Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Das höchste Gut des Menschen hat keinen ärgern Feind als die Eigenliebe des Menschen.

Mein Sohn / du mußt alles für alles hingeben / mußt nichts mehr für dich und alles für mich sein. Glaube es doch meinem Worte: Kein Ding auf Erden schadet dir mehr als du selbst dir mit deiner Liebe zu dir. Denn eine jede Sache hängt nur insofern an dir / insofern du mit Neigung und Liebe an ihr hängst. Ist deine Liebe rein / einfältig und wohlgeordnet / so kann kein Ding dich gefangen nehmen. Nähre keine Begierde nach dem / was du nicht besitzen darfst / und ringe nicht nach dem Besitz dessen / was dir zum Anstoß werden und die innere Freiheit dir rauben kann. Es ist doch sonderbar / daß du nicht dich und alles / was du hast oder haben willst / in meinen Schoß wirfst und mit dem tiefsten Grund deines Herzens darin ruhen magst.

Warum lässest du eiteln Kummer an deinem Herzen nagen / bis es zernagt ist / warum unnütze Sorgen dein Haupt bedrücken / bis es zerdrückt ist? Steh wie ein Mann bereit / nur nach meinem Wohlgefallen dich zu bewegen / dann wird in aller Welt nichts dir schaden können. Wenn du aber bald dies / bald jenes Gut suchst / bald da / bald dort sein möchtest und überall auf deinen Nutzen / auf Befriedigung deiner Neigung siehst / so wirst du niemals ruhig werden / vielmehr die Sorge / die dich unruhig macht / überall mit dir bringen. Denn an jeder Sache wirst du einen Fehler / und an jedem Ort einen Menschen finden / der deiner Neigung sich widersetzt.

Also hilft dir nicht das zum inneren Frieden / daß du irgend eine Sache außer dir bekommen oder vermehrt hast / sondern das hilft zum Frieden / daß du diese Sache verschmäht und die Neigung dazu aus deinem Herzen getilgt und von der Wurzel aus vertilgt hast. Und dies gilt nicht nur von Geld und Reichtum / sondern auch von jedem ehrgeizigen Streben nach Ansehn und eitlem Lob und von allem / was mit dieser vergänglichen Welt vergeht. Die Abgeschiedenheit des Ortes schützt dich nicht / wenn die Flamme des Geistes dich nicht bewahrt. Und der Friede / den du im äußern suchst / wird nicht lange währen / wenn der äußere Friede seine Grundfeste nicht in deinem Herzen / und dein Herz seine Grundfeste nicht in mir hat. Du magst den Wohnort ändern / soviel du willst / aber dich selbst umändern / du selbst besser werden / das wirst du nie. Denn was du an einem Orte fliehst / das wirst du an dem andern beim nächsten Anlaß wiederfinden und vielleicht mehr Unangenehmes finden / als du verlassen hast.

Gebet um himmlische Weisheit und Reinigung des Herzens.

Weil ich denn / o mein Gott / so unstet bin / so befestige du mich durch die Gnade des heiligen Geistes. Gib mir Kraft / die den inneren Menschen in mir zurechtsetze und unwandelbar mache / daß mein Herz von aller unnützen Angst und Sorge leer und frei werde. Gib mir festen Sinn / daß ich weder von dem / was in den Augen der Welt köstlich / noch von dem / was in den Augen der Welt gering ist / in törichte Begierden verwickelt werde / sondern alle Dinge für das ansehen lerne / was sie sind / wie sie nur so vorübergehen / und ich mit ihnen. Denn es ist nichts Bleibendes unter der Sonne / alles ist Eitelkeit und Bekümmernis des Geistes. O wie ist der so weise / der die Dinge von diesem Gesichtspunkt aus ansehen kann. Gib mir himmlische Weisheit / dich vor allem andern zu suchen und in allem zu finden / dich über alles zu lieben und in allem zu genießen / und die übrigen Dinge an jene Stelle zu setzen / die deine Weisheit ihnen angewiesen hat. Lehre mich / den glatten Schmeicheleien des falschen Freundes klug auszuweichen und die harten Worte meines Gegners geduldig zu ertragen. Denn es ist eine große Weisheit / weder die scharfe Zugluft des Tadels noch das sanfte Gelispel des Lobes auf sein Herz wirken zu lassen. Und nur diese Weisheit führt zwischen Abwegen links und rechts hindurch.


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