Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Elftes Kapitel.

Prüfe zuvor und mäßige all dein Verlangen!

Mein Sohn / du hast noch vieles zu lernen / worin du noch lange nicht ausgelernt hast.

Herr / wie heißt dieses Viele / das ich noch lernen muß?

Das mußt du noch lernen / mein Wohlgefallen als die einzige Richtschnur all deines Verlangens anzusehen. Das mußt du noch lernen / nicht dich zu lieben / sondern meinen Willen im edlen Wetteifer zu vollbringen. Es fehlt bei dir nicht an Begierden / die dich schnell entzünden und mächtig antreiben / aber prüfe dich genau / was denn eigentlich dich entzünde und antreibe / ob meine Ehre oder dein Nutzen. Bin ich es / dessen Ehre dich in Bewegung setzt / so wirst du jedesmal ganz wohlzufrieden sein / mag ich es so ordnen oder anders; sobald du aber dich selbst suchst / und sei dies Suchen noch so geheim / so ist es eben dies geheime Suchen deiner selbst / so bist du selbst das / was dich fesselt und drückt.

Darum baue nicht sonderlich auf irgendein Ver- langen deines Herzens / das du / ohne zuvor mich um Rat gefragt zu haben / in dir aufkommen ließest. Denn es kann dich bald gereuen / was du als das Bessere so hitzig suchest; kann bald dir mißfallen / was dir als das Schöne sonderlich wohlgefiel. Du mußt nicht jeder Bewegung / die dir gut zu sein scheint / sogleich folgen und nicht jede Empfindung / die dir zuwider ist / sogleich verwerfen. Und du mußt auch in frommen Übungen der vordringenden Begierde den Zaum anlegen. Sonst möchte das ungestüme Treiben dein Gemüt zerstreuen / oder dein zuchtloses Betragen den Schwachen zum Ärgernis werden / oder der heftige Widerstand anderer dich selbst in Verwirrung oder zum plötzlichen Fall bringen.

Manchmal muß man aber wider die Bewegungen der Sinnlichkeit mit Gewalt angehen und ihnen den mannhaften Widerstand entgegensetzen / muß gar nicht darauf achten / was das Fleisch will oder nicht will / sondern mit allem Vermögen dahin arbeiten / daß das Fleisch auch wider seinen Willen dem Geist unterworfen werde. Und solange muß die sinnliche Natur in Zucht gehalten / solange zur Unterwürfigkeit gezwungen werden / bis sie zu allem sich bereitwillig zeigt; mit Wenigem sich begnügen lernt; an dem / was einfach ist / Freude hat und keine einzige Widerrede mehr gegen etwas Widriges sich erlaube.


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