Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Fünfundvierzigstes Kapitel.

Sei vorsichtig / wenn du redest / und nicht leichtgläubig / wenn andere reden!

Mein Gott / hilf du mir aus meiner Drangsal / denn die Hilfe der Menschen ist eitel. Wie oft fand ich da keine Treue / wo ich sie mit Zuversicht gesucht habe / und fand sie dort / wo ich sie nicht gesucht hätte. Eitel ist also alle Hoffnung / die auf Menschen ruht / aber fest steht das Heil der Gerechten / denn es kommt von dir / o Gott / und ruht in dir. Dein Name sei gepriesen in allem / was uns begegnet. Denn wir Menschen sind schwach und unstet / lassen leicht uns hintergehen und werden schnell eines andern Sinnes.

Wo ist doch der Mensch / der überall mit soviel Vorsicht und Wachsamkeit sich leiten und selbst bewahren kann / daß nie irgendein Vorfall ihn täusche / überliste oder aus seiner Fassung bringe! Wer aber auf dich / o Herr / vertraut / wer in Einfalt des Herzens dich sucht / der steht fest und fällt nicht so leicht. Und wenn auch noch so heiße Leiden über ihn kommen / oder noch so künstliche Fallstricke seine Bahn unsicher machen / so wirst du ihn schnell aus dem Gedränge ins Freie bringen oder wenigstens sein mattes Herz erquicken; denn du verlässest die Deinen / die auf dich vertrauen / in Ewigkeit nie. Ein seltener Fund auf Erden ist der treue Freund / der in allen Nöten seines Freundes mit ihm ausharrt. Dieser Freund / der in allen Nöten seines Freundes treu bleibt / und der treueste von allen Freunden bist du / o mein Gott! Wahrhaftig / ein Freund in aller Not / und außer dir ist es keiner!

O wie weise und groß war der Sinn jener heiligen Seele / die mit Wahrheit sagen konnte: Meine Seele ist tief gegründet und steht unbeweglich fest in Christus! Wenn auch ich auf diesem Grunde fest stünde / dann würde keine Menschenfurcht so leicht mich hin und her bewegen / kein Wortpfeil mich von der Stelle rücken können. Wer kann auch alles vorhersehen / wer ist groß und mächtig genug / allen künftigen Übeln vorzubeugen? Wenn schon das / was wir vorhergesehen haben / uns verwundet / soll denn das / was uns unversehens trifft / uns nicht eine noch tiefere Wunde schlagen? Aber warum war ich Elender nicht vorsichtiger? Warum war ich bei den Erzählungen anderer so leichtgläubig? Warum? Weil wir Menschen sind und nichts anderes als gebrechliche Menschen / wenn auch viele uns für Engel halten und ausgeben sollten. Wem soll ich glauben als dir allein / o mein Herr und Gott? Du bist die Wahrheit / die nicht trügen und nicht betrogen werden kann. Und an einem andern Orte heißt es sehr wahr: Der Mensch ist voll Trug und Lug. Er ist gebrechlich / unstet / schwach / besonders in dem Wort / das aus seinem Munde kommt. Ach / man darf doch dem Munde des Menschen kaum glauben / wenn es noch so sehr den Schein der Wahrheit und Gerechtigkeit für sich hat.

Wie weise hast du uns im voraus gewarnt / daß wir uns vor den Menschen hüten sollen / daß die eigenen Hausgenossen des Menschen Feinde sind / und daß wir doch nicht glauben sollen / wenn jemand sagt: Da ist Christus / dort ist er. Mein eigener Schaden hat mich oft genug in die Schule geführt / und Gott gebe / daß ich wenigstens in dieser Schule Vorsicht gelernt habe und die alten Torheiten nicht mit neuen vermehre! Jetzt spricht einer zu mir: Sei behutsam / behalt es bei dir / was ich dir sage. Und da ich es bei mir behielt und ehrlich glaubte / daß es noch geheim sein und bleiben werde / konnte er selbst es nicht verschweigen / da er doch zur Verschwiegenheit mich aufgefordert hatte / ging hin und ward sein und mein Verräter. Mein Gott / bewahre mich doch vor solchen unvorsichtigen Menschen und ihrem Lügenkram / schütze du mich / daß ich nie wieder in ihre Hände falle und nie mich selbst der nämlichen Torheit schuldig mache. Lege du mir ein wahres / festes Wort in den Mund und laß keine listige Zunge mir nahekommen. Was ich nicht leiden mag / davor werde ich wohl mit allem Fleiß mich hüten müssen.

O wie ist einem so wohl und so friedlich still im Herzen / wenn man von andern schweigen kann / nicht alles / was andere erzählen / ohne nähere Prüfung glaubt / das Gehörte nicht leicht nacherzählt / sein Herz wenig Menschen aufschließt / zu dir / o Gott / als dem allgegenwärtigen Zeugen und Herzenskenner / überall aufblickt / nicht durch jeden Windstoß von Worten sich hin und her bewegen läßt und durchaus keinen andern Wunsch in sich trägt / als daß alles in uns und außer uns nach der Richtschnur deines heiligen Willens geordnet und gelenkt werden möchte! Wieviel trägt es doch zur sichern Bewahrung der himmlischen Gnade bei / wenn man nicht vor Menschen glänzen will / nicht nach Beifall und Bewunderung hascht / sondern mit allem Fleiße allein dem nachringt / was unser Leben besser und unsern Eifer für das Gute lebendiger machte Für wie viele war es schädlich / daß man ihre Tugenden ausposaunte und vor der Zeit zur Schau stellte: Wie nützlich war es im Gegenteil für andere / daß sie den Schatz ihrer Gnade geheim hielten in diesem gebrechlichen Leben / das ganz aus Angriff und Widerstand / aus Streit und Widerstreit zusammengesetzt ist.


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