Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Dreißigstes Kapitel.

Wie man um Hilfe bitten und mit Zuversicht auf die wiederkommende Gnade warten soll

Mein Sohn / ich bin der Herr / ich schaffe Kraft und Mut in der Trübsal. Komm nur zu mir / wenn dir nicht wohl ist. Eben dies / daß du so spät zu mir kommst / schlägt die Tröstungen des Himmels so weit zurück. Denn ehe du im Drang des Glaubens zu mir um Hilfe schreist / besuchst du jede andere Trostquelle / eine nach der andern / willst nur immer in Dingen außer dir und mir Labung finden. Und eben deshalb / weil du die Labung am unrechten Ort suchst / nutzt all dein Suchen wenig / bis endlich dir die Augen aufgehen / bis es dir hell einleuchtet / daß ich es bin / der alle errettet / die auf mich bauen / daß außer mir keine Hilfe durchhelfen / kein Rat recht raten / keine Rettung auf die Dauer retten kann. Aber nun fasse wieder Mut / denn der Sturm ist für diesmal vorüber. Hole wieder neue Lebenskraft für dich aus der Fülle meiner Erbarmungen / die im hellen Lichte vor dir leuchten. Denn ich bin nahe / spricht der Herr / ich bin nahe / um alles wieder gut und ganz zu machen; und nicht nur gut und ganz zu machen / wie es vorher war / sondern noch besser / als es war / und im vollen / gerüttelten / überfließenden Maß es wieder herzustellen.

Ist für mich irgend etwas schwer / oder bin ich einer von denen / die viel verheißen und nicht tun / was sie verheißen? Wo ist doch dein Glaube? Steh fest und halte aus wie ein Mann. Sei starkmütig und langmütig wie ein Held. Wenn die rechte Zeit kommt / so kommt Trost in dein Herz. Harre nur / harre nur auf mich / ich komme gewiß und heile dich. Es ist nur Versuchung / was dich plagt / nur eitle Furcht / was dich schreckt. Wozu nutzt denn dein banges Sorgen wegen der Dinge / die da kommen sollen / anders / als daß es dich immer noch trauriger und wieder trauriger macht? Hat doch jeder Tag genug an seiner Plage. Wenn dir das / was vielleicht nie geschieht / den Sinn verrücken kann bald durch falschen Schrecken / bald durch falsche Hoffnungen / wie eitel und fruchtlos ist dies dein Fürchten und Hoffen?

Es ist zwar menschlich / daß Menschen von solchen Traumbildern getäuscht werden. Wer aber durch jede leise Eingebung seines Feindes sich ziehen und wie im Kreise umhertreiben läßt / der verrät / daß er eine kleine Seele und wenig Herz habe. Dem Feinde ist es übrigens einerlei / ob er mit wahren oder falschen Vorstellungen dich hintergehe / wenn du nur hintergangen bist / einerlei ob die Anhänglichkeit an das Gegenwärtige oder die Furcht vor dem Zukünftigen dich zu Boden werfe / wenn du nur zu Boden geworfen bist. Laß also keinen Schrecken / keine Furcht dein Herz bemeistern. Glaube an mich und vertrau auf meine Erbarmungen. Oft wenn du meinst / du seist weit von mir entfernt / bin ich am nächsten bei dir. Und wenn du denkst / jetzt ist alles verloren / gerade da kannst du am meisten gewinnen / kannst erringen / was ewigen Wert hat. Es ist nicht gleich alles verloren / wenn etwas wider Sinn und Wunsch dir begegnet. Du sollst nicht nach der Empfindung und aus der Empfindung / die du jetzt wirklich hast, urteilen. Und was jetzt dich drückt und niederbeugt, das sollst du nicht so schwer dir auf die Seele fallen lassen, als wenn es immer auf dir liegenbleiben müßte.

Denk auch nicht, du wärest ganz verlassen, wenn ich dir auf eine Zeit irgendein Leiden auflade oder die gewünschte Tröstung dir entziehe. Denn der Leidensweg ist eine königliche Straße, die in das Himmelreich führt. Und es ist für dich und meine übrigen Knechte ohne Zweifel besser, daß ihr in der Zuchtschule der Leiden hart mitgenommen werdet, als daß euch alles nach Sinn und Neigung ginge. Ich kenne die verborgenen Gedanken des Menschen, ich weiß, daß es dir gut ist, manchmal so dürr und trocken, so ohne allen Geschmack am Guten gelassen zu werden. Denn sonst möchte etwa der gute Fortgang dein schwaches Herz aufblähen, und ein geheimes Wohlgefallen an dem, was du nicht bist, in deine Seele einschleichen. Was ich dir gegeben habe, das kann ich dir wieder nehmen, wenn ich will, und auch wieder geben, wenn ich will.

Wenn ich's gebe, so ist es mein, und wenn ich's nehme, so habe ich das Deine nicht genommen. Denn mein ist alle gute Gabe, von mir kommt alle vollkommene Gabe. Wenn ich die etwas Drückendes oder Widriges sende, so laß dir den Kopf nicht schwindelig und das Herz nicht mutlos werden. Denn ich kann dir's wieder leicht machen und alle Bürde in Freude verwandeln. Wie ich es aber immer mit dir mache, so oder anders, so bin ich in allem, was ich ordne und füge, gerecht und anbetungswert.

Wenn du einmal die rechte Weisheit und den geraden Blick auf die Wahrheit erlangt haben wirst, dann wird keine Trübsal dich mehr so mutlos und traurig machen können. Du wirst vielmehr Freude daran haben und dafür danken. Du wirst deine einzige Freude darin finden, daß ich deiner nicht schone und allerlei Plagen an deine Hütte anklopfen lasse. Wie mich mein Vater geliebt hat, so liebe ich euch. Dies Wort sprach ich einst zu meinen lieben jüngern, die ich ja nicht zum leichten Genuß zeitlicher Freude, sondern zum schweren Kampf, nicht zum Einnehmen gleißender Ehrenstellen, sondern zur Erduldung großer Schmach, nicht zum Müßiggehen, sondern zum Arbeiten, nicht zum Ausruhen, sondern zum Fruchtbringen in Geduld ausgesandt habe. Dieses Wort, mein Sohn, sei auch das Wort deines Herzens.


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