Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Sterblicher / denk ans Sterben.

Schnell wird es mit dir hienieden geschehen sein. Darum sei nicht eher mit dir zufrieden / bis du ein anderer Mensch geworden sein wirst. Denn sieh / heut noch ist der Mensch / und morgen ist er nicht mehr. Und ist er einmal aus den Augen der Welt / so ist er schnell auch aus ihrem Andenken dahin. Wie ist doch das Herz des Menschen so verstockt / so abgestumpft sein Gefühl / daß er / angeklammert an die Gegenwart / nicht hinausblicken mag in die Zukunft. Alles / was du denkst und tust / alles soll so gedacht und getan werden / als wenn du heut noch sterben müßtest. Wenn du wirklich ein gutes Gewissen hättest / so würdest du nicht sonderlich vor dem Tode zittern. Immer besser / die Sünde meiden / als den Tod fürchten. Und wenn du heut nicht bereit bist / wie wirst du es morgen sein: Der morgige Tag ist ein ungewisser Tag / und wer hat es dir denn verbürgt / daß du ihn noch erleben wirst.

Was nützt es dir / lange zu leben / wenn dein Eifer / besser zu werden / von so kurzer Dauer und von so geringer Wirkung ist: Ach / ein langes Leben macht den Menschen nicht immer besser / macht die Zahl seiner Sünden nur größer. Hätten wir doch hier auf Erden auch nur einen Tag recht gut gewandelt. Es gibt Leute / die von ihrer ersten Bekehrung an die Jahre fleißig zählen; aber wie groß diese Zahl der Jahre immer sein mag / die Frucht der Bekehrung ist doch sehr gering. Wenn es für dich so schrecklich ist / jetzt zu sterben / so ist es vielleicht noch gefährlicher / länger zu leben. Selig / wer die Stunde des Todes immer vor Augen hat und täglich sich zum Sterben rüstete. Wenn du einen Menschen sterben siehst / so sprich zu dir: Diesen Weg muß auch ich gehen.

Wenn die Morgenstunde kommt / so rechne darauf / daß du vielleicht die Abendstunde nicht mehr erleben wirst. Und wenn die Abendstunde da ist / so wag es nicht / dir noch die Morgenstunde zu versprechen. So sei denn immer bereit und lebe so / daß der Tod dich nie unbereitet finden kann. Es sterben doch so viele / ehe sie es vermuten und ohne daß sie gefragt werden / dahin. Der Menschensohn kommt auch hier zur Stunde / wo man es nicht glaubt. Wenn deine letzte Stunde wird gekommen sein / dann wirst du dein vergangenes Leben in einem ganz andern Lichte sehen / und es wird dir dein Herz zerreißen / daß du im Guten so nachlässig und lau gewesen bist.

Wie selig und klug ist doch der Mensch / der keine andere Sorge kennt / als so zu leben / wie er im Tode wünschen wird gelebt zu haben. Denn die Lüste der Welt standhaft zu verschmähen / in allen Tugenden mit Eifer vorwärts zu dringen / Zucht und Ordnung lieb zu haben; in strenger Buße und in hurtigem Gehorsam / in Verleugnung seiner selbst und in Erduldung alles Widrigen aus Liebe zu Jesus auszuharren: das gibt Mut und Zuversicht / selig zu sterben. In gesunden Tagen kannst du viel Gutes tun; was du aber in kranken Tagen ausrichten wirst / davon habe ich keinen Begriff. Kranksein macht wenig Menschen besser / viel wallfahrten selten heilig.

Baue doch dein Heil nicht auf die ungewisse Zukunft und verlaß dich nicht auf deine Freunde und Verwandten; denn die Menschen werden ungleich früher und schneller deiner vergessen haben / als du letzt es glauben kannst. Es ist besser / jetzt / da du noch Zeit dazu hast / deine Seele mit aller Vorsicht in Ordnung zu bringen und gute Werke vorauszuschicken / als auf fremde Hilfe zu warten. Wenn du letzt für dich selbst so unbesorgt dahinlebst / wer wird in Zukunft für dich besorgt sein? Jetzt ist kostbare Zeit / jetzt sind Tage des Heils / letzt ist Zeit der Gnade. Aber wehe / wehe / daß du diese Zeit / in der du dir einen Schatz sammeln könntest / von dessen Früchten du die ganze Ewigkeit zu leben hättest / nicht besser anwendest! Du wirst vielleicht bald um die Frist eines Tages / einer Stunde bitten / um nicht ungebessert dahinsterben zu müssen / aber wer weiß / ob du sie erlangen wirst.

Sieh doch / lieber Bruder / nimm es doch zu Herzen / wie groß die Gefahr / wie peinlich die Furcht ist / von der nur die sorgsame / stete Vorbereitung auf den Tod dich freimachen kann: So lerne denn jetzt leben / und so leben / daß dir die Gestalt des Todes lieblich werden und mehr Freude als Schrecken für dich haben möge: Lerne jetzt der Welt absterben / damit du im Tode mit Christus zu leben anfangen kannst. Lerne jetzt alles verschmähen / damit du alsdann / frei von allen Banden / zu Christus heimgehen kannst. Laß jetzt deinen Leib die Züchtigung der heiligen Buße fühlen / damit du ihn einst mit Zuversicht verlassen kannst.

O des Toren: was schmeichelst du dir mit der Hoffnung / lange zu leben / da du auch nicht auf einen Tag sicher rechnen kannst: Wie viele haben mit falscher Hoffnung sich betrogen und mußten zu einer Stunde / die sie noch gar nicht für ihre letzte hielten / von dieser Welt hinweg: Wie oft hast du erzählen hören: dieser ist erstochen worden / jener ertrank / dieser fiel vom Dache und brach sich den Nacken / jener starb am Tische / der beim Spiel / einen tötete das Feuer / den andern das Schwert / einen dritten die Seuche / einen vierten die Hand der Mörder. So sterben alle dahin / und das Leben des Menschen geht wie ein Schatten vorüber.

Wer wird deiner nach dem Tode noch denken? Wer wird für dich beten? O Freund / jetzt / jetzt lege die Hand ans Werk und tu / was du tun kannst. Denn du weißt nicht / wann du sterben wirst / und was mit dir nach dem Tod geschehen wird. Jetzt / da du noch Zeit hast / setzt sammle dir unsterbliche Reichtümer. Dein Heil sei dein liebster / einziger Gedanke / Gottes Reich deine erste Sorge. Jetzt mache die Heiligen dir zu Freunden / das heißt / verehre sie und lebe wie sie / damit sie in der Stunde deines Scheidens aus dieser Welt in die ewigen Hütten dich aufnehmen. Sei immer wie ein Fremdling und Gast auf Erden / den die Angelegenheiten der Welt nichts angehen. Halte dein Herz frei und in steter Richtung nach oben / zu Gott / denn es ist hienieden für dich keine bleibende Stätte. Dorthin sende täglich deine Tränen / Gebete und Seufzer voraus / damit einst dein Geist nach dem Tode selig ihnen nachfolgen und zum Herrn heimgeholt werden möge. Amen.


 << zurück weiter >>