Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Sechstes Kapitel.

Prüfung der Liebe.

Mein Sohn / du liebst mich zwar / aber deine Liebe hat noch nicht Licht und Kraft genug. Herr / warum nicht?

Ein geringes Hindernis kann dich so mutlos machen / daß du die Bahn / die du betreten hast / gleich nieder verlässest. Du läufst auch noch viel zu hitzig alledem nach / was dir etwas Trost verheißt. Die kraftvolle Liebe steht fest in allen Versuchungen und traut den listigen Eingebungen des Feindes nicht. Wie ich ihr in heitern Tagen gefalle / so mißfalle ich ihr in trüben Stunden nicht.

Die erleuchtete Liebe sieht nicht so sehr auf die Gaben dessen / der liebt / als auf die Liebe dessen / der gibt. Sie schätzt mehr das Herz / das von Liebe überfließt / als die Wohltat / die aus der Liebe fließt / und der Geliebte ist ihr weit über alle Gaben. Die edle Liebe findet ihre Ruhestätte in keiner Gabe / sondern schwingt über alle Gaben sich empor und ruht in mir / dem Geber.

Deshalb ist aber nicht gleich alles verloren / wenn dein Denken und Empfinden von mir oder von meinen Heiligen nicht immer so hell und rein ist / wie du gern es haben möchtest. Denn jene liebliche und heilige Empfindung / die hie und da dein Inneres durchströmt / kommt von stärkeren Zuflüssen der himmlischen Gnade her und ist ein Vorgeschmack von den Seligkeiten des rechten Vaterlandes. Aber auch auf diese liebliche Empfindung mußt du nicht sonderlich bauen / denn sieh / sie kommt und geht wieder. Kämpfen wider alle Regungen des Bösen / die du in dir wahrnimmst / und die Eingebungen der Hölle mit Verachtung zurückweisen / das ist das sicherste Wahrzeichen der Tugend / das ist das Ordensband des Verdienstes. Wenngleich also allerhand fremde / wertlose Einbildungen deinen Kopf belagern / so übergib du die Festung nur nicht / sei mannhaft / bleib deinem Vorsatz treu und behaupte die gerade Richtung deines Herzens zu Gott. Und wenn manchmal auch deine Freude an Gott in hohe Entzückung übergeht / und dein Herz bald darauf zu seinen alten Torheiten zurückkehrt / so mußt du deshalb deine Tugend nicht gleich für eine Täuschung halten. Denn der freie Wille leidet in der Tat mehr bei jenen Schwachheiten / als daß er selbst mitwirkt. Und solange sie dir mißfallen / und dein Wille tapfer sich dagegen wehrt / solange hast du in Gottes Augen nur gewonnen und nichts verloren.

Vergiß die Warnung nie: Dein alter Feind sucht im Grunde nichts anderes / als deinen Eifer nach Heiligkeit zu unterbrechen und von allen Übungen der Andacht dich abzulocken. Er will es dahin bringen / daß du weder das Ehrwürdige an meinen heiligen Freunden mehr ehren / noch an meine Leiden in stiller Liebe denken / noch deine Sünden in heilsame Erwägung ziehen / noch dein eignes Herz bewahren / noch den gefaßten Entschluß / im Guten voran zu trachten / erneuern möchtest. Er bestürmt dich mit mancherlei bösen Gedanken / um dich furchtsam / blöde und des Guten überdrüssig zu machen und dir nach und nach alles Beten und Lesen in heiligen Schriften zu verleiden. Ein demütiges Bekenntnis deiner Sünden ist ihm ein Dorn im Auge / und er möchte dich auch vom Tisch des Herrn auf immer fernhalten / wenn er könnte. Glaube seinem Worte nicht und fürchte nicht seine List / wenn er dir auch noch so oft Fallstricke legen sollte. Schiebt er böse und unlautere Bilder in deine Einbildungskraft hinein / so gib sie ihm mit Verachtung zurück. Sprich zu ihm: Fort mit dir / du unreiner Geist! Schäme dich / Elender / du mußt ein sehr unreiner Geist sein / weil du solche Bilder / die deiner würdig sind / mir in den Sinn bringst. Weiche von mir / du erster aller Verführer! Du sollst keinen Teil an mir und kein Recht auf mich haben. Denn Jesus ist für mich / und wenn Jesus / dieser tapfere Streiter / für mich ist / so mußt du in Schande dastehen. Lieber will ich sterben / lieber alle Pein ausstehen / als eines Sinnes mit dir werden. Schweige / verstumme / ich habe kein Ohr mehr für deine Stimme. Du magst noch so viele Plagen auf mich wälzen wollen / der Herr ist mein Licht / mein Heil / wen soll ich fürchten? Wenn ganze Kriegsheere wider mich sich lagern sollten / mein Herz zittert nicht. Der Herr ist meine Hilfe / der Herr ist mein Erlöser!

Kämpfe wie ein tapferer Streiter / und wenn du manchmal aus Schwachheit zur Erde fällst / so stehe mutig wieder auf und sammle im Aufstehn neue Kräfte / die die verlorenen reichlich einbringen / erwarte mit Zuversicht von mir neue Gnaden / die dich mächtiger unterstützen / und bewahre dich sorgsam vor eitler Selbstgefälligkeit und vor aller Hoffart. Selbstgefälligkeit und Hoffart sind es / welche viele Menschen von Irrtum zu Irrtum umhertreiben / sie vollends blind / und ihre Blindheit nach und nach fast unheilbar machen. Dieser Sturz der Hochmütigen / die mit blindem Frevel auf sich selber bauen / sei dir eine Schule der Wachsamkeit und Demut und in dieser Schule beharre bis ans Ende.


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