Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Neunundvierzigstes Kapitel.

Von dem Heimweh nach dem ewigen Leben und von den großen Verheißungen / die den mutigen Kämpfern gegeben sind.

Mein Sohn / wenn ein höheres Leben in dir sich regt / und das Verlangen nach der ewigen Seligkeit in dir sich entzündet / wenn du wirklich aus der Hütte des Lebens hinaustreten möchtest / um meine Klarheit in jenem Licht ohne Schatten anzuschauen / o dann erweitere deine Seele und laß dies heilige Feuer den tiefsten Grund deines Herzens durchglühen. Danke / soviel du danken kannst / der höchsten Liebe / die so freundlich mit dir umgeht / so gütig dich besucht / so mächtig dich entzündet und dich über dich so hoch erhebt / damit du nicht wieder / von eigener Schwere gezogen / zur Erde fallen möchtest. Dies lebendige Verlangen nach dem Himmlischen / dies Heimweh / ist keine Folge deiner Betrachtungen / kein Lohn deiner Bemühungen / sondern eine unverdiente Gabe Gottes / der mit Vaterhuld dich anblickte und milde zu sich emporzog / damit du in allen Tugenden und besonders in der Demut zunehmen / auf kommende Streittage dich rüsten / mit ungeteilter Liebe mir anhängen und mit einem nie erkaltenden Eifer mir dienen möchtest.

Mein Sohn / oft brennt das Feuer auf deinem Herde / aber die Flamme / die vom Herde aufsteigt / ist nicht ohne Rauch / der auch mit aufsteigt. So brennen in vielen Herzen viele Begierden / aber die Flamme dieser Begierden ist nicht rein von dem Rauch der sinnlichen Neigung. Deshalb begehren sie von mir mit heißem Flehen bald dies / bald jenes; aber es ist nicht reiner / ganz lauterer Eifer für die Ehre Gottes / der sie zu diesem heißen Flehen treibt. So ist auch dein Verlangen gar oft beschaffen / es ist zu ungestüm / um ganz rein zu sein. Alles / was mit Eigenliebe befleckt ist / ist befleckt / also nicht rein / nicht vollkommen.

Begehre nie von mir / was dir Freude oder Vorteil gewähren kann / sondern was mir wohlgefällig ist / was meine Ehre fördert. Denn wenn dein Urteil vernünftig ist / so sollst du ja meinen Willen und / was er anordnet / mehr bei dir gelten lassen als all dein Verlangen und mehr als alles / was du verlangst. Ich kenne dein Verlangen und habe alle deine Seufzer gehört. Du möchtest schon jetzt in der Freiheit sein / die den Kindern Gottes im Lande der Herrlichkeit aufgehoben ist. Schon jetzt hast du Freude an dem unzerstörbaren Hause / an dem himmlischen Vaterland / das mit lauter Freude ausgefüllt ist. Aber diese deine Stunde ist noch nicht gekommen. Jetzt ist noch eine andere Stunde für dich / die Stunde des Streites / der Arbeit / der Prüfung. Du wünschest das höchste Gut schon jetzt zu besitzen / aber du vermagst es jetzt noch nicht zu erlangen. Ich lebe und komme. Warte meiner / spricht der Herr / bis das Reich Gottes kommt.

Du mußt noch viele Prüfungen durchmachen / mancherlei Übungen hier auf Erden aushalten. Trost wird dir gereicht werden / aber ein Genuß / der dein Herz sättigt / kann dir nicht gegeben werden. Fasse also neuen Mut und sei ein Mann / stark zum Leiden und stark zum Handeln / wenngleich deine Natur noch so sehr dagegen sich sträubt. Du mußt noch in einen neuen Menschen umgewandelt und noch ein ganz anderer Mann werden. Du mußt tun lernen / was du nicht willst / und verlassen / was du behalten möchtest. Was andere wollen / wird zustande kommen; was du willst / ins Stocken geraten. Was andere sprechen / wird Gehör und Beifall finden; was du redest / wird für nichts gerechnet werden. Andere werden mancherlei begehren und erhalten / was sie begehren; du wirst auch bitten / aber nichts erhalten.

