte Frau grüßt, dem begegnet den Tag über Unglück; aber eine Mutter kann ja kein Unglück bringen, dachte Deuchter, und gieng ohne den Umweg zu machen, den man bei solchen Anzeigen sonst wohl zu nehmen pflegt. Es hätte ihm ja auch ein Priester, oder eine Jungfer begegnen können, ihm Unglück zu verkündigen: Wie viel Umwege hätte er machen müssen, und wenn würde er an Ort und Stelle gekommen seyn? – Aber, o Himmel, ihm begegnete eine Heerde Schweine, die der Hirt eben zu Weide trieb. Du wirst also in dem Hause nicht willkommen seyn, dachte er, wohin man dich geladen hat, so willkommen wie das Schwein im Judentempel? Aber du bist einmal auf dem Wege; umkehren willst du nicht, und dein Unglück vergrössern. Die Heerde war vorüber, und, in Betrachtungen verlohren hatte D. nicht bemerkt, daß die Kühe ihm nahe gekommen waren, die der starke Hirte vor sich daher trieb. Jetzt stand er still, unentschlossen, ob er weiter gehen, oder auf heute ungenossen die Lust vorbei lassen sollte. Kühe bedeuten nie was guts, wem sie begegnen, und man hat ja Beispiele! Aber o Schicksal, ich will Dich ermüden, ich will gehen und sehen, was du über mich verhängt hast!

Sein Weg führte ihn durch einen Wald; er hatte ihn noch nicht erreicht, da sprang ein Hase und hinter her ein Wiesel, ihm quer über den Weg. »Ein Unglücksbote über den andern; hier zwei auf einmal. Nun, das wird gut werden! Man hat es ja erfahren, daß es nie gut war, wenn der Haase erschien. Wie mancher würde seinem Unglück entgangen seyn, wenn er darauf geachtet hätte, und zurückgekehrt wär. Aber ich will das nicht, geh es wie es gehe. Es könnte zwar seyn, daß der Raubvogel da, in dessen Klauen der junge Hase zappelt, den alten aufgeschreckt und den Wiesel dadurch in Furcht gesetzt hätte, daß sie gerade vor mir übersprangen; es könnte seyn: aber ich will gewiß gehen, will einen andern Weg nehmen, das Unglück abzuwenden, das mir auf heute bevorsteht – die alten Regeln sind nicht zu verachten!« Und damit er recht sicher gehen möchte, legte Deuchter zwei Strohhalmen kreuzweis übereinander, und gieng darüber nach dem andern Ende des Waldes hin; denn er wollte gern ein Zeuge der Freude seyn. Er war nicht lange darinn, als ein Fuchs schnell an ihm vorbei sprang. Ha, Ränke, Ränke rief er, laurt nur, ich habe manchen – gut, daß ich's weiß. Ich will mich fassen, und kommt nur! Dort läuft ein Wolf, ich fürchte mich nicht, verkündigt er mir doch kein Unglück. Mögen andre vor ihm heiser werden, oder die Stimme verliehren, ich behalte sie, und will den abführen, der mir Schlingen legt. Nun dürft ich nur noch einen Hirsch, oder einen Bär sehen, um alle die guten Zeichen zu haben, die für den Tag Glück anzeigen. Fasse Muth Deuchter, und laß dich nicht irren! Unter diesen Gedanken war D. durch den Wald, und dem Dorf nahe gekommen, dahin er seinen Stab richtete. Hier aber begegneten ihm die Schaafe. Wie froh war Deuchter die Friedensboten zu sehen. Hier ist Widerbruch, dachte er, was wird überwiegen: Unglück und Ränke; oder Friede und Willkommen seyn. Fasse dich Deuchter, es noch nicht alles verlohren, du mußt dich in die Zeit schicken.

