Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Viertes Kapitel.

Wandle vor Gott in Wahrheit und Demut!

Mein Sohn / wandle immer in Wahrheit vor mir und suche mich in Einfalt des Herzens. Wer in Wahrheit vor mir wandelt / den wird die Allmacht vor bösen Anfällen schützen / und die Wahrheit wird ihn von Verführern und den Lästerungen der Gottlosen frei machen. Und hat dich die Wahrheit einmal frei gemacht / dann hast du die wahre Freiheit / und die leidige Wortmacherei der Menschen wird dich nicht mehr darum bringen können.

Wahr ist / o Herr / was du lehrest / und es soll auch in mir wahr werden. Deine Wahrheit soll mich lehren / sie soll mich behüten / mich bis zum Ziel des ewigen Heils begleiten. Deine Wahrheit mache mich los von aller bösen Neigung / von aller ungeordneten Liebe / und ich werde mit dir wandeln in großer Freiheit des Herzens.

So will ich denn / spricht die Wahrheit / dich lehren / was recht ist und mir wohlgefällt. Denke mit großem Abscheu und inniger Traurigkeit an deine Sünden und laß deine guten Werke dir den Kopf nicht mit eitlem Dunst füllen / als wenn du deshalb etwas wärest. Wahrhaftig / du bist Sünder / bist vielen Leidenschaften unterworfen und in dieses dein Elend tief verwickelt. Dir selbst überlassen und von dir aus / gehst du immer auf Torheit und Nichtigkeit los / wirst leicht überworfen / leicht überwunden / leicht verwirrt / leicht zerstreut. Nichts hast du / was dir ein Recht zum Selbstruhm gäbe / aber vieles / das in deinen Augen dich gering und schlecht machen muß; denn du bist viel schwächer / als du es begreifen kannst.

Von all dem / was du tust / soll in deinem Auge nichts groß / nichts kostbar / nichts wunderbar / nichts achtenswert erscheinen. Denn wahrhaftig groß / wahrhaft lobens- und wünschenswert ist nichts / als was ewig ist. Gefallen soll dir über alles die ewige Wahrheit / mißfallen soll dir stets deine Nichtswürdigkeit / die du / ohne einen Rechenfehler zu begehen / für groß ansetzen darfst. Nichts sollst du so sehr fürchten / so sehr verachten / so sehr fliehen als deine Sünden und Laster / sie sollen dir mehr mißfallen / tiefer zu Herzen gehen als jeder zeitliche Verlust. Einige handeln nicht aufrichtig vor mir. Von Neugierde und Stolz geführt / wollen sie nur meiner Geheimnisse inne werden / wollen die Tiefen der Gottheit durchforschen / und dabei vernachlässigen sie sich selbst und ihr eigenes Heil. Menschen dieser Art fallen oft in große Versuchungen und Sünden / denn Neugier und Stolz verhüllen ihnen die Augen / und ich bin wider sie.

Laß die Furcht vor Gottes Gerichten tief in dein Herz sich eingraben / erzittere vor dem Zorn des Allmächtigen / laß es dich nie gelüsten / die Werke des Allerhöchsten auszuforschen / forsche lieber in dem Abgrund deines Verderbens und zähle / wenn du´s zählen kannst / wieviel Böses du getan / wieviel Gutes du unterlassen hast. Manche tragen ihre Andacht nur in Büchern / andere in Bildern / wieder andere in äußerlichen Zeichen und Vorstellungen. Einige haben mich im Munde / aber in ihren Herzen ist wenig von mir. Es gibt aber auch einige / die himmlisches Licht im Verstande und himmlische Reinheit im Herzen haben / die immer nach dem Ewigen ihre Hände ausstrecken / ungern vom Irdischen reden hören / ihre natürlichen Bedürfnisse nur mit Unlust befriedigen; und diese nehmen fleißig wahr / was der Geist der Wahrheit in ihnen spricht. Denn er lehrt sie das Irdische verschmähen und das Himmlische lieben / das Vergängliche außer acht lassen und dem Unvergänglichen Tag und Nacht mit ungeteiltem Herzen nachhängen.


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