Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Sechsunddreißigstes Kapitel.

Was soll ich tun, wenn die Menschen mich richten und verdammen?.

Mein Sohn, lege dein ganzes Herz mit fester Zuversicht in meine Hand und fürchte kein menschliches Gericht da, wo dein innerer Richter, das Gewissen, dich freisprichst. Es ist gut und heilsam für dich, daß auch du in dieser Leidensschule hart mitgenommen wirst. Und wenn du ein demütiges Herz hast und mehr auf Gott als auf dich selbst vertraust, so wird dies schwere Leiden dir nicht sonderlich beschwerlich sein. Wo mancherlei Menschen sprechen, da muß es mancherlei Gespräche geben. Und diese mancherlei Gespräche verdienen eben deswegen nicht viel Glauben. Und hernach ist es ganz und gar unmöglich, allen alles recht zu machen. Ist doch Paulus allen alles geworden und hätte gern allen es recht gemacht, um alle dem Herrn zu gewinnen. Und doch mußte auch Paulus allerlei harte Urteile über sich ergehen lassen. Er bekümmerte sich aber nicht darum, daß die menschlichen Gerichte ihn verdammten.

Was er zur Erbauung oder Errettung der Menschen tun konnte, das hat er mit aller Treue getan. Aber daß die Menschen ihn nicht hart richteten oder gar verdammten, das konnte er bei all seiner Treue nicht verhindern. Deshalb stellte er seine Sache ganz dem anheim, der die ganze Sache am besten wußte, seinem Gott. Und seine Verteidigung gegen die harten Lästerungen, ungerechten Urteile und stolzen Anmaßungen seiner Gegner bestand eigentlich doch nur in Demut und Geduld. Denn wenn er auch hie und da eine Antwort gab, so geschah es meistens um der Schwachen willen, damit sie an seinem Stillschweigen kein Ärgernis nähmen.

Was ist es denn, daß du dich vor einem Menschen fürchtest? Heute ist er, und morgen findest du seine Stätte nimmer. Fürchte du deinen Gott, und die Menschen werden nicht mehr so viel Furchtbares für dich haben. Was kann auch ein Mensch mit all seinen Lästerworten, wenn sie dir auch noch so viel Unrecht nachsagen, wider dich ausrichten? Im Grunde schadet er mehr sich als dir, und er sei, was er wolle, dem Gerichte Gottes kann er doch nicht entgehen. Behalt du stets deinen Gott im Auge und klage nicht und laß dich nicht in einen Wortkrieg ein. Und wenn du auch in den Augen der Menschen unterliegen und eine unverdiente Schmach erdulden müßtest, so solltest du deshalb nicht zürnen, noch die Ungeduld dir den schönsten Stein aus deiner Krone rauben lassen. Schau vielmehr auf zu mir, ich habe Macht, von aller Schmach und allem Unrecht dich zu erretten und einem jeden zu vergelten nach seinen Werken.


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