Ihm schallten Trompeten entgegen, und laute Freude, da er zum hochzeitlichen Hause kam. Man geberdete sich höflich, scharrte mit den Füssen, und freuete sich, daß Herr Deuchter die Ehre erwiesen, und bei dem Gelage wolle gegenwärtig seyn. Der Trauungsbrauch war vollendet, und man setzte sich an die wohlgeschmückte Tafel hin; als die Hausfrau den Bedienten einen Wink gab, und man anfieng, die Tafel abzudecken. Zugleich erkundigte sie sich, ob die Magd die Eierschalen zerbrochen habe: Dann setzte sie hinzu, die Hexen sollen an der Mahlzeit keinen Theil haben! Wer weiß, wo die vielen Fieber jetzt herkommen? Man zerbricht die Eierschalen nicht! Was wird noch aus der Welt werden?! Sie hatte bemerkt, daß 13 Personen bei Tische wären, von welchen, wie sie glaubte, der eine ohnfehlbar sterben würde, wenn sie mit einander ässen. Eins der Frauenzimmer war darüber so erschrocken, daß sie aufsprang, und aus der Stube laufen wollte. Der dicke Ohmentrink aber bemerkte, daß, da eine schwangere Person gegenwärtig sey, eigentlich 14 bei Tische wären, und es also nichts zu bedeuten habe; sondern vielmehr einer würde gebohren werden. Sie blieb, man lachte, und die vorige Anordnung wurde beibehalten. Ohne diesen Spaß, wär nicht nur das Vergnügen der Gesellschaft gestört, sondern vielleicht die Hälfte der anwesenden Frauenzimmer aus – Einbildung krank geworden. Hier fiel ein neuer Fehler ein. Man hatte vergessen, da der Tisch gedeckt wurde, das Brod zuerst darauf zu legen, und in dessen Ermangelung einen Zipfel vom Tischtuch überzuschlagen: Denn man betrachtet das Brod gemeiniglich als etwas heiliges, und hält es für Sünde, wenn man auch nur unversehens ein Stückchen auf die Erde fallen läßt. Man glaubt daher vielleicht auch, daß alles folgende, was noch auf den Tisch soll gesetzt werden, desto gesegneter seyn werde, wenn nur erst das Brod auf demselben liege. Da es aufgetragen war, schnitt O. es zuerst an. Ha sie haben heut gelogen, rief die Wirthin, und alle lachten laut. Von dem der auffallend lügt, sagt man, er schneide mit dem grossen Messer auf; von einem andern, der lüge, daß die Balken brechen möchten. Durch ähnlichen Sprichwörtlichen Gebrauch ist auch wohl jene Meinung vom ungleichen Brodschneiden entstanden.

Frau Verwalterinn hub darauf der Pfarrer zu der Wirthin an, glauben sie es wirklich, daß einer von den 13 stirbt, die an einem Tisch essen? Wenn sie nun diese Gesellschaft in Hälften getheilt hätten; so hätten hier 6, und dort 7 gesessen, und von der Zahl 7 glaubt man noch mehr böses als von 13. Es mag freilich Beispiele geben, daß von 13 Gästen einer gestorben ist; denn darunter pflegt wohl ein Schwacher oder Alter zu seyn; würde er aber nicht den Sold der Sterblichkeit haben bezahlen müssen, wenn er auch nicht unter dieser Zahl gewesen wäre? Oder legte vielleicht die Unmässigkeit, welcher er sich dießmal überließ, zu seinem Tod den Grund? Ich war vor einigen Jahren in einer Gesellschaft, wo wie ich bemerkte, 13 miteinander assen; sie leben alle noch, und sind gesund. Die Zahl kann bei Gastmahlen so wenig Wirkung haben, als in andern Fällen. Würde man dadurch nicht Gott von dem alles, auch der Tod abhängt, seine Macht nehmen wollen, und sie dem Menschen geben? Aber wissen sie denn nicht, sagte hierauf die Wirthin, daß, da der Heiland das Osterlamm aß, 13 bei Tische waren, von denen bald hernach der eine, nämlich Judas starb? Der Pfarrer erschrack, daß man die Meinung aus der Bibel beweisen wolle; aber er erholte sich, und antwortete: Von den 13, welche damals mit einander aßen starb bald darauf auch der Heiland selbst, also zwei. Und hatten diese 13 nicht schon öfters beisammen gegessen? folglich hätte auch vorher schon einer von ihnen sterben müssen, wenn diese Anzahl dieß mit sich brächte. Der reiche Mann aß allein und starb in derselben Nacht – wer allein ist, der stirbt?

Alle schwiegen. Ohmentrink nahm das Wort und sagte: Wir wollen uns darüber die Köpfe nicht zerbrechen; sondern vergnügt seyn, und es uns wohl schmecken lassen. Man war damit zufrieden, und wollte zu Werke gehen.

