Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Elftes Kapitel.

Viel Christen / aber wenig Freunde Christi und seines Kreuzes!

Jesus hat jetzt viel Jünger / die im himmlischen Reich gern mit ihm herrschen möchten / aber wenige / die sein Kreuz auf Erden tragen wollen. Viele / die gern seine Seligkeit mit ihm teilen möchten / aber wenige / die in der Trübsal mit ihm aushalten wollen. Viele / die mit ihm essen und trinken möchten / aber wenige / die mit ihm fasten wollen. Alle möchten mit ihm Freude haben / aber wenige wollen mit ihm leiden. Viele folgen Jesu nach bis zum Brotbrechen beim Abendmahle / aber wenige bis zum Trinken aus dem Leidenskelche. Viele ehren seine Wunder / die er getan / aber wenige teilen mit ihm die Schmach des Kreuzes / die er gelitten hat. Viele lieben Jesum / solange sie nichts zu leiden haben / loben und preisen ihn / solange sie Tröstungen von ihm empfangen. Aber wenn er sich verbirgt und nur eine kurze Weile sie allein läßt / da klagen sie gleich oder verlieren gar allen Mut.

Die aber Jesum seinethalben und nicht ihres Trostes wegen lieb haben / die loben ihn in den Tagen der heißesten Angst wie in den Stunden des höchsten Jubels. Und wenn er ihnen nie eine himmlische Tröstung senden wollte / würden sie ihn doch immer loben / ihm allzeit danken. O die reine Liebe zu Jesus / die kein Eigennutz und keine Eigenliebe trübt / wieviel vermag sie nicht! Wie kann man die / die nur immer nach Tröstungen haschen / anders nennen als Lohnknechte? Wenn sie immer auf ihren Nutzen / auf ihren Gewinn sinnen / beweisen sie dann nicht selbst / daß sie sich mehr als Jesum lieben? Wo findest du doch einen Menschen / der seinem Gott umsonst dienen will?

Ein Mensch / der / noch an den Leib gebunden / so ganz nach dem Geiste lebt / daß er nackt und entblößt von aller Eigenliebe Gott allein anhängt / ist der seltenste Fund auf Erden. Das heißt recht arm im Geiste sein und frei von aller Anhänglichkeit an irgend ein Geschöpf. Und wo findest du einen solchen? Er ist wie eine kostbare Perle / die nur von den fernsten Ländern mit dem größten Aufwande herbeigeschafft wird. Wenn der Mensch all seine Habe daran gibt / so ist es noch so viel als nichts. Wenn er die strengste Buße tut / so ist es noch sehr gering. Wenn er alle Wissenschaft erfaßt hätte / so wäre er noch fern. Und wenn er große Tugend und brennende Andacht hätte / so fehlte ihm noch viel / nämlich gerade das eine Notwendige. Dieses ist: Nachdem du alles andere schon verlassen hast / so mußt du auch dich selbst verlassen / ganz von dir selbst dich entfernen und alle Eigenliebe ohne Erbarmen ans Kreuz schlagen. Und wenn du alles getan hast / was du nach deiner Erkenntnis tun solltest / so sei dir / als hättest du nichts getan.

Nichts von alledem / was der Mensch tut / soll er groß achten / wenngleich es groß geachtet werden könnte / sondern in Wahrheit für einen unnützen Knecht sich halten / wie uns die Wahrheit lehrt: Wenn ihr alles getan habt / was euch geheißen ward / so saget weiter nichts als: Wir sind unnütze Knechte. Dann kann der Mensch recht arm und bloß im Geist sein und mit dem Propheten sprechen: Ich bin arm und allein. Desungeachtet ist niemand reicher / niemand mächtiger / niemand freier als der Mann / der sich und alle Dinge verlassen und an die unterste Stelle sich setzen kann.


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