Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Gericht und Strafe.

In allem / was du tust / schau auf das Ende und frage dich: wie werde ich vor dem strengen Richter bestehen / dem nichts verborgen ist / den keine Gabe bestechen kann / der keine Ausflüchte gelten läßt / der richtet nach Gerechtigkeit? Elender / törichter Sünder! Sieh / du zitterst vor dem Angesichte eines zornigen Menschen / wie wirst du dich nun vor Gott verantworten / vor Gott / der alle deine Sünden weiß? Wie kannst du doch so unvorsichtig auf den Tag des Gerichts dahinleben / auf einen Tag / an dem keiner den andern entschuldigen oder verteidigen kann / an dem jeder genug mit sich selbst zu tun haben wird? Jetzt / jetzt kann deine Arbeit Früchte bringen / deine Träne Gnade finden / dein Seufzer Hilfe erflehen / deine Buße der Gerechtigkeit genüge tun und dir zur Reinigung dienen.

Wer Geduld übt / das heißt / wem an der Kränkung seiner Ehre mehr die Sünde des andern / der ihn kränket / als die Kränkung selbst wehe tut; wer für seine Gegner gern fürbittet und ihnen das Unrecht / das sie an ihm getan haben / von ganzem Herzen verzeiht; wer selbst als der erste um Vergebung bittet / wer sich leichter zur Erbarmung als zum Zorn bewegen läßt / wer recht oft sich selbst Gewalt antut und strebt / die Sinnlichkeit vollkommen der Herrschaft des Geistes zu unterjochen: ein solcher Mann hat schon in diesem Leben / hat schon in sich sein Reinigungsfeuer / das wahrhaft nicht gering ist und großen Segen schafft. Es ist doch besser / schon in diesem Leben die Bande des Lasters zu lösen und von der Sünde rein zu werden / als die Reinigung für die Ewigkeit aufzusparen. Wir täuschen nur uns selbst / so oft wir eine ungeordnete Liebe zu dem / was sinnlich ist / in unseren Herzen aufkommen lassen.

Was wird doch jenes verzehrende Feuer anders zu verzehren haben als deine Sünden? Je mehr du jetzt dich schonst / je mehr du deiner Sinnlichkeit nachgibst / desto empfindlicher wirst du einst dafür gestraft werden / desto mehr Stoff zum Verbrennen wirst du für jenes verzehrende Feuer mit hinüberbringen. Worin die Sünde ihre größte Lust suchte / darin wird sie auch die schwerste Strafe finden. Brennende Stacheln werden die Trägheit nie ruhen lassen / Hunger und Durst die Unmäßigkeit peinigen / siedendes Pech und Schwefel die Wollust züchtigen.

Jedes Laster wird seine eigene Plage haben / der Neid wird vor Schmerzen heulen gleich einem tollen Hunde / Schande und Schmach werden wie Berge über die Hoffart fallen / die Armut wird mit ihrer schwersten Last den Geiz zerdrücken. Dort schmerzet eine Stunde Pein mehr als hier Jahrhunderte / in strengster Buße durchlebt. Der ungebesserte / der Verdammung anheimgegebene Sünder wird dort keine Ruhe / keinen Trost finden können; wo es für uns hier doch Feiertage zum Ausruhen und Stunden des Trostes im Schoß der Freundschaft gibt. So traure denn / lieber Freund / jetzt um deiner Sünden willen / sorge jetzt für die Zukunft / damit du am Tage des Gerichts mit allen Heiligen kühn und froh dein Haupt emporheben darfst. Dann werden die Gerechten mit Zuversicht auftreten und mutvoll dastehen denen gegenüber / von welchen sie in diesem Leben geängstigt und niedergedrückt worden sind. Dann wird der Arme und Demütige mit edler Zuversicht dastehen / und der Hochmütige zitternd vor ihm niedersinken.

Dann wird der als ein weiser Mann erscheinen / der die seltene Kunst verstand / um Christi willen für einen Toren und für Auskehricht der Welt sich halten zu lassen. Dann wird die Andacht / die ihren Gott nie aus dem Auge ließ / ihr Jubelfest feiern / und der irdische Sinn / der in der Welt ohne Gott war / trauern müssen. Dann wird die Kreuzigung des Fleisches um des Geistes willen mehr Jubel einbringen als alle Verzärtelung und die ausgesuchteste Pflege des Leibes. Dann wird das geringe Kleid des Gottseligen glänzen / und das Seidengewand des Gottlosen allen Farbenglanz verloren haben. Dann wird die niedere Hütte in größerer Achtung stehen als der goldene Palast. Dann wird die standhafte Geduld größere Eroberungen machen als alle Herrlichkeit und Macht der Welt. Dann wird der Gehorsam des einfältigen Herzens über alle Schlauheit des arglistigen Kopfes triumphieren.

Dann wird ein gutes / reines Gewissen uns mehr Seligkeit verschaffen als alle Weltweisheit der Gelehrten. Dann wird die Verschmähung des Reichtums alle Schätze der Welt voll aufwiegen. Dann wird ein Gebet / das aus dem Herzen strömte / dir mehr Trost schaffen als ein Freudenmahl / das dich mit Leckerbissen überfüllte. Dann wird das fromme Stillschweigen eines Augenblickes mehr Freude einernten als das geistlose Geschwätz eines Jahrhunderts. Dann werden die guten Werke mehr gelten als die schönen Worte. Dann werden die in ernster Selbstverleugnung und strenger Buße durchlebten Tage dich mehr erfreuen als alle Freuden der Erde. Lerne jetzt geringere Leiden ertragen / damit du einst größere dir ersparen mögest. Versuche jetzt zu tun / was du dereinst müßtest leiden können. Wenn dir jetzt ein so kurzes Leiden schon zu lang ist / wie wirst du einst endlose Leiden aushalten können? Wenn jetzt ein geringes Leiden dich so ungeduldig macht / wie wirst du das Leiden der Hölle ertragen können? Sieh / zwei Paradiese gibt es nicht für dich: hier die törichten Freuden der Welt töricht mitgenießen und dort mit Christus herrschen / das kannst du nicht.

Hättest du bis auf diesen Tag im steten Genuß der Ehre und Wollust gelebt und müßtest in diesem Augenblick sterben / sag mir / was hättest du nun von all diesem Genuß? So ist denn alles lauter Eitelkeit / nur eines nicht: Gott lieben und ihm allein dienen. Denn wer Gott von ganzem Herzen liebt / der fürchtet Tod und Strafe / Gericht und Hölle nicht. Die vollkommene Liebe bahnt ihm einen freien / furchtlosen Zutritt zu Gott. Wer aber noch an der Sünde Freude hat / der hat eben darum noch Furcht vor Tod und Gericht. Wenn jedoch die Liebe noch nicht von allem dich abhalten kann / so ist es ein Gewinn für dich / wenn wenigstens die Furcht vor der Hölle dich zurückschreckt. Wer aber die Furcht Gottes verliert / der wird nicht lange mehr im Guten feststehen können / sondern bald in die Stricke des Teufels fallen.


 << zurück weiter >>