Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Siebentes Kapitel.

Demut sei Hülle und Hüterin der Gnade!

Mein Sohn / die Gnade der Andacht geheim zu halten / dich deshalb nicht über andere zu erheben / nicht viel davon zu reden / nicht viel Gewicht darauf zu legen; vielmehr dich selbst zu verschmähen und auch in Hinsicht auf die Gnade der Andacht / die dir ohne dein Verdienst gegeben ward / nicht ohne alle Furcht zu sein: dies ist für dich ohne Ausnahme das Sicherste und Beste. So edel die Empfindung der Andacht immer sein mag / so darfst du doch dein Herz nicht so fest daran hängen lassen; denn alles / was Empfindung ist / kann schnell dahin sein und einer andern Platz machen. Ist die Gnade da / so vergiß nicht / wie dürftig und elend du seist / wäre sie nicht da. Auch besteht das wirkliche Fortschreiten im geistlichen Leben nicht etwa nur darin / daß du die Gnade himmlischer Tröstungen genießest; sondern auch darin und vorzüglich darin / daß du voll Demut und Selbstverleugnung auch bei zurücktretender Gnade dein Herz in Geduld bewahrst / deshalb den Eifer zum Gebete nicht kalt werden und die übrigen guten Werke / die du sonst getan hast / jetzt nicht ganz ungetan lässest; vielmehr alles / was du noch tun kannst / nach deinem besten Wissen und Können willig tust und nicht etwa wegen der Dürre des Geistes und wegen der Angst der Seele / die dich drückt / dich selbst ganz und gar versäumst.

Denn es gibt viele / die / wenn es ihnen nicht nach Wunsch geht / sogleich ungeduldig und träge werden. Ach / der Mensch mag wohl gehn wollen / aber weder Bahn noch Gang liegen in der Macht des Menschen. Geben und trösten ist Gottes Sache. Er gibt Trost / wem er will / wann er will und so viel er will / und nicht mehr. Einige gingen in dem Gefühl der Andacht unbehutsam zu Werke und richteten sich selbst zugrunde / weil sie mehr tun wollten / als sie konnten / weil sie das geringe Maß ihrer Kräfte überspannten / weil sie mehr der Neigung ihres Herzens sich überlassen / als den Aussprüchen der Vernunft zur Leitung sich übergeben wollten. Und weil sie in Anmaßung des blinden Eifers größere Dinge unternahmen / als Gottes Wille durch sie ausrichten wollte / so war die Gnade / ehe sie sich dessen versahen / dahin. Sie wollten ihr Nest in den Himmel bauen und fielen / sich selbst überlassen / auf die Erde herab und mußten da arm und gering im Staube kriechen / damit sie in Armut und Niedrigkeit lernen möchten / nicht mehr mit ihren eigenen Flügeln in die Höhe zu fliegen / sondern unter der Decke meiner Flügel in stiller Zuversicht zu ruhn. Die noch Neulinge und in den Führungen des Herrn unerfahren sind / die kann leicht irgendein Schein täuschen oder eine Übermacht erdrücken / wenn sie nicht das Auge erfahrener Ratgeber ihren Leitstern sein lassen.

Wenn sie aber lieber ihrem eigenen Dünkel folgen / als dem Urteile des Geübteren glauben wollen und also fest auf ihrer vorgefaßten Meinung bestehen / so wird ihr Lauf oder Flug ein gefahrvolles Ende nehmen. Die in ihren eigenen Augen sich selber weise genug sind / haben eben deswegen selten Demut genug / die Leitung anderer sich gefallen zu lassen. Besser / wenig Wissenschaft mit viel Demut / als große Reichtümer von Wissenschaft mit vieler Selbstgefälligkeit zu besitzen. Besser für dich / wenig zu haben / als viel / das dich durch Eitelkeit zugrunde richten kann. Dem fehlt es sicher an Klugheit / der in der Stunde des überströmenden Trostes ganz der Freude sich hingibt / seiner vorigen Dürftigkeit vergißt und die heilige Furcht Gottes verläßt / die nie sicher wird und immer sorgsam umhersieht / daß ja die gegebene Gnade ihr nicht wieder geraubt werde. Auf der andern Seite fehlt auch dem an Weisheit der Heiligen / der in der Stunde der Trübsal und jeden Druckes sogleich den Mut sinken läßt / in Verzweiflung hin und her schwankt und nicht mit soviel Zuversicht / als er könnte und sollte / den Gedanken an mich und den Sinn für mich in seinem Herzen festhält.

Wer in den Zeiten des Friedens zu viel Sicherheit in seinem Gemüte wurzeln läßt / der wird in den Tagen des Kriegs zuviel Furcht und Zaghaftigkeit zeigen. Könntest du immer züchtig / demütig und gering in deinen Augen bleiben und die Bewegungen des Geistes wohl mäßigen und regieren / so würdest du nicht so oft in Gefahr geraten und nicht so leicht anstoßen. Es ist ein weiser Rat: Wenn in der Stunde der Andacht die Flamme des Eifers lichterloh brennt / so denke / wie dir zumut sein wird / wenn Licht und Feuer wieder verschwunden sind; und sind Licht und Feuer denn wirklich verschwunden / so denke / daß sie wiederkommen können / weil ich sie gegeben / weil ich sie auf eine Zeit zurückgenommen habe / um dich in der Wachsamkeit zu üben und meinen Namen an dir zu verherrlichen.

Eine solche Prüfung ist dir weit nützlicher / als wenn alles nach deinem Willen glücklich vonstatten ginge. Denn das / was den eigentlichen Wert des Menschen ausmacht / muß man nicht messen nach den vielen Erscheinungen oder himmlischen Tröstungen / auch nicht nach der Breite oder Tiefe seiner Kenntnis der Heiligen Schrift oder nach der höhern Stufe seines Amts und seiner Ehre; sondern das allein ist der rechte Maßstab des Verdienstes: In wahrer Demut tief gegründet und mit Liebe zu Gott erfüllt sein / in allem die Ehre Gottes allein und allezeit und ohne alle Nebenabsicht suchen / sich für nichts achten und in Wahrheit verschmähen und mehr Freude an Verschmähung und Erniedrigung als an Hochachtung und Erhöhung vor der Welt haben.


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