Deuchter hatte bisher kein Wort geredt, jetzt bemerkt er, daß sein Messer auf dem Rücken gelegen hatte, und das jenes des Pfarrers die Spitze gegen ihn kehre. Ja, ja, der Tod ruhet nicht, dachte er, er will einen von uns haben. Heute ist ein unglücklicher Tag, und so gut der Anfang ist, so schlecht kann das Ende werden; wer weiß was passiret! Man hatte seine Verwirrung gemerkt, und fragte ihn darüber. Er suchte einen Vorwand; denn er fürchtete des Pfarrers Widerspruch, und da er das Messer noch in den Händen hielt, so legte er es kreuzweis über die Gabel. Die Wirthin bemerkte das, und bat ihn, das Kreuz auseinander zu legen; weil es aber einmal geschehen sey, ihr eine Messerspitze voll Salz hinzureichen, um das Unglück abzuwenden, das sonst ohnfehlbar darauf erfolgen würde. Deuchter wollte, aber er stieß unvorsichtig das Salzfaß um, und erschrack darüber so, daß sein Löffel auf die Erde fiel. Wenn sie ein Jude wären, sagte Ohmentrink; so dürften sie nun nicht essen. Sie sind ein unglücklicher Mann, sagte die Wirthin, mir stirbt der Bissen im Munde. Gott bewahre uns, daß das Unglück nicht über unser Haus komme, was sie mitgebracht haben. Deuchter war ausser Fassung, und die übrige Gesellschaft blieb stumm. Sonderbar brach endlich der Pfarrer hervor, andre segnen mit der Figur des Kreuzes, wollen damit das Böse ab- und das Gute herbei führen: Sie aber, Frau Verwalterin, halten es für einen Unglücksvorboten? Und wie das Umwerfen des Salzfasses Unglück bringen könne, das begreif ich nicht. »Erinnerst du dich Vater, daß noch demselben Nachmittag, da Andreas das Salz auf den Tisch schüttete, der Taubenschlag einfiel, und den andern Tag die Schecke starb?« – sagte die Wirthin zu ihrem Mann. Der Taubenschlag erwiderte dieser, wär nicht gefallen, wenn wir ihn unterstützt hätten, und er ist gewiß ohne Zuthun des Salzes gefallen, das A. auf den Tisch warf. Indem bekam das Kind von der Mutter einen Schlag auf die Hand: Es hatte die Gabel in die Höhe gehalten, und vorher schon mit dem Vorderfinger hochgezeigt, wodurch beidemal ein Engel im Himmel erstochen worden. Sie zerriß jetzt das Brustbein von einem Geflügel, worüber ein anwesender junger Mann, der von Aberglauben nicht frei war, erblaßte: Sie bemerkte es, und urtheilte, daß er verliebt sey, und dieß für keine gute Anzeige seiner Sache halten müsse. Kaum war dieses geschehen, da sprang ein Glas dicht neben der Wirthin, sie erschrack sehr, aber Ohmentrink sagte, daß er sich dadurch nicht werde irre machen lassen. Indem trat ein Fremder herein, und verlangte den Hausvater zu sprechen. Das ist der Mann, den ich gestern Abend im Lichte sah, sagte die Wirthin; und die Katze putzte sich, ich dachte es wohl, daß ein Fremder kommen würde: Ja, ja, es schlägt nicht fehl, wenn die Splitter sich an den Dielen lösen; wie seit einiger Zeit bei uns, und die Hexen so auf dem Hof oder Hause schreien; so kommen immer Fremde. Geh nur und höre, was er will. Er will Getraide handeln, Kind! Das wußt ich vorher, antwortete sie, unsre Lampe hat einige Abende Geld gebrennt. Unsre Lampe brennt oft Geld, sagte Ohmentrink, und wir kriegen nichts. So begann das Gespräch allmählig lauter zu werden. Deuchter erzählte, was ihm heute abentheurliches begegnet wär. Man sprach von Ahndungen, und unvermerkt gieng man zu Gespenstern über. Jeder hatte einen dahin einschlagenden Vorrath von Geschichten, mit deren Erzählung er sich hervordrängte, und der Abend floß geschwinder hinüber, als man geglaubt hatte. Der Pfarrer rauchte sein Pfeifchen, ohne ein Wort zu sagen. Deuchter trauete sich nicht allein zu Hause, und sagte, da er glücklich angekommen war, daß er in seinem Leben an diesen Tag denken wolle. Der Aberglaube ist überall. Er quält nicht nur den Menschenfeind; er drängt sich auch in den Freundekreis, und erfüllt alles mit Misvergnügen und Angst.

Dem Abergläubischen lacht der Himmel vergebens, ihm tönt dumpf der Vögelgesang in das Furcht gewöhnte Ohr. Der lächerliche Haaase verkümmert ihn den vortreflichsten Lebenstag. Er merkt darauf nicht, daß das ihm begegnende, zufällig und gewöhnlich sey. Der Hirt, den der frühe Morgen zu seiner Pflicht rief, treibt die Heerde zur Weide, ihm Unglück zu verkündigen. Die Erscheinung eines Schweins oder einer Kuh stimmt seine Vorsätze um, er unterläßt, was er längst zu thun vorhatte, und wird mit Unruhe erfüllt. Nur halb genießt er das Vergnügen, das die Vorsehung gütig ihm bestimmte. Das Schicksal mag ihm hold lächeln, ihm scheint es ungünstig; er fürchtet das schlimmste. Für ihn haben die Schönheiten der Natur keine Reize; alles ist ihm schröcklich. Ein sumsendes Insect, ein rauschendes Blatt ziehen seine Aufmerksamkeit mehr an, als der Baum, der in seiner Bütenpracht da steht. Vergebens durftet er ihm seine Wohlgerüche entgegen. Die Sagen alter Männer und Frauen, und ihre furchtbaren Erzählungen von dem, was sie einst erfuhren, sahen und hörten, gelten ihm mehr, als des Vernünftigen Belehrungen, und seine eigne Vernunft. Vergebens drängt diese sich unter den traurigen Ahndungsgedanken hervor, ihm, der Dinge Ursach zu zeigen; Er drückt sie nieder, und glaubt, was er immer glaubte, und was vor ihm andre (kluge Leute?) geglaubt haben. Auch der Anschein des Glücks, vermag die Trauer nicht zu verbannen, welche die Seele deckt. Das Freudengetümmel rührt ihn nicht. Hinter allem ist etwas verborgen, wofür man sich hüten muß. Freundschaft rührt ihn wenig! Wer könnte der Welt trauen: Ueberall umschweben ihn die scheußlichen Bilder, die der Aberglaube schuf. Er beklagt die Ungläubigen, die auf Vorbedeutungen nicht achten, daß sie ihrem Unglück entgegen laufen; er aber will sich hüten! Man muß ein wenig Mühe nicht achten, demselben auszuweichen. Wenn denn aber auch da List und Ränke ihm verkündigt werden: Nun da muß man sich fassen, und die Rathschläge des Schicksals abwarten.

Thörigtes Volk, das durch eigne Schuld unglücklich ist! Warum sucht ihr die Wege der Vorsehung zu entdecken, die vor euren Augen so tief im Dunkel liegen? Mitten in dem Freudengenuß erscheint dem Abergläubischen das schröcklichste, der Tod. Erinnern ihn etwa Alter und Schwachheiten so kräftig an das unvermeidliche Geschick, daß ihm die Hand sinkt, da er den ersten Bissen zum hungrigen Munde führt? nein, er hatte die Personen am Tische gezählt, und zu seinem Entsetzen bemerkt, daß die Todtenzahl herauskomme. Unter der Gesellschaft sitzt ein ohnmächtiger Greis, der seines Lebens keinen Augenblick sicher ist, und den man mehrmals schon todt sagte. Aber die Alten müssen, die Jungen können sterben, wer weiß welchen der Tod zuerst würgt? Die Einbildung und die daher entstehende Erwartung des Uebels schwächt des Abergläubischen Kräfte nach und nach, er ist daher oft krank. Er untergräbt seine Gesundheit, und eilt dem Grabe früher zu. Er genießt das gegenwärtige Gute nicht, weil er das künftige, wiewohl ungewisse und eingebildete Uebel, im voraus fürchtet.


 << zurück weiter >>