Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Sechzehntes Kapitel.

Fremde Fehler / die man nicht bessern kann / muß man ertragen.

Was der Mensch an sich oder andern nicht bessern kann / das muß er mit Geduld ertragen / bis Gott es anders fügt. Denke nur / daß es so vielleicht besser ist / indem es wenigstens helfen kann / deinen Sinn zu bewähren und dich in der Geduld zu üben / ohne welche unsre guten Werke nicht sonderlich viel Gutes in sich haben. Jedoch mußt du bei allem / was dir im Weg ist / und du nicht beseitigen kannst / zu Gott bitten / daß er dir zu Hilfe komme / und du mit stillem / sanftem Gemüt ertragen lernest / was sich nicht ändern läßt.

Hast du deinen Nächsten ein- oder zweimal ermahnt und mit deiner Ermahnung nichts ausgerichtet / so laß dich mit ihm in keinen Zank ein / sondern stelle die ganze Sache Gott anheim / daß sein Wille geschehe / und seine Ehre in allen seinen Dienern gefördert werden möge. Denn er weiß ja auch das / was böse ist / zum Guten umzulenken. Lerne Geduld haben mit fremden Fehlern und alle Schwachheiten / wie immer sie heißen / ertragen. Denn sieh / du hast auch viel an dir / was andere tragen müssen. Du kannst aus dir selbst nicht den Menschen schaffen / den du gern aus dir machen möchtest: wie wirst du denn einen andern nach deinem Sinn und Gefallen umschaffen können? Wir sähen es gern / daß die andern keine Fehler hätten / aber unsere eigenen lassen wir ungebessert.

Wir sähen es gern / daß andere in strenge Zucht genommen würden / an uns aber soll die strenge Zucht keine Hand anlegen dürfen. Wir haben großes Mißfallen daran / daß anderen so vieles / was sie wider die Ordnung begehren / gestattet werde / und können es nicht leiden / daß nur das Geringste / das wir haben wollen / uns versagt wird. Wir wünschen / daß andere durch schärfere Verordnungen im Zaum gehalten werden / und können es nicht ertragen / daß unsere Freiheit nur im geringsten beschränkt wird. Da wird's dann offenbar / wie selten wir unsern Nächsten mit demselben Auge sehen / mit dem wir uns anschauen. Und wenn alle Menschen um dich herum vollkommen wären / was hätte dann einer vom andern für die Sache Gottes zu leiden?

Nun aber hat Gott für dieses Leben es so und nicht anders geordnet / daß einer die Bürde des andern solle tragen lernen. Denn ohne Fehler ist keiner / keiner ohne Bürde / keiner sich selbst genug / keiner weiß in allem sich selbst zu raten / einer muß den andern tragen / einer den andern trösten / stützen / unterweisen / ermahnen. Wie groß aber die Stärke deines Geistes ist / das wird durch die Schwachheit deines Nächsten / die dich plagt und drückt / nur mehr an den Tag gebracht / als sie es schon war. Denn die Gelegenheiten machen den Menschen nicht erst schwach und gebrechlich / sondern sie zeigen nur / wie schwach und gebrechlich er schon ist.


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