Andere werden berühmte Männer werden / von denen die Leute sich nicht satt reden können; aber von dir wird es überall so still sein / als wenn du nicht einmal auf Erden wärest. Andern wird man diesen oder jenen wichtigen Auftrag erteilen / du aber wirst im Urteil der andern zu nichts taugen. Darüber wird dann dein Herz bekümmert sein / und es ist viel / wenn du diesen Kummer still leidend ertragen wirst. Durch diese und andere Erfahrungen muß nun der treue Knecht des Herrn geläutert werden / damit er sich selbst verleugnen und allen seinen Eigensinn und Eigenwillen brechen lerne. Es ist das Bedürfnis / dir selbst abzusterben / für dich in fast keinem Stück so groß als in dem / was du täglich wider deinen Willen sehen und leiden mußt / besonders / wenn Dinge dir befohlen werden / die unschicklich sind und die minder nützlich zu sein scheinen. Und weil du / unter einen Obern gesetzt / es nicht wagen willst / der höheren Gewalt zu widerstehen / so wird es dir schwer / sehr schwer / immer nur nach dem Wink eines andern zu wandeln und stets deine eigenen Empfindungen zu verleugnen.

Aber denke / mein Sohn / daß dies alles bald ein Ende nehmen / und auf die Aussaat eine schöne Ernte / auf die Arbeit ein großer Lohn folgen wird; und es wird dir leichter werden / und deine Geduld einen unerschütterlichen Grund des Trostes finden. Denn dafür / daß du jetzt deinen Willen darangibst / dafür wirst du einst im Himmel deinen Willen in allem wiederfinden. Alle deine Wünsche werden dort in Erfüllung gehen. Dort wird dir alle Kraft zum Genuß alles Guten gegeben / und die Furcht / es wieder zu verlieren / auf ewig von dir genommen. Dort wird niemand dir widerstehen / niemand über dich sich beklagen / niemand deine Macht hemmen / niemand deinen Willen beschränken; alles / was du verlangst / wird auch da sein / wird all dein Verlangen befriedigen und dein ganzes Vermögen zu wünschen vollkommen ausfüllen. Dort werde ich alle Schmach mit Ehre / alle Traurigkeit mit Freude / und die letzten Plätze / die du auf Erden eingenommen hast / mit den ersten Stellen in meinem Reiche dir vergelten / und dieser Lohn wird kein Ende nehmen. Dort wird der Gehorsam die schönsten Früchte ernten / der Schmerz der Buße in jauchzende Freude verwandelt / und der Demut / die unter alle sich gesetzt hat / die Krone der Herrlichkeit aufgesetzt werden.

So neige dich denn aus edlem Trieb der Demut unter alle und laß es dich nicht ängstigen / wer das gesagt / wer jenes befohlen habe. Aber das laß deine Sorge sein / daß du / mag ein Oberer oder ein Untergebener oder einer deinesgleichen in gebietendem Ton oder mit freundlichem Wink etwas von dir fordern / daß du alles / was sie wollen / so gut wie möglich deutest und ohne Falsch zustande bringst. Einer wird das / ein anderer etwas anderes erobern wollen; dieser in diesem / jener in seinem sein Reich suchen und tausendmal tausend Lobsprüche erhalten; du aber mußt weder in jenem noch in diesem deine Freude suchen / sondern das allein laß deine Freude sein / daß mein Wohlgefallen vollbracht und meine Ehre gefördert werde / wenngleich du um des Guten willen tapfer gelästert und wie Auskehricht weggeworfen werden solltest. Denn das allein ist für dich wünschenswert / daß Gott in dir allzeit verherrlicht werde durch dein Leben oder durch dein Sterben.


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