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Von der Einbildungskraft.

Wenn man etwas gewiß glaubt, es zu gewisser Zeit, hie oder da, zu fühlen, zu sehen, zu hören x. vermuthet; so bemerkt unser Gefühl, unser Ohr oder Auge, etwas, das würklich nicht da ist. Das Vermögen hiezu, nennen wir Einbildungskraft. Ohne die Einbildungskraft aber, würden wir immer nur das gegenwärtige denken, und hundert Dinge sehen können, die wir in eben dem Augenblick wieder vergessen würden, da unser Auge sich von denselben weg wendete: Sie ist also eine große Wohlthat. Der Mensch stellt sich nicht nur Dinge vor, die er gesehen x. hat; sondern auch solche, von welchen er nie einen sinnlichen Eindruck bekam. Wer hat je den Teufel mit Hörnern, Klauen, Bocksfüßen x. gesehen? Dem ohnerachtet hat man ihn so abgebildet. Die Nerven sind überhaupt die Werkzeuge unserer Empfindungen: Sie sind sehr feine Röhren, haben in dem Gehirn ihren Ursprung, und erhalten aus demselben eine überaus dünne und flüssige Feuchtigkeit, die von dem Blut abgesondert wird, und die man Nervensaft nennt. Durch diesen Saft wirken die Nerven, und erzeugen in der Seele Vorstellungen. Sie sind von dem Mark im Gehirn, durch den Körper ausgebreitet, und reichen bis unter die Oberhaut. Wenn daher der Körper irgendwo einen Eindruck empfängt; so werden die daselbst liegenden Nerven gerührt, deren Bewegung sich sogleich bis ins Hirn fortpflanzt, und in der Seele eine Vorstellung erzeugt. Dieß nennen wir fühlen. Wir werden von dem Gefühl, so wie vom Gesicht und Gehör getäuscht. Es darf in der Seele nur ein gewisser, fester Gedanke liegen, daß etwas geschehen könne; so wird jeder kleine Anlaß solche Eindrücke auf unsere Nerven machen, als die Sache, woran wir so stark denken, gemacht haben würde, wenn sie da gewesen wäre. »Hier ist es nicht richtig, ein Bär lagert sich in den Weg.« Unser Fuß stößt an ein im Wege sitzendes Huhn, wir glauben des Bären zottigtes Haar zu fühlen; es steht auf, wir laufen, und glauben, ein Gespenst gefühlt und gesehen zu haben. Unter andern gehen aus dem Mark im Gehirn ein Paar Nerven ab, welche man Gesichts- oder Sehnerven nennt. Die von jeder Sache zurückfallenden Lichtstrahlen mahlen das Bild (dessen was wir anschauen) im Auge verkleinert ab, welches auf die Nerven fällt, die im Auge wie eine schleimigte Haut ausgebreitet sind, und macht in demselben den Eindruck, welcher in das Gehirn fortgepflanzt wird, und die Seele zu dem Begrif von der Gestalt, Farbe x. des Gegenstandes veranlaßt. Dies nennt man sehen.

Daß sich aber unserm Auge ein Bild darstellen kann, was wirklich nicht vorhanden ist, wird man aus folgendem abnehmen können. Bei jedem andern Gegenstande werden unsere Sehnerven auf eine andere Art erschüttert. Eine andere Erschütterung geschieht, wenn wir einen Thurm sehen; eine andere, wenn wir einen Baum; eine andere wenn wir einen Menschen sehen u.s.w. folglich hängen die Begriffe der Seele, von den Eindrücken ab, welche das Gehirn empfängt. Wenn man aber seine Gedanken auf einen Gegenstand anhaltend richtet; so können unsere Sehnerven fast durch allso so gerührt werden, als es geschehen würde, wenn das, woran wir so stark denken, wirklich da wäre. Das Bild dessen, was wir schon in den Gedanken hatten, tritt gleichsam aus der Seele heraus, und stellt sich unserm Auge dar; und es kann daher etwas gesehen werden, was doch nicht da ist, ohnerachtet der, der es gesehen zu haben glaubt, durch keine Gegenvorstellungen, sich darin wird irren lassen. Erscheinungen sind also möglich; aber sie sind nicht das, wofür sie gehalten werden, sie sind nichts wirkliches; es sind Täuschungen der Sinne und der Einbildungskraft; nicht aber Bilder, die außer dem Menschen wirklich vorhanden sind. Man hat einen Menschen gesehen, sein Bild stellt sich so deutlich dar, als ob er vor mir stünde. Gleichwohl ist das der Mensch nicht selbst. Wer ein Gespenst zu sehen glaubt, kann daher nicht glauben, daß die Figur außer ihm wirklich so vorhanden sey, als sie sich ihm zeiget: es ist blos das Bild, das seine Seele sich mahlt. Sind nun zu der Zeit, da dieß geschieht, keine lebhaftere Vorstellungen in der Seele; so beschäftigt sie sich hiemit allein, und die Vorstellung wird immer deutlicher; dahingegen die Erscheinung verschwindet, wenn man die Gedanken von derselben abzieht. Die Vorstellung der Seele erneuert sich bey gewissen Gegenständen immer wieder. Man findet in einer Speise etwas ekelhaftes; so oft man die Speise sieht, empfindet man denselben Ekel, ohne, daß man glauben kann, man werde dasselbe wieder darin finden. So oft Glaubeleicht im finstern einen Baum erblickt, so oft übermannt ihn die Furcht, weil er ein Gespenst zu sehen glaubt. Auch das neue vermehrt die Einbildungskraft. Der eine Thorpfeiler ist weiß überstrichen; Ja, sagt Glaubeleicht, es war die weisse Frau.

In unserm Ohr, ist ein Fell ausgespannt, an dieses stoßt die in Bewegung gesetzte Luft, die Gehörnerven werden dadurch in Bewegung gesetzt, und so in der Seele Begriffe erzeugt. Dieß nennen wir hören. Aber wie oft wird etwas gehört, das jeder ruhige, kaltblütige – nicht gehört haben würde. Hier soll es nicht richtig seyn: Es knackt, fällt, winselt, heult, ruft bey Namen, steigt die Treppe auf und ab, schleppt Ketten, klopft an, und will die Thür aufmachen. Aber, weg mit dem Graus; ich will die Thür öfnen, und ohne Zittern bemerken, was da ist; und mich überzeugen, daß nichts da ist, nichts gehört werden kann! Je unordentlicher überhaupt die Verrichtungen des Körpers von statten gehen, je dicker das Blut ist; desto mehr Betrug des Gefühls, des Gesichts und Gehörs. Je reiner und ungestörter das Blut durch die Adern fließt, je furchtloser der Mann, je unbefleckter sein Gewissen ist; desto weniger wird er dem Betrug der Sinne unterliegen. Auch Beschäftigungen, Lebens- und Denkungsart tragen hiezu bei. Der Soldat im Lager hört schießen; der Furchtsame die Todtenuhr und Eule; der Geitzige Thüren aufbrechen; der Jäger das Wild; der Todtengräber Klocken läuten; der Habsüchtige das Geldmännchen rufen u.s.f.

Conrad liest in einem Buche, das von Gespenstern handelt, es habe ein Barbier längst nach seinem Tode, in einem alten Schlosse diejenigen barbiert, die darin eingekehrt wären. Er ist ganz allein, es rührt sich kein Lüftchen, er sieht nichts, als seine vier Wände, sein Licht und sein Buch. Indeß schlägt die Zugluft die Thür zu, und löscht das Licht aus. Anstatt es wieder anzuzünden läuft Conrad erschrocken nach dem Bette, ihm läufts kalt über die Haut, er springt ohne sich zu entkleiden hinein, und zieht es dicht über den Kopf her. Er schwitzt und glaubt in seiner Kammer Bewegungen zu hören, lüftet das Bette, und wagt hervorzusehen. Da steht der höfliche Barbier ganz weiß gekleidet, bereit, ihm den Bart zu scheeren. Conrad erstarrt; der Barbier kehrt sich daran nicht, und seift ihn mit kalter Hand ein, und da er nicht still halten will, kneipt dieser ihn in die Backe, und ermattet schläft Conrad ein. Des andern Tages sieht Conrad ganz blaß und verfallen aus, seine Augen sind trübe, und er ist wider die Gewonheit niedergeschlagen. Man fragt ihn um die Ursach, er erzählt, und die Geschichte wird stadtkundig. Der Besitzer des Hauses bleibt dabei nicht gleichgültig. Conrad zeigt den rothen Fleck auf der Backe als Beweis, und beschwört endlich die Sache vor Gericht. – Wird man aber deswegen weniger glauben, daß Conrad durch seine Einbildungskraft sey betrogen worden? Daß er weniger recht gesehen und gefühlt habe? Aus der Menge von Beweisen, welche angeführtt werden könnten, die Macht der Einbildungskraft zu beweisen, mögen diese genug seyn: Ein Engländer, der sich überzeugt hatte, daß wunderbare Erscheinungen mehrentheils auf Einbildung beruhen, reiste mit Freunden über Feld, und veranstaltete zur bessern Erreichung seiner Absicht, daß sie erst spät nach London zurück reisten. Mitten auf dem Wege hielt er auf einmal still, und sahe mit starrem Blick gen Himmel. Brüder, rief er, ich sehe ein schröckliches Luftzeichen! Die andern alle sahen starr nach dem Ort, wo jener das Luftzeichen zu sehen vorgab, und – sahen nichts. Jener fuhr fort, zu behaupten, daß er ein Zeichen sehe und fing an, es zu beschreiben. Nun wurde die Einbildungskraft rege! Einer nach dem andern fing allmählig an, zu sehen, was nicht da war, und Eigenschaften davon anzuführen. Endlich stimmten alle überein, und es war gewiß, sie hatten eine Erscheinung in der Luft gesehen. Sie ritten fort, und den andern Tag war die Hauptstadt von dem Gerücht voll, es lasse sich ein Luftzeichen sehen. Alle, welche mit auf der Reise gewesen waren, betheuerten es bei Ehre und Leben, daß sie es selbst gesehen hätten. Man war schon von Furcht und Schröcken voll, bis es nach und nach bekannt wurde, daß der zuerst das Zeichen zu sehen vorgab, nur eine Probe gemacht habe, wie stark die Einbildungskraft der Menschen sey, und wie leicht man Dinge glauben, sehen und betheuern könne, die nur darin ihr Daseyn hätten.

In Frankreich grub man gewisser Ursachen halber, einen vorlängst gestorbenen Mönch wieder aus. Da man seinen Sarg geöfnet hatte, sagte einer der umstehenden Mönche, er empfinde einen recht lieblichen Geruch. Ihn betrog entweder seine Einbildungskraft, oder er wollte andere betrügen. Kaum hatte ers gesagt; so fingen auch die andern Mönche an, Lieblichkeit zu riechen; Ein Unbefangener aber, der auch dabeistand, empfand das Gegentheil nur allzusehr.

Zwei Personen stiegen zu einer Treppe hinauf. Der vorderste blieb stehen, und versicherte, daß er keinen Schritt weiter könne; denn er fühle vor sich eine Mauer. Der andere fühlte hin, und überzeugte sich, daß eine unsichtbare Mauer ihnen im Wege stehe, und sie zur Rückkehr nöthige.

Die Muttermähler sind ein Beweis von der Macht der Einbildungskraft. Man sieht Leute, die Beeren, Kirschen, Mäusefiguren x. an verschiedenen Theilen des Leibes haben, weil die Mutter während der Schwangerschaft über so etwas erschrak. Man hat Leute gesehen, die sich einbildeten erweichte Knochen, eine sehr große oder eine wächserne Nase, Hörner am Kopf, Füße von Stroh, Frösche x. im Leibe zu haben; die da glaubten, es würde eine Uiberschwemmung entstehen, wenn sie ihren Urin ließen, die durch Einbildung krank geworden und gestorben sind. – Sollte die Einbildungskraft nicht auch vermögend seyn, dem Menschen Gespenster dazustellen?


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