Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Fünfzigstes Kapitel.

Wie man in der Stunde der Trostlosigkeit sein ganzes Herz in die Hände Gottes legen soll.

Mein Gott und Herr / heiliger Vater / dir sei Lob und Preis jetzt und in alle Ewigkeit; denn wie du wolltest / so geschah es / und was du tust / ist alles wohlgetan. In dir suche dein Knecht seine Freude / nicht in sich und in keinem andern Geschöpf; denn du allein bist die wahre Freude / du meine Hoffnung und Krone / du meine Ehre und Seligkeit. Was hat doch dein Knecht / das er nicht von dir empfangen / und auch ohne sein Verdienst empfangen hätte? Dein ist alles / was du gegeben und was du getan hast. Arm bin ich / und Plage und Mühe wuchs mit mir von Jugend auf. Oft habe ich tiefen Kummer im Herzen und Tränen im Auge / oft machen mich herannahende Leiden uneins mit mir.

Mein ganzes Herz sehnt sich jetzt doch nur nach einer Freude / sie heißt Ruhe und Frieden. Ich flehe um eine Gnade zu dir / sie heißt Ruhe und Frieden deiner Kinder / die in deinem Lichte und auf der Weide deines Trostes wandeln. Wenn du mir diesen Frieden / diese heilige Freude schenkst / o dann wird die Seele deines Dieners / zu deinem Heile geweiht / lauter Lobgesang sein. Aber wenn ich dich aus dem Herzen / dein Licht aus den Augen verliere / wie es oft geschieht / dann bin ich ohnmächtig / kann nicht mehr auf dem Wege deiner Gebote so munter fortschreiten / muß nur hinsinken auf die Knie und an meine Brust schlagen. Dann ist es in meinem Herzen ganz anders / als es gestern und vorgestern war / da noch dein Licht über meinem Haupte glänzte / da noch der Schatten deiner Flügel vor den eindringenden Versuchungen mich schützte.

Vater / gerechter / ewig allen Lobes würdiger Vater / sie ist gekommen / die Prüfungsstunde für deinen Knecht. Vater / ewig aller Liebe würdiger Vater / es ist so billig und recht / daß dein Knecht in dieser Stunde etwas um deinetwillen leide. Vater / ewig aller Anbetung würdiger Vater / sie ist gekommen / die Stunde / die du von Ewigkeit her voraussahst / die du kommen ließest / damit dein Knecht im äußerlichen auf eine kurze Zeit unterliege / im Inwendigen aber sich stets aufrecht halte / aufrecht vor dir / in deinem heiligen Auge: Eine kurze Weile soll dein Knecht von Menschen gering geachtet / erniedrigt / in den Staub gedrückt und von Leiden und Schwachheiten gleichsam zu Staub zermalmt werden / damit er / wenn das Morgenrot deines Lichts anbricht / mit dir herrlich wieder auferstehen und in dem himmlischen Vaterlande neu verherrlicht werden möge. Vater / heiliger Vater / du hast es so angeordnet / dein Wille hat es so geboten / und es ist geschehen / was du angeordnet / was du geboten hast.

Denn dein Freund sieht es als eine Gnade an / in dieser Welt um deines Namens willen sich bedrücken und bedrängen zu lassen / so oft und durch wen er immer bedrückt und bedrängt werden mag. Denn aller Druck und Drang steht unter deiner Zulassung. Ohne deinen Ratschluß / ohne deine Vorsehung und ohne Ursache geschieht doch nichts auf Erden. Und ich kann sagen: Herr / es ist gut für mich / daß du mich gedemütigt hast / damit ich deine gerechten Führungen kennen lerne und alle hochmütigen Anschläge / alle Anmaßungen meines Herzens wegwerfe. Wohl mir / daß Schande mein Angesicht bedeckte! Denn das nötigte mich / mehr bei dir als bei Menschen Trost zu suchen. Ich habe noch etwas aus dieser Trübsal gelernt / dies nämlich: in heiligem Schauer aufzuschauen zu deinen unerforschlichen Gerichten; denn deine Züchtigung schlägt den Gerechten wie den Ungerechten / aber jeder Schlag ist Gerechtigkeit und Liebe.

Ich danke dir / daß du meine Sünden nicht geschont / sondern meinen harten Sinn mit herben Schlägen weich und mürbe gemacht hast / indem du viele schmerzhafte Leiden über mich und mich selbst in ein Angstgedränge von innen und außen hast kommen lassen. Es ist doch unter allen Dingen unter der Sonne keines / das mich trösten könnte. Du allein / mein Gott / du allein kannst mich trösten / du bist der himmlische Seelenarzt / du schlägst und heilst / du führst in den Abgrund hinab und wieder heraus; deine Hand / die mich züchtigte / schwebt noch über mir; und deine Zuchtrute wird meine Lehrmeisterin sein.

Liebster Vater / sieh her / ich bin in deiner Hand; tief gebeugt unter deiner Rute / unterwerfe ich mich deiner Züchtigung. Schlage / schlage zu auf meinen Rücken und Nacken / bis mein starrsinniger / unbeugsamer Wille endlich ganz in deinen Willen sich ergeben haben wird. Laß nicht ab / an mir zu bilden / bis du mich zu einem frommen / demütigen Schüler ausgebildet haben wirst / der dir auf jeden Wink gehorcht; denn das ist deine Weise / die Menschen zu erziehen. Ich gebe mich und all das Meine ohne Ausnahme in deine Schule / damit du alles besser machst / als es ist. Denn es ist wahrhaftig besser / hier in deine Zucht genommen zu werden als dort in der Ewigkeit. Du weißt alles und jedes / und das Verborgenste im Gewissen des Menschen ist unverborgen vor dir. Was kommen wird / das liegt hell vor deinem Blick / ehe es kommt; und du hast nicht nötig / daß jemand etwas von dem / was auf Erden geschieht / dir erzähle oder in dein Gedächtnis bringe. Du weißt / was mir im Guten weiter forthilft / und wieviel die Trübsal dazu beiträgt / den Rest meiner Sünden zu entfernen. So mache es denn mit mir nach deinem heiligen Wohlgefallen und sieh mit dem Blick deiner Gnade herab auf mein Leben / das voll Sünden / und in seiner Sündhaftigkeit dir / mein Gott / am besten bekannt ist.

Lehre mich / o Herr / das wissen / was ich wissen / das lieben / was ich lieben soll / das loben / was deinen Beifall / das obenan setzen / was bei dir den ersten Platz hat / das hochachten / was in deinen Augen hochachtenswert / das verachten / was in deinem Auge verächtlich ist. Laß mich nicht nach dem bloßen Augenschein urteilen und auch nicht nach dem Hörensagen unerfahrener Leute irgendein Urteil nachsprechen / lehre mich vielmehr das Sichtbare von dem Unsichtbaren / das Sinnliche von dem Geistigen nach der Wahrheit unterscheiden und vor allem deinem heiligen Willen überall nachforschen.

Denn der Sinn des Menschen trügt sich oft. Die Freunde der Welt sind aber unter allen Menschen am meisten der Täuschung preisgegeben / weil sie nur das Sichtbare lieben. Ist der Mensch deshalb besser / weil ihn andere höher schätzen? Der Falsche betrügt den Falschen / der Eitle den Eitlen / der Blinde den Blinden / der Kranke den Kranken / wenn er ihn lobt und obenan setzt. Ein falscher Lobspruch / den die Eitelkeit ausspricht / ist weiter nichts als eine wahre Beschimpfung des Menschen. Kurz: Was der Mensch in Gottes Augen ist / das ist er / und mehr ist er nicht / sagt der demütige heilige Franziskus.


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