Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Achtzehntes Kapitel.

Glaube an Jesus Christus und grüble nicht / folge ihm nach und zweifle nicht.

Der Geliebte spricht.

Hüte dich / mein Sohn / vor unnützer Neugierde / die nichts als forschen und wieder forschen will in dem unerforschlichen Abgrunde dieses Sakraments. Hüte dich davor / wenn du nicht von dem Wirbel des Zweifels ergriffen und in die abgrundlose Tiefe willst verschlungen werden. Wer die Majestät erforschen will / den zerdrückt ihre Herrlichkeit. Die Allmacht Gottes kann doch gewiß mehr tun / als der Verstand eines Menschen ewig begreifen mag. Doch kann man deshalb die fromme und demütige Untersuchung der Wahrheit / die sich gern will belehren lassen und willig ist / auf der Bahn der gesunden Lehre der Väter zu wandeln / nicht verwerfen.

Selig die Einfalt des Herzens / welcher es gegeben ist / die rauhe Bahn der rastlosen Sucht des Fragens und Streitens zu verlassen und auf dem ebenen / festen Weg der Gebote Gottes mutig voranzuschreiten. Viele haben alles Gefühl der Andacht in sich verloren / indem sie erforschen wollten / was über ihnen ist. Du sollst glauben und im Geiste des Glaubens leben / das ist deine Pflicht; hohe Erkenntnis zu besitzen und tiefen Blick in die Geheimnisse Gottes / das fordert Gott nicht von dir. Wenn du nicht verstehst und nicht begreifst / was unter dir ist / wie wirst du begreifen / was über dir ist? Unterwirf dich deinem Gott / und all dein Dünkel und dein Meinen beuge sich demütig unter die Zucht des Glaubens; und es wird dir soviel Licht der Erkenntnis gegeben / als dir nützlich und nötig ist.

Einige Menschen werden von den Versuchungen wider Glauben und Sakrament hart mitgenommen. Aber daran sind nicht sie schuld / Versuchungen dieser Art kommen nicht selten von dem Feinde des menschlichen Geschlechts. Sei daher nicht bekümmert / laß dich in keinen gelehrten Streit mit deinen eigenen Gedanken ein und zerbrich dir den Kopf nicht mit Auflösungen der unendlichen Zweifel / die der Feind in deine Seele legt / sondern glaube dem Wort Gottes und seinen Heiligen und Propheten; und der arge Feind wird dir Ruhe lassen. Es ist oft gut / daß treue Knechte Gottes durch solche Leiden geprüft werden. Denn die stolzen Ungläubigen und die versunkenen Sünder hat der Feind schon im Besitz und braucht sie nicht mehr erst zu versuchen / aber die gläubigen und andächtigen Freunde Gottes plagt und versucht er auf mancherlei Weise.

Halte du also wie bisher fest am Glauben / der dem Zweifel keinen Raum gibt und das Herz in Einfalt zu Gott erhebt / geh hin zum Sakrament in Demut und in heiliger Ehrfurcht. Und was du nicht begreifen kannst / das stelle kühn und furchtlos dem allmächtigen Gott anheim. Gott betrügt dich nicht; aber wer sich selbst zu viel glaubt und traut / der wird betrogen. Gott wandelt mit denen / die ein einfältiges / gerades Herz haben; er offenbart sich den Demütigen / gibt Verstand den Unmündigen / öffnet den Sinn reiner Seelen und verbirgt seine Gnade vor der Neugierde und dem Stolze der Menschen. Die menschliche Vernunft ist eine menschliche Vernunft / hat wenig Licht und kann leicht irren / aber der rechte Glaube an Gott irret ewig nicht.

Alle menschliche Vernunft und alle vernünftige Erforschung soll eigentlich dem Glauben demütig nachfolgen / soll ihm nicht voraneilen / noch weniger die Rechte des Glaubens mit anmaßender Gewaltsamkeit verletzen. Glaube und Liebe zeigen ihre Wirksamkeit vorzüglich und auf die geheimste Weise in diesem heiligsten und unübertrefflichsten Sakramente. Gott / der Ewige und Unsterbliche / dessen Allmacht ohne Grenze ist / tut große und unerforschliche Wunder im Himmel und auf Erden; und seine wundervollen Werke vermag kein forschender Verstand zu erforschen. Denn wären die Werke Gottes nur so groß / daß sie von der Vernunft des Menschen leicht könnten erforscht werden / so wären sie eben darum nicht groß / nicht wunderbar / nicht unerforschlich und unaussprechlich zu nennen.


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