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Von den Träumen.

Die Seele ist immer thätig; sie wirkt auch da noch fort, wenn der Körper wie ohnmächtig auf dem Lager liegt. Wenn wir einschlafen; so hören unsre Sinne auf zu wirken, oder verliehren doch den beträchtlichsten Theil ihrer Stärke. Den Augenblick, wo wir aus dem wachenden Zustand in den schlafenden übergehen, bemerken wir nicht; unsre Empfindungen und Vorstellungen werden nach und nach, und ohne daß wir im Stande sind es zu bemerken, immer schwächer, und gehen endlich in Träume über. Die Einbildungskraft ist bei jedem Traum geschäftig, und setzt entweder die Vorstellungen fort, womit wir uns den Tag über beschäftigt haben, oder bringt neue hervor. Ohnstreitig richten die Träume sich nach dem Temperament, der Denkungsart, und nach dem, womit der Mensch beschäftigt zu seyn pflegt. Der Melancholische wird im Traum blutige Bilder sehen; der Sanguinische auf bunten Wiesen schwärmen; der Cholerische Hälse brechen; der Phlegmatische ein recht weiches Canapee finden. Der Geizige wird von dem großen Loos in der Lotterie, von Geldheben, wenn er abergläubig ist; von einem Kasten voll Gold und Silber; der Hochmüthige von Ordensbändern, oder je nach dem der Stand ist – von einem Tressenkleide, silbernen Schnallen x. der Soldat von Gefahren, der Bergmann von haltigen Adern u.s.w. träumen; und der Hungrige ein Stück Brod sehen. Was wir den Tag über dachten und redeten, das bildet die Seele im Schlaf auf mannigfaltige Art aus, und macht dazu willkührliche Zusätze. In der Seele liegen tausend Dinge verborgen, deren wir uns nicht einmal bewußt sind. Die Seele, die im Schlaf von einem aufs andere, oft ohne Zusammenhang fort geht, führt sie wieder zurück, und wir träumen von etwas, davon wir die Veranlassung nicht entdecken können. Vor zehn Jahren sahen wir einen Mann, an dem uns etwas merkwürdig war. Seitdem dachten wir nicht wieder an ihn; aber das, was wir uns von ihm gemerkt hatten, ruhte in der Seele, und wir träumen einmal von ihm, ohne daß wir nur an ihn gedacht hatten. Die Seele kann auch im Traum Vorstellungen an einander ketten. Jener Mann hatte sehr langes Haar; heute sehen wir jemand, der es auch hat; und unsere Seele zeigt uns diesen und jenen im Traum. Wenn Schwäche, und Anlage zur Krankheit im Körper ist; so entstehen unregelmäßige Träume. ein gesunder träumt wenig, aber lebhaft und natürlich, und ist sich dessen bewußt, was er träumte. Die Seele wirkt im Traum oft desto freier, weil sie durch die Sinne: Gesicht, Geruch x. und durch äußere Gegenstände in ihren Betrachtungen nicht gestört wird. Wer sich den Tag durch müde gearbeitet hat, wird nur selten träumen, desto mehr und unordentlicher, der nichts that. Ein Unwissender und Abergläubischer wird im Traum durch den gehörnten Pferdefuß erschreckt werden; der Aufgeklärte nicht.

Schlaf und Träume sind unerkannte Wohlthaten Gottes. Jener erquickt den matten Leib, und giebt ihm neue Kraft. Diese stellen uns unsre geheimen Neigungen im Bilde vor, und entdecken uns die Anlage unsers Herzens. Der Aberglaube hat sie sich zu eigen gemacht, und herrscht durch sie. Es entsteht also die Frage: Können Träume etwas bedeuten? Sie bedeuten allerdings etwas; denn sie zeigen unsre wahre Denkungsart an, keineswegs aber das Zukünftige. Auf Gottes weiter Welt ist kein elenderes Geschöpf als ein Traumdeuter, der aus jedem seiner Träume, wenn er auch noch so abgeschmackt ist, etwas herausgrübeln will, und dazu jene betrügerischen Bücher zu Rathe zieht, die ihm die Zukunft aufdecken sollen. Ein solcher Sclave seiner Einbildungslraftr kann nicht ruhig oder fröhlich seyn, wenn diese es ihm verbietet. Ein böser, fürchterlicher Traum, wird man ihn daher beim Erwachen oft sagen hören; oder, das war einmal gut geträumt – was wird es bedeuten! Und je nach dem der Traum ist, je nach dem wird er den Kopf hängen, wenn andere um ihn her sich freuen; oder das gute begierig, wiewohl vergebens, erwarten, was ihm im Schlaf verkündigt wurde. Ist der Mensch, der ohne Ursach so oft traurig und so wenig freudig ist, nicht unweise? Wir müßten entweder außerordentliche Offenbahrungen Gottes bei den Träumen annehmen, oder sagen, daß die Seele beim schlafenden Zustande des Körpers geschickter sey, in die Zukunft zu sehen, wenn wir behaupten wollten, daß Träume was vorbedeutendes enthalten; beides aber können wir nicht annehmen. Vor Zeiten zwar machte Gott seinen Willen in Träumen und Gesichten seinem Volk bekannt; aber mit den Zeiten Christi und der Apostel hörte dieß auf. Wie könnte man jetzt von den Träumen noch etwas ähnliches glauben, da Gott seinen Willen nun nicht mehr auf außerordenliche Arten bekannt machen darf; weil alles, was geschieht, durch natürliche Mittel geschehen kann. Mancher Mensch träumt alle Nächte hindurch; sollte es ihm etwas bedeuten, so würde er täglich, neue und merkwürdige Begebenheiten erleben: aber wie mancher Träumer lebt das ganze Jahr zwischen seinen vier Wänden, und ihm begegnet nichts merkwürdigeres, als das heute etwa das Essen zu salzig ist, morgen gut schmeckt. – Sollten ihm darüber besondere Offenbahrungen gegeben werden? alles was uns begegnet, soll uns zum besten dienen, wenn wir brav leben: warum brauchen wir vorher zu wissen, was uns begegnen wird?

Wenn wir wachen: so können wir unsre Vernunft weit besser gebrauchen, als im Schlaf. Wir sehen den Zusammenhang der Dinge deutlich, machen von dem Vergangenen und Gegenwärtigen auf das Zukünftige Schlüsse. Wenn wir einschlafen; so wird deutliches Bewußtseyn, so werden diese Wirkungen der Vernunft gehemmt, und wir wissen unsern eigentlichen Zustand nicht mehr; wie könnte nun die Seele in solch einem Zustand das Zukünftige vorhersehen, da sie es nicht einmal beim wachen kann? Einbildung, und was ist ein Traum anders? kann doch nie Wahrheit seyn. Wir können nie etwas träumen, was wir nicht schon empfunden und gedacht hätten; wie könnten denn Träume die Zukunft enthüllen? Sie sind nicht Vorbedeutungen zukünftiger Begebenheiten; sondern Wiederholungen der vergangenen, wenn wir uns gleich der Ursach nicht deutlich erinnern können. Lehret etwa die Erfahrung, daß Träume gewiß zutreffen? O dann würde die Welt ein Schauplatz der abgschmacktesten Begebenheiten seyn; denn fast jeder Traum widerspricht den Regeln der Ordnung, nach welcher die Dinge erfolgen. Der Abergläubische vergißt tausend Träume, von denen keiner eintrifft; Trifft dann einmal der eine zu; so bleibt sein Satz richtig: Träume sind nicht zu verachten! Er dreht und deutet ihn so lange, bis er die Begebenheit darin findet, welche er für so wichtig hält, daß sie ihm in Traum soll verkündigt worden seyn. Wo ist je ein Traum nach allen seinen kleinen Umständen eingetroffen; und wo würde man den natürlichen Grund dazu nicht im Vorhergehenden gefunden haben, wenn man darüber gehörig gedacht hätte? Wenn etwas von einem Traum wahr wird; so ist es nur das, was füglich in der Welt geschehen kann, ohne daß dabei die Ordnung der Dinge gestöhrt wird. Treffen auch kleinere Nebenumstände ein; so liegt die Ursach darin, was wir im Vorhergehenden dachten; welches, weil es mit Zuziehung der Vernunft geschah, wirklich eintreffen kann. So wenig können wir sagen; Dieß hat so kommen müssen, weil wir es gleich dachten; so wenig können wir sagen; Dieß ist geschehen, weil wir es geträumt haben. Man hat sogar gewisse Regeln ausgedacht, nach welchen die Träume ausgelegt werden; und wer kennt nicht die dicken betrügerischen Bücher, die dazu Anweisung geben? So soll z.B. der Traum oft das Gegentheil von dem bedeuten, was er wirklich besagt. Wenn man im Traum eine Hochzeit in seiner Familie sieht; so soll dieß den Tod, und wenn man jemand sterben sieht, sein langes Leben bedeuten. Freilich hat man Beispiele, daß Träume ausserordentlich zu nennen seyn würden, wenn sie in aller Absicht die Probe bestünden? Maler hatte einen Bruder in B. der am hitzigen Fieber tödtlich krank lag; er wußte nichts davon: aber zu eben der Zeit, da die Krankheit seines Bruders am gefährlichsten war, träumt ihn, er gehe an einem ihm bekannten kleinen Fluß, der wider alles Erwarten die ganze Gegend tief unter Wasser gesetzt hatte. Auf demselben sieht er seinen Bruder in einem Kahn voller Ritzen in der augenscheinlichsten Lebensgefahr, der sich aber mit allen Kräften zu retten, und das Ufer zu erreichen sucht. Kläglich ruft er den am Ufer stehenden um Hülfe, dem es aber der hochangeschwollene Fluß unmöglich macht, dem Bruder zu helfen. Endlich gelingt es doch dem, der in Gefahr war, das Ufer zu erreichen; aber so entkräftet, daß ihm der Bruder kaum nach Hause führen kann. Kurz nachher meldet der in B. seine überstandene Krankheit; und man ersieht aus dem Schreiben, daß er an eben dem Tage in der größten Gefahr gewesen war, und der Arzt ihm das Leben abgesprochen, da dieser den Traum von ihm hatte. Maler versichert, daß er nichts weniger als eine Krankheit des Bruders vermuthet, und daß er vorher nicht von ihm geträumt habe. – Aber, was ist natürlicher, als daß ein Bruder, der, wie es hier der Fall war, in dem väterlichen Hause und unter anderm Geschwister lebt, an den entfernten öfters denkt; und daß in seiner Seele Eindrücke zurückbleiben, wenn von dem Befinden des Entfernten x. gesprochen wird? Traum und Erfüllung trafen, wie das so selten der Fall ist, hier einmal zusammen. Einem Engländer träumte, sein Gärtner grübe mitten in seinem hinter dem Hause gelegenen Garten ein tiefes Loch, um einen todten Körper zu begraben. Er erwachte darüber, und weckte auch seine Frau auf; versuchte auf ihr Zureden wieder einzuschlafen. Er wurde zum zweitenmal von demselben Traum aufgeweckt, wo er denn wirklich auf dem im Traum gesehenen Platz seinen Gärtner fand, der ein Loch machte, welches, wie er sagte, ein Gurkenbeet werden sollte. Er wollte wieder in sein Schlafzimmer gehen, als ihm eine Magd völlig angekleidet auf der Treppe begegnete, welche nach verschiedenen Fragen endlich gestand, daß der Gärtner ihr die Ehe versprochen und auch schon seit einiger Zeit, die Rechte eines Mannes genossen; und da sie die Folgen davon verspürt, endlich mit ihr verabredet habe, sie den Morgen früh zu Pferde nach einem nahgelegenen Ort zu führen, um sich mit ihr trauen zu lassen, und noch vor Tage, ehe jemand im Hause aufgestanden sey, wieder zurück zu kommen. Er befahl ihr, sich wieder zu Bette zu legen, und rettete sie dadurch von dem ewigen Lager im Gurkenbeet. Wenn diese Geschichte so wie sie hier erzählt ist, nach allen Umständen wahr wär; aber wer steht uns dafür? so würden Träume Begebenheiten anzeigen, und die Zukunft eröfnen können. Aber man weiß ja, aus was für Absichten, dergleichen Geschichten öfters ersonnen, und daß sie unwahr befunden werden, wenn man sie näher untersucht.

Ein Beamter in W. der an der Entkräftung viele Monathe krank lag, erwacht wenig Tage vor seinem Ende aus einem Schlummer, und sagt zu seinen, vor dem Bette stehenden Kindern, daß sein Schwager, der an einem vier Meilen weit entfernten Ort Pfarrer war, todt sey. Am andern Tage kommt ein Bote mit einem Brief, in welchem jene im Traum gesehene Begebenheit als wahr bestätigt wird. Man wußte nichts von der Krankheit des Pfarrers, und hatte daher das, was der Kranke sagte, für Eingebung der Phantasie gehalten. Kramer steht des Morgens auf, und sagt zu seiner Frau: Wir werden unsere Kinder verliehren; ich hatte sie im Traum auf den Armen und sahe sie plötzlich hinwegfallen, daß sie aus meinen Augen verschwanden. Was geschah? der Traum blieb unerfüllt! Und was folgt daraus? daß es zufällig sey, wenn einmal ein Traum eintrift. Einem Mann in B. der eben im Bette eingeschlummert ist, kommt es im Traum vor, als höre er eine Stimme rufen: Stehe auf, und rette dein Leben! er springt eiligst aus dem Bette, und geht in die Stube. Gleich darauf hört er etwas sehr stark in der Kammer niederfallen; und als er mit dem Licht hineingeht, sieht er zu seinem Erstaunen, daß der Balke an der Decke gebrochen ist, und das Bette zerschmettert hat, darin er noch kurz zuvor gelegen hatte. Die Stimme, die dieser Mann hörte, war weiter nichts, als eine Erinnerung seiner Seele, die so lebhaft war, daß er von aussen her zu höhren glaubte; steh auf, und rette dein Leben! denn der Balke muß wohl sehr schadhaft gewesen seyn, und davon gewisse Anzeigen gegeben haben. Sollte der Mann nicht öfters daran gedacht haben, daß der Balke, der wahrscheinlich schon etwas fallen ließ, oder knackte, einmal brechen werde? Sollte dieser Gedanke an eben dem Abend, da er sich in das Bette legte, welches unter dem schadhaften Holz stand, nicht besonders lebhaft gewesen seyn, so daß er bei der Stille der Nacht eine Stimme zu hören glaubte? Sollten nicht vielleicht laute Anzeigen vor dem wirklichen Einsturz vorhergegangen seyn, wovon sein treues Ohr ihm benachrichtigte? Kalbmann träumt, es beisse ihn ein Hund ins Bein; und schließt die Thüren zu, um recht sicher zu seyn; gießt aber seinem immer treuen Mops heissen Thee ins Ohr, der plötzlich aufspringt, und den Traum erfüllt. Unter Millionen Träumen trifft nur einer so zu, und es würde daher thörigt seyn, ihn als Beweis für die Meinung anzuführen, daß Träume Unglück oder Glück verkündigen, um so weniger, da Kalbmann nur vorsichtiger hätte seyn dürfen, um den schlafenden Mops nicht zu reitzen.

In P. träumte jemand, daß er von einem Löwen, der an der Kirche in Marmor ausgehauen stand, gebissen würde. Er belachte dieß, und als er den folgenden Tag vor demselben vorbeigieng, legte er die Hand in dessen Rachen, und sagte: Beiß zu! Allein ob ihn gleich der Löwe nicht biß; so fühlte er doch einen durchdringenden Schmerz und zog die Hand schnell zurück. Es hatte sich ein Scorpion in den Rachen des Löwen verkrochen, der ihn tödlich verwundete! Nur etwas mehr Bedachtsamkeit, oder weniger Verwegenheit, und der Traum wär, wie tausend andere, unerfüllt geblieben. Sehr richtig sagt jener biblische Lehrer: »Narren verlassen sich auf Träume. Wer auf Träume hält, der greift nach dem Schatten und will den Wind haschen. Träume sind nichts und machen doch einem schwere Gedanken. Träume betrügen viele Leute, und es fehlet denen, die darauf bauen.« Der Abergläubische aber sagt: Wenn du zum erstenmal in einem Hause schlafen sollst, so zähle die Balken, ehe du zu Bette gehest, und gieb acht, was dir dann träumt; denn das wird wahr.

Wer dem allen ohnerachtet seine Träume für Ankündiger künftiger Begebenheiten und seines Schicksals hält, der mag es; nur falle er andern durch Erzählungen derselben, oder gar durch Traumdeuten, nicht beschwerlich. Es ist schon darum nicht zu rathen, ohne Unterschied jedem seinen Traum zu erzählen, weil man dadurch seine Wünsche und seine Denkungsart am sichersten verräth. Was kann auch wohl daran gelegen seyn, oder was für Vergnügen kann es gewähren, Erzählungen von der Phantasie der Seele zu hören, in welchen oft so viel ungereimtes, widersprechendes und abgeschmacktes ist